Kommentar Die SPD ist das neue Netflix: Abo bei den Sozialdemokraten
Ihre Wählerstimmen werden weniger, ihre Mitglieder werden mehr. Die SPD ist billig zu haben und man muss sich ja nicht ewig an sie binden.
G eben Sie mal „SPD“ und „Neueintritte“ bei der Suchmaschine Ihrer Wahl ein – Sie werden überrascht sein. Von Flensburg bis Saarbrücken, überall neue Mitglieder, während zugleich überall und in allen Tonlagen das Ende der Sozialdemokratie heraufbeschworen wird.
Auch in Freiburg, so berichtet Daniel Becker (26), Apotheker und Juso-Vorsitzender der Schwarzwald-Metropole in der Badischen Zeitung, gebe es einen Run auf das SPD-Parteibuch: „Na ja, zu anderen Zeiten gibt es hier vielleicht mal zwei, drei Mitgliedsanträge am Tag. Im Moment meldet sich hier etwa stündlich ein SPD-Neumitglied an. Im Januar 2017 lagen wir bei 920 Mitgliedern, gestern waren’s 1.160.“
Der große Erfolg aber hat laut Daniel Becker nichts mit dem Juso-Slogan „Tritt ein, sag Nein“ zu tun, mit dem die Jusos dazu aufgerufen hatten, in die SPD einzutreten, um beim Mitgliederentscheid den Koalitionsvertrag ablehnen zu können – und dem die Jusos aus Nordrhein-Westfalen dann noch die perfekte Drehung gegeben hatten: „Ein Zehner gegen die Groko“, das ist in Euro die Summe, die man für zwei Monate Parteimitgliedschaft aufbringen muss. (5 Euro im Monat, das ist der Mindestbeitrag bei einem Einkommen von bis zu 1.000 Euro im Monat.)
10 Euro, ungefähr so viel kostet auch ein Monat Mitgliedschaft bei dem Streamingdienst Netflix, der mit dem Slogan „See what’s next. Überall ansehen. Jederzeit kündbar“ wirbt. Wenn es auch dort schon bei 7,99 Euro im Monat losgeht (will man auf mehreren Geräten schauen, sind 10.99 Euro fällig), klingt das Angebot doch fast ähnlich. „See what’s next“, damit ist die mitunter wundersame Entwicklung bei der SPD doch auch ganz gut beschrieben. Gabriel, Schulzzug, Bätschi, nicht regieren, sondieren – irgendwas ist immer.
Ein bisschen was bleibt immer hängen
Vor allem aber ist in der SPD jetzt die Generation Kevin am Drücker, und die hat sich sowohl vom linearen Fernsehen als auch von der Idee einer lebenslangen Parteimitgliedschaft wie anno dazumal längst verabschiedet. Mag sein, dass einem das rote Parteibuch früher quasi schon bei Geburt in der Bergarbeitersiedlung in die Wiege gelegt wurde, heute sind die Zechen längst geschlossen, und Parteibücher haben die Größe von Kreditkarten.
Auch wenn Kevin selbst, also der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, nun behauptet, er habe gar kein Interesse daran, dass politisch Interessierte nur in die SPD eintreten, um eine Große Koalition zu verhindern, so hat er doch auch nichts dagegen, wenn sich die Neumitglieder, ganz in seinem Sinne, gegen eine Neuauflage der Großen Koalition wehren.
Wenn sie doch schon mal da sind, können sie sich gleich nützlich machen. Und wieder ist es ähnlich wie bei Netflix, aber auch bei Abo-Aktionen von Tageszeitungen: Ein bisschen was bleibt immer hängen. Mag ja sein, dass ein Großteil nur kurzfristig eingetreten ist, um gegen die Groko zu stimmen, aber wie viele von ihnen werden vergessen, später wieder auszutreten? Die vor ein paar Monaten wegen Schulz eingetreten sind, sind ja auch noch da.
Andere haben Bedenken: Dieser Haufen aus Politleichtmatrosen, Millennialschnullis und Hans-Guck-in-die-Luft-Neumitgliedern soll nun also über die Zukunft der größten Volkspartei des deutschen Volkes entscheiden?
Da hat die Parteispitze mal lieber einen Stichtag festgelegt, könnte ja jeder kommen: Stichtag also 6. Februar, 18 Uhr. Wer bis dahin in die SPD aufgenommen worden ist, kann auch mit über eine Große Koalition abstimmen – wenn er oder sie offiziell von einem SPD-Ortsverband aufgenommen und in der Mitgliederdatei registriert worden ist.
Keine Schicksalsgemeinschaft
Nein, das Treiben des Nachwuchses, es löst nicht nur Freude aus bei den Altgedienten. „Es ist ein Irrglaube, dass man meint, die Demokratie könne dadurch gewinnen, wenn man solche Aktionen macht“, so hatte sich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer über „Tritt ein, sag Nein“ geäußert.
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Ohne recht zu begreifen, dass eine Große Koalition eben bedeutet, Netflix und Amazon Prime zusammenzulegen, ARD und ZDF zu fusionieren. Aldi und Lidl, Mercedes und BMW – alles eine Soße. Mag ja sein, dass überall der gleiche Scheiß drin ist, die Jugend möchte trotzdem wenigstens die Illusion einer Auswahl.
Das wäre doch wohl das Mindeste, was man erwarten kann – insofern gibt es auch überhaupt keinen Grund, auf die Generation Kevin einzudreschen. Im Gegenteil. Warum sollte es eigentlich die Demokratie schädigen, wenn man nicht sein Leben lang Mitglied bei einem Verein sein möchte? Eine Partei ist ja schließlich keine Schicksalsgemeinschaft.
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