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Liebe Frau Hecht,
Sie kommen mir in diesem Kommentar ein wenig als schlechte Verliererin rüber. Anders kann ich mir die einseitig aufgeladene Wortwahl und die weitgehend ad hominem gerichtete Argumentation jedenfalls nicht erklären.
Dass zukünftig zwei mit entsprechender technischer Infrastruktur ausgerüstete Stellen beauftragt sein sollen, speziell das Informationsbedüfnis von abtreibungswilligen Schwangern adäquat zu bedienen, IST eine massive Verbesserung der bisherigen dezentralen Informationspflicht der einzelnen Beratungsstellen. Die Möglichkeit, auf diese Angebote zu verlinken, gibt den Ärzten eine Möglichkeit, ihr Angebot mit im Zweifel gerade mal einem Klick mehr an die Patientin zu bringen, als wenn sie es direkt auf die eigene Seite schreiben würden.
Was ist daran so fatal - außer dass es weit hinter den Forderungen der Abschaffungslobby zurückbleibt?
Es sollte Einigkeit bestehen, dass für die reine Informationsgewährung die komplette Abschaffung des § 219a und individuelle Informationen der Ärzte über ihre Leistungen NICHT im engeren Sinne notwendig sind. Stattdessen wird ja offen zugegeben, dass es pauschal um die Entkriminalisierung der Abtreibung geht. Und wenn DAS das Thema ist, darf man sich auch nicht wundern, wenn von BEIDEN Seiten aus vollen ideologischen Rohren zum Thema Selbstbestimmung vs. Lebensschutz für Embryonen geschossen wird.
Diese Schlacht können die Fanatiker auf beiden Seiten endlos weiterführen - die Traditionalisten auf der einen Seite, die das ungeborene Leben wie den Heiligen Gral vor sich hertragen (teils ehrlich, teils vorgeschoben), und die Feministen auf der Anderen, die so tun, als gäbe es außer der Selbstbestimmung der Frau keinen realen Aspekt an dem Streit und jede gegenteilige Argumentation diene nur deren Unterminierung.
DIESE Machtprobe haben die Unionsparteien gewonnen. Kann das wirklich nur an der Schwäche der SPD und dem Geschrei der reaktionären Pseudo-Lebensschützer gelegen haben??
Menschenrechte sind per se Sprengstoff in Gesellschaften, in denen einige Menschen mehr Rechte beanspruchen (und auch gewährt bekommen) als andere.
Das Zusammenleben in Gemeinschaften wird nie einfach sein. Von manchen Dingen können Menschen einfach nie genug bekommen. Sie wollen immer schneller immer mehr davon. In einer Welt, in der alle Ressourcen endlich sind, führt das zwangsläufig zu Konflikten. Hierarchisch organisierte Gesellschaften betrauen dann sogenannte Entscheidungsträger mit der Konfliktbewältigung. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Entscheidungen der „Bestimmer“ respektiert werden.
Ist der Respekt erst einmal futsch (z.B. wegen zu vieler Fehlentscheidungen), wird die „Basis“ der Gesellschaft selber entscheiden wollen. Die Entscheidungsträger allerdings werden ihre Macht nicht abgeben wollen. Falls letztere dann ganz offiziell und risikofrei Gewalt ausüben dürfen, werden sie das (mehrheitlich) tun.
Genau deswegen wurde die „Wende“ als „Wunder“ aufgefasst von denen, die dabei gewesen sind: Die Machthaber sind ohne große Gewalt von ihrer Macht zurückgetreten, als sie gemerkt haben, dass der eigene Anspruch nicht mehr zur Realität passt. Leider passieren Wunder nicht immer und nicht überall.
Mit der SPD sind offenbar Wunder nicht zu machen. Ihre „Entscheidungsträger“ sind offenbar mehrheitlich Menschen, denen ihr Machtanspruch aus psychologischen Gründen über (fast) alles und jedenfalls klar über das Selbstbestimmungsrecht werdender Mütter geht. Zugeben dürfen sie das allerdings nicht, sonst könnten sie gleich für die AfD kandidieren. Sie müssen (minimalste) Risiken vorschieben. Glaubwürdiger macht sie das aber nicht.
Dieser innere Widerspruch ist es, der die Menschenrechte so explosiv macht. Ein bisschen schwanger kann man halt nicht sein. Man muss sich schon entscheiden: Entweder ein neues Leben neben dem eigenen, oder doch nur das alte, sich selbst genügende.
>Doch Frauenrechte und das Recht auf den eigenen Körper sind zu Recht politischer Sprengstoff.<
Und das im modernen Deutschland. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
>Es sind Menschenrechte.<
Die ja bekanntlich debattierbare Verhandlungsmasse sind.
In der SPD-Fraktion ist niemand mehr mit Rückgrat. Dort klammert man sich mit aller Macht an seine Posten bis zu den nächsten Bundestagswahlen. Irgendwie glaubt man, dann wieder über die 5%-Hürde zu kommen.
Seit 2021 wurde gegen Lina E. und drei Mitangeklagte wegen Angriffen auf Neonazis verhandelt. Die Bundesanwaltschaft fordert Haftstrafen.
Kommentar Vorschlag zum Paragraf 219a: Machterhalt oder Menschenrecht
Es läge bei der SPD, den schwächsten Vorschlag zu 219a noch zu verhindern und das „Werbeverbot“ zu kippen. Das wäre wichtiger als Koalitionsfrieden.
Warum kuschen die SPD-Frauen vor dem Koalitionspartner, wenn's um 219a geht? Foto: imago/snapshot
Frauenrechte sind politischer Sprengstoff. Gerade noch einmal hat die Große Koalition abgewendet, dass sie wegen Paragraf 219a am Abgrund steht – mit einem Vorschlag, der schwächer nicht sein könnte und der für die frauenpolitische Glaubwürdigkeit der SPD eine Bankrotterklärung ist.
Beim Paragraf 219a, das muss vielleicht noch einmal betont werden, geht es nicht um die Frage, ob Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland legal sein sollten oder nicht. Das sind sie nicht – und spätestens jetzt ist klar, dass sich daran auf absehbare Zeit auch nichts ändern wird. Es geht auch nicht um „Werbung“, einen Schwangerschaftsabbruch für 19,99 Euro zum Beispiel. Beim 219a geht es schlicht um die Frage, ob ÄrztInnen Frauen in Notsituationen über ihre Arbeit – über medizinische Grundversorgung – informieren dürfen.
Zu dieser hoch aufgeladenen Detailfrage liegt nun, nach monatelangen Debatten, ein Vorschlag der Bundesregierung vor. Noch Anfang des Jahres hatte die SPD in einem eigenen Gesetzesentwurf die Aufhebung des Paragrafen gefordert. Stück für Stück jedoch begrub sie ihre Forderungen, um den Machterhalt nicht zu gefährden. Erst pochten Katarina Barley und Franziska Giffey nur noch auf eine Änderung des Paragrafen. Nun bleibt er bestehen.
Foto: dpa
Die Verantwortung, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, soll auch künftig beim Staat liegen. Das ist schon jetzt so – mit dem Problem, dass staatliche Stellen ihrer Aufklärungspflicht nur äußerst lückenhaft nachkommen. Ob auf Webseiten von ÄrztInnen das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ überhaupt vorkommen darf, ist mit dem Vorschlag nicht gesichert, geschweige denn, dass auch nur ein einziger weiterer Satz zum Thema auf den Seiten der ÄrztInnen stehen darf.
Die Strafandrohung von zwei Jahren gegenüber denjenigen, die über ihre Arbeit informieren, bleibt hingegen bestehen. Was lange als rote Linie der SPD verkauft wurde – Rechtssicherheit für ÄrztInnen, die über ihre Arbeit informieren – wird es damit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben.
Die SPD hat noch eine Chance
Geradezu perfide ist, dass im Vorschlag sowohl Wording als auch Inhalt der sogenannten Lebensschutzbewegung enthalten sind – also derjenigen, die hunderte ÄrztInnen angezeigt und die Debatte über den Paragrafen damit überhaupt erst ins Rollen gebracht haben. Doch das sogenannte Post-Abortion-Syndrom, auf das sich der Vorschlag bezieht, ist ein Mythos: Frauen sind, das zeigen Studien hinreichend, in der Mehrheit nicht von extremer Trauer nach Abtreibungen betroffen. Das muss nun nicht auch noch das Parlament wissenschaftlich erforschen.
Eine letzte Möglichkeit, das Ruder herumzureißen, liegt nun in der SPD-Fraktion: Noch immer könnte sie im Januar die Mehrheiten im Bundestag nutzen und gemeinsam mit den Oppositionsparteien und per Gewissensentscheidung die Abschaffung des 219a herbeiführen. Das birgt zwar die Gefahr, den Koalitionsfrieden zu brechen. Doch Frauenrechte und das Recht auf den eigenen Körper sind zu Recht politischer Sprengstoff. Es sind Menschenrechte.
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Schwerpunkt Paragraf 219a
Kommentar von
Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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