Kolumne Fremd und befremdlich: Hinterhältige Worte
Es ist perfide, dass bei der Debatte um Paragraf 219a von „Werbung“ die Rede ist. Es geht nämlich überhaupt nicht um Werbung.
I n der DDR konnte eine Frau, wenn sie schwanger war, sich in den ersten zwölf Wochen entscheiden, ob sie das Kind haben wollte oder nicht. Das nannte man die Fristenregelung. Entschied sie sich für eine Abtreibung, musste der Arzt diese vornehmen. So einfach war das. Führte das dazu, dass die Frauen in der DDR weniger Kinder hatten als die Frauen in der Bundesrepublik? Komischerweise nicht.
In der DDR war die Abtreibung nicht so stigmatisiert, das Muttersein nicht so heroisiert, denn die Mutter sollte ja auch Werktätige sein und sich nicht so in ihr Muttersein hineinsteigern. Man sprach auch nicht vom „ungeborenen Leben“, wie das heute der Fall ist. Den Begriff habe ich überhaupt das erste Mal in der Bundesrepublik gehört.
Ungeborenes Leben, was soll das sein? Wann fängt das an? Sind Spermien auch ungeborenes Leben, Eizellen? Fängt das dann aber sofort an, wenn die beiden sich treffen? Ich habe in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft ein „ungeborenes Leben“ verloren, in der Toilette. Es war ein ganz kleiner, schleimiger Klumpen. Hätte ich ihn vielleicht aus der Toilette holen und an mich drücken sollen, dieses mein „ungeborenes Leben“?
Diese aufgeladene Emotionalität regt mich auf. Warum werden die Leute so sentimental, so hysterisch, wenn es um einen Zellhaufen geht? Es hat keine Empfindungen. Es tut ihm nichts weh. Und potenzielle Kinder sind alle sinnlos vergeudeten Spermien und Eizellen.
Wenn wir da wirklich nichts versäumen wollten, dann müssten wir uns fortpflanzen, was das Zeug hält, dann dürften wir nicht einmal verhüten, weil wir auch damit „ungeborenes Leben“ verhindern. Darum geht es doch, oder? Aber Worte können so hinterhältig sein, so manipulierend. Wer könnte schon ein „Leben auslöschen“ wollen? Doch nur ein Mörder, oder was?
Und nun geht es um Werbung für den Schwangerschaftsabbruch. Der niedersächsische Landtag setzt sich für die Abschaffung des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs ein. SPD, Grüne und FDP sind sich einig. Das ist gut, das ist richtig.
Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch, das macht niemand. Es ist sogar perfide, dass hier von Werbung die Rede ist. Was ist denn Werbung, bitteschön? Der Kaffee ist so mild, das Auto so schnell. Wie würde denn Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch aussehen. „Schwangerschaftsabbruch – so schick nur hier.“ So in der Art?
Ich weiß nicht, ich habe ja solche Sprüche noch nie gesehen. Würde eine Werbeagentur damit beauftragt werden, Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch zu machen? Würden das die Ärzte in Auftrag geben, die Krankenhäuser?: „Hier, machen sie uns mal eine richtig coole Werbung für Schwangerschaftsabbruch, damit auch recht viele Frauen sich dafür entscheiden.“? „Rechtzeitig zum Fest wieder schlank.“ Oder: „Ohne Kinder lebt sich’s besser.“ Da wäre doch einiges vorstellbar. Da könnten sich doch die Agenturen richtig was einfallen lassen. Das ist doch Werbung, oder?
Aber darum geht es gar nicht. Es geht überhaupt nicht um Werbung, es ist nur immer die Rede von Werbung, obwohl es überhaupt nicht darum geht. Das macht die Sache nämlich einfacher für die Befürworter dieses beknackten Paragrafen. Es geht um das Anbieten von Informationen. Es soll ein Arzt einfach nicht mitteilen dürfen, dass er Abbrüche vornimmt. Deswegen ist ja diese Gießener Ärztin verurteilt worden, weil sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbruch informiert hat.
Informiert werden soll nicht. Sie hat einfach nur auf ihrer Website Links zum Thema Schwangerschaftsabbruch angegeben. Und das ist halt auch so ein altertümliches Mittel, um die Menschen unmündig zu machen. Man lässt sie dumm. Man erschwert ihnen den Zugang zur Aufklärung. Eine Frau soll gar nicht in allen Details wissen, worauf sie sich einlässt, und soll doch eine Entscheidung treffen. Und die trifft sie dann, vielleicht, aus Angst. Was ist das denn für ein menschenfeindliches Verhalten von diesen „Lebensschützern“ die, wie es scheint, für die Ungeborenen mehr übrig haben als für die Geborenen?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird