Kolumne Right Trash: Sensibel im rechten Kokon
In rechten Social-Media-Blasen werden zwei Kolumnen von linken Kolumnist*innen zerrissen. Die Diskussionen zeigen, wie sehr Rechte ihren Hass schönreden.
Die deutsche Rechte hat mal wieder Futter für ihren ewigen Opfermythos bekommen. Wo sonst Kriminalitätsmeldungen und islamophobe Meinungsstücke die Runde machen, finden sich plötzlich zwei dezidiert linke Kolumnen, die selbsternannte Konservative bis Neonazis ausflippen lassen.
Sibylle Berg schrieb am Wochenende auf Spiegel Online, in Deutschland etabliere sich eine faschistische Bewegung, während Linke über die Gesprächsführung mit Rechten diskutierten. In der taz schrieb Hengameh Yaghoobifarah, dass Deutsche offensichtlich lieber einen Tag weniger frei haben, als Muslim*innen einen Feiertag zu gönnen.
Beide Texte sind unter den meistgeteilten vom Wochenende. Und zu beiden haben rechte Social-Media-Accounts eine klare Meinung: Berg rufe zu Gewalt auf, heißt es, Yaghoobifarah sei rassistisch gegenüber Deutschen.
Ein besonders produktiver AfD-Facebookkanal kommentiert den Artikel in der taz mit „Echter Rassismus gegen Deutsche bei der TAZ“. Berg wird ein Aufruf zur Gewalt unterstellt. Diese Vorstellungen werden im Netz von hunderten rechten Konten geteilt und auch publizistisch verarbeitet, beispielsweise beim rechten Magazin Compact oder in dem rechten FAZ-Blog von Rainer „Don Alphonso“ Meyer.
200 Todesopfer rechter Gewalt
Beide Lesearten zeigen, wie sehr es sich die Rechte in Deutschland in ihrem Kokon von Selbstverleugnung und Opfermythos gemütlich gemacht hat und wie einfach diese Ruhe zu stören ist. Dass Berg zu Gewalt aufruft, basiert auf folgendem Satz in ihrer Kolumne: „Vielleicht ist der Schwarze Block, die jungen Menschen der Antifa, die Faschisten mit dem einzigen Argument begegnen, das Rechte verstehen, die einzige Bewegung neben einem digital organisierten Widerstand, die eine Wirkung hat.“
Offen ruft hier niemand zu Gewalt auf. Man muss schon die vielen friedlichen Gegendemonstrationen, die Straßenblockaden, die Recherchearbeit und die Antifa-Medien ignorieren, um gedanklich gleich bei einem Gewaltaufruf zu landen.
Berg schreibt, die Zeit des Redens sei vorbei – aber über das Reden mit Rechten hinaus aktiv zu werden, heißt nicht, gleich gewalttätig zu werden. Ohnehin vergessen Rechte gerne, dass ihre Bewegung weit gewalttätiger ist als irgendetwas, das linke Aktivist*innen verzapfen.
Brennende Autos und verkokelte Bahnanlagen stehen fast 200 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 gegenüber. Selbst dschihadistische Terroristen haben in Deutschland nur einen Bruchteil davon umgebracht. Hinzu kommen hunderte Anschläge auf Flüchtlingsheime – einige tödlich, andere Tote in Kauf nehmend – und regelmäßige Hetzjagden auf nichtweiße Menschen, von Köln bis Bautzen.
Klar, da ist es natürlich eine Provokation, wenn jemand nicht mehr mit Rechten reden will. Am besten nimmt man aus Protest den Galgen wieder zur Pegida-Demo mit.
Kartoffeln und das N-Wort
Bei Yaghoobifarah geht es Rechten darum, dass die Autor*in Deutsche als Kartoffeln und Lauchs bezeichnet und von deutscher Dreckskultur spricht. Eine rassistische Bezeichnung sei das und Volksverhetzung. Das ist die Rechte, die nicht selten mit „Satire darf alles“ um sich wirft, der bei offensichtlich satirischen Überspitzungen direkt der Kamm schwillt.
„Kartoffel“ ist gleichzusetzen mit Bezeichnungen wie dem N-Wort? Wirklich? Leute entmenschlichen Deutsche als „Kartoffeln“ und wollen sie versklaven? Sie vielleicht sogar millionenfach umbringen? Nein, niemand geht abends mal „Kartoffeln aufklatschen“, konspiriert jahrelang, um Menschen mit besonders deutschen Namen umzubringen, oder diskriminiert sie beim Bewerbungsgespräch.
Diskriminierung ist für viele Menschen in Deutschland real, aber die satirische Diskriminierung stört rechte Deutsche in ihrem Kokon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“