Kommentar Diskriminierung: Dreifache Angriffsfläche
Die Aufregung um die Rolex von Sawsan Chebli zeigt, wie sehr Rassismus, Sexismus und Klassismus in dieser Gesellschaft zusammenwirken.
E gal ob sich die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli zu Alltagssexismus äußert oder zur Vereinbarkeit von Scharia und Grundgesetz – es scheint Teil einer festen Dramaturgie zu sein, dass sie stets mit rassistischen und sexistischen Kommentaren überschüttet wird, unabhängig vom Sachverhalt. Aktuell geht es um ein in sozialen Medien viral gegangenes Foto aus dem Jahr 2014, auf dem sie eine Rolex trägt.
Dieses Foto wurde zum Anlass, über Reichtum, Symbolik und linke Glaubwürdigkeit zu streiten. In der Konsequenz hieß das, überspitzt formuliert: Es wurde diskutiert, ob Chebli schuld an der Misere der Sozialdemokraten sei. Im Zuge dieser Debatte erntete sie so viele Hasskommentare, dass sie schließlich entschied, ihr Facebookprofil zu deaktivieren.
Immerhin waren sich selbst FDP-Chef Christian Lindner, Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil einig, dass es Privatsache ist, was jemand mit seinem Geld anstellt. Doch die Angriffe auf Chebli als einfache Neiddebatte abzutun greift zu kurz. Denn die wiederkehrenden Kontroversen um ihre Person erzählen viel über Wirkungsmechanismen und Ungleichheiten unserer Gesellschaft.
Vordergründig wird das Tragen einer Luxusuhr verhandelt, doch im Kern geht es um das, was Chebli in einer Person verkörpert. Sie bietet dreifach Angriffsfläche: Bildungsaufsteigerin, Frau und Muslima. Nur wer Klassismus, also die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, Sexismus und antimuslimischen Rassismus zusammendenkt, kann erklären, warum sie immer wieder einer solchen Hetze ausgesetzt ist.
Weidel muss sich nicht rechtfertigen
An erfolgreiche Frauen werden gern andere Maßstäbe als an Männer angesetzt. Ebenso folgt es einer sexistischen Tradition, Frauen vorzuschreiben, was sie tragen sollten – egal ob es nun eine Rolex ist, ein tiefer Ausschnitt oder ein Kopftuch. Chebli, selbst gläubige Muslimin, hat sich entschieden, keines zu tragen. Doch für alle jene, die eine vermeintliche Islamisierung heraufbeschwören, bleibt sie, ob mit oder ohne Kopftuch, ein willkommenes Angriffsziel. AfD-Chefin Alice Weidel trägt ebenfalls Rolex – aber dafür rechtfertigen muss sie sich nicht. Chebli schon.
Doch neben Sexismus und Rassismus spielt auch ihre soziale Herkunft eine Rolle. Sawsan Chebli, 1978 in Westberlin geboren, stammt aus einer palästinensischen Familie, die in Deutschland Asyl suchte. Bis zu ihrem 15. Lebensjahr war sie staatenlos und geduldet, wuchs in armen Verhältnissen auf, was sie später aber nicht daran hinderte, zu studieren und in die Politik zu gehen.
Zunächst als Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, später als stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts. Seit Ende 2016 ist sie Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.
Sozialer Aufstieg hängt vom Bildungsgrad ab
Egal, wie jemand inhaltlich zu Chebli steht: Sie hat sich von unten nach oben durchgekämpft. Dafür verdient sie Anerkennung. Auf eine perfide Weise wird ihr dennoch gerne vorgeworfen, nur so weit gekommen zu sein, weil sie Frau mit Migrationshintergrund ist – ein Mechanismus, mit dem man wunderbar verhindern kann, sich mit tatsächlichen Ursachen sozialer Ungerechtigkeit auseinanderzusetzen. Cheblis Biografie ist eine Ausnahme der Regel, dass in diesem Land sozialer Aufstieg immer noch stark vom Bildungsgrad der Eltern abhängt. Kinder von Nichtakademikern studieren deutlich seltener als solche mit Akademikereltern, diese Tatsache betrifft Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.
Der Soziologe Didier Eribon schreibt in „Rückkehr nach Reims“, dass die schlechten Aufstiegschancen von Arbeiter*innen zu einer Art Selbstexklusion führen: „Dass es anderswo anders zugeht, dass andere Leute (…) andere Möglichkeiten haben, weiß man sehr wohl, aber dieses Anderswo liegt in einem so unerreichbaren, separaten Universum, dass man sich weder ausgeschlossen noch benachteiligt fühlt, wenn einem der Zugang zu den Selbstverständlichkeiten der anderen verwehrt bleibt.“
Doch die Abgrenzung findet auch von anderer Seite statt. Wie oft wird in linksliberalen Kreisen über „Pauschalurlaub auf Mallorca“ gewitzelt? Wie oft machen sich Geburtsreiche über den Protz von Neureichen lustig? Das ist keine Frage des Humors. Es ist eine Strategie, unsichtbare, aber dennoch vorhandene gesellschaftliche Trennlinien aufrechtzuerhalten.
Öfter über Klassismus reden
In Folge dieser elitären Überheblichkeit gehört es gewissermaßen zum Einmaleins von Bildungsaufsteiger*innen, alles, was an die soziale Herkunft erinnert, möglichst unsichtbar zu machen. Praktisch bedeutet das: Anpassung in Kleidung, Sprache und Auftreten. Wer arm ist und arm aussieht, bringt es nicht weit. Die erforderte Anpassung an das Zielmilieu könnte zumindest erklären, warum viele derjenigen, die den Sprung schaffen, sich so weit von ihrem Ursprungsmilieu entfernen. Entfremdung quasi als Preis für den gesellschaftlichen Aufstieg.
Warum genau Chebli eine Rolex trägt, kann nur sie beantworten. Es geht auch niemanden etwas an. Fest steht: Jeder, der ihr vorwirft, die Belange der Armen nicht zu kennen, verkennt ihre Lebensgeschichte. Die Hasskommentare auf Twitter konterte sie selbst so: „Wer von Euch Hatern hat mit 12 Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen&gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist. #Rolex“
Chebli hat auf persönliche Angriffe persönlich reagiert. Das war nicht unprofessionell, sondern richtig. Nur indem sie ihre soziale Herkunft sichtbar gemacht hat, konnte sie die Doppel- und Dreifachmoral ihrer Kritiker*innen offenlegen. Menschen, die es betrifft, sollten öfter über Klassismus sprechen. Das könnte nicht nur eine gerechtere Politik befördern, sondern gleichzeitig Teil einer Strategie gegen Rechts sein.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?