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Kolumne AfrobeatGaddafis langer Schatten

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Warum schürt Frankreich den Bürgerkrieg in Libyen? Das könnte mit der Geschichte libyschen Schwarzgeldes in Paris zu tun haben.

„Danke, Frankreich“: Poster in Benghasi 2011 Foto: Reuters

A m 30. Januar fand in London eine ungewöhnliche Übergabe statt. Fünf französische Polizisten nahmen von ihren britischen Kollegen den Franko-Algerier Alexandre Djouhri in Empfang, steckten ihn ein Flugzeug und reichten ihn bei der Ankunft in Paris an die Grenzpolizei weiter. Am 31. Januar wurde der 60-Jährige in Untersuchungshaft genommen, angeklagt der Korruption und der bandenmäßigen Geldwäsche.

Ebenfalls am 31. Januar eröffnete die Pariser Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Thierry Gaubert, Ex-Vertrauter des Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy.

Hintergrund ist die wohl explosivste Affäre der französischen Politik: die mutmaßliche Finanzierung von Sarkozys Wahlsieg 2007 durch Libyens damaligen Diktator Muammar al-Gaddafi. Wer verstehen will, warum Frankreich heute in Libyen als Brandstifter aufseiten des aufständischen Generals Haftar auftritt, findet hier möglicherweise eine Antwort.

Als Sarkozy 2007 Präsident Frankreichs wurde, war Gaddafi gerade vom Paria zum Liebling Europas geworden. Sanktionen fielen, Investoren und Waffenhändler standen Schlange in der libyschen Wüste, ebenso Blair, Sarkozy, Berlusconi, Haider – sämtliche Selbstdarsteller Europas. Das Rennen machte Sarkozy.

Sarkozy ließ sich feiern

Kurz nach dessen Wahlsieg ließ Gaddafi fünf verhaftete bulgarische Krankenschwestern frei, ließ sie medienwirksam von Sarkozys damaliger Ehefrau ausfliegen und kassierte mehrere hundert Millionen US-Dollar Lösegeld aus Europa. Danach durfte er zum Staatsbesuch in Paris sein Zelt vor dem Elysée-Palast aufschlagen.

Nur wenig später, im Jahr 2011, war alles auf den Kopf gestellt. Der Arabische Frühling tobte, in ganz Nordafrika brodelte es. Frankreich fürchtete um seinen Hinterhof. Als die Nato mit UN-Mandat gegen Gaddafi in Libyen eingriff, stand Frankreich an der Spitze. Gaddafi wurde von Rebellen getötet, Sarkozy ließ sich in Libyen als Held feiern, kurz bevor er 2012 abgewählt wurde und seinem Nachfolger François Hollande einen Scherbenhaufen in Form einer destabilisierten Sahelzone hinterließ.

An der Krise in Mali, Niger und Burkina Faso, alles einst Verbündete Gaddafis in Afrika, beißt sich Frankreich bis heute militärisch die Zähne aus, und man fragt sich, mit welchem Geld die bewaffneten Islamisten dort nach 2011 so stark wurden. Parallel dazu zielte aber eine direkte Rache des gestürzten Gaddafi-Klüngels auf das Herz des Pariser Establishments.

Zum Höhepunkt des Wahlkampfs 2012, genau zwischen den beiden Wahlgängen, veröffentlichte die französische Enthüllungsplattorm Médiapart ein Dokument von Ende 2006 – mit Sprengkraft: eine vom damaligen libyschen Geheimdienstchef Moussa Koussa unterzeichnete Bestätigung einer Anweisung Gaddafis an Bachir Saleh, Chef des libyschen Afrika-Investitionsfonds, Sarkozys Wahlkampf 2007 mit 50 Millionen Euro zu unterstützen.

Geldflüsse sind dokumentiert

Eine Woche nach der Veröffentlichung verlor Sarkozy die Wahlen. Das hat er nie verwunden. Er klagte gegen Médiapart, verlor aber in letzter Instanz 2019. Seitdem ermittelt die Justiz.

Dass wirklich 50 Millionen Euro gezahlt wurden, ist unwahrscheinlich – aber Geldflüsse sind dokumentiert, und unzählige Menschen haben sich die Hände schmutzig gemacht, ein Panoptikum schillernder Figuren der französischen Afrikapolitik, deren Aufgabe es eigentlich ist, keine Spuren zu hinterlassen.

Eine explosive Affäre: die mutmaßliche Finanzierung von Sarkozys Wahlsieg 2007 durch Libyens Diktator Gaddafi

Dass sämtliche Beteiligten alles abstreiten, ändert nichts an den Ermittlungen. Claude Guéant, bei den Wahlen 2007 Sarkozys Kabinettsdirektor im Innenministerium, mietete demnach für den Wahlkampf einen Banktresor an, der so groß war, dass man darin aufrecht stehen konnte. Er will darin Sarkozys Wahlkampfreden aufbewahrt habe. Ziad Takieddine, ein Ölhändler libanesischen Ursprungs, will Guéant damals dreimal Koffer voller Bargeld übergeben haben.

Takieddines Firma Rossfield überwies laut Justiz im Februar 2006 440.000 Euro auf ein Konto auf den Bahamas, das dem jetzt unter Anklage gestellten Sarkozy-Vertrauten Gaubert gehörte und von dem dieser danach mehrmals sechsstellige Summen abhob und nach Paris brachte. Später soll Rossfield aus Libyen 2 Millionen Euro zurückbekommen haben. Der jetzt inhaftierte Djouhri verkaufte laut Ermittlern für 10 Millionen Euro eine Villa nahe Cannes an Saleh, den Ausführenden der Sarkozy-Hilfe.

Haftar verdankt Frankreich seinen Aufstieg

Saleh wurde nach Gaddafis Sturz vom französischen Geheimdienst nach Niger und dann nach Südafrika exfiltriert. Gaddafis einstiger Ölminister Choukri Ghanem, der Zahlungen an Sarkozy in einem Notizbuch festgehalten hatte, wurde am Tag nach der Médiapart-Enthüllung 2012 tot in der Donau bei Wien gefunden.

Was hat das mit Libyen heute zu tun? Gaddafis einstiges Machtsystem bewegt sich inzwischen im Haftar-Umfeld. Haftar verdankt Frankreich seinen Aufstieg. In den 1980er Jahren kämpfte er zunächst als Gaddafi-General gegen Frankreich im Tschad. 1987 wurde er gefangen genommen, wechselte die Seite und kommandierte fortan eine libysche Möchtegern-Rebellenarmee am Sitz der tschadischen Präsidialgarde.

Tschads von Frankreich unterstützter Präsident Hissène ­Habré wurde 1990 vom heutigen Präsidenten ­Idriss Déby gestürzt, die USA evakuierten Haftar und seine Rebellen. Erst 21 Jahre später, als Sarkozy im Krieg gegen Gaddafi Libyer mit Frankreich-Bezug suchte, machte der General wieder von sich reden.

Heute bekämpft Haftar mit Unterstützung Frankreichs die Regierung in Libyens Hauptstadt Tripolis – und stützt sich auf Gaddafis alten Militärapparat. Dieser Apparat hat zugleich das juristische Schicksal unzähliger Franzosen in der Hand. Sarkozy kommt voraussichtlich in diesem Jahr vor Gericht, ein politisches Erdbeben vor Frankreichs nächsten Wahlen 2022. Derweil müssen in Libyen unter Haftars Bomben Menschen sterben, um Pariser Reputationen zu wahren.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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5 Kommentare

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  • „Derweil müssen in Libyen unter Haftars Bomben Menschen sterben, um Pariser Reputationen zu wahren.“

    Ja geht`s noch?

    Und in diesen heillosen Kontext sog. Pariser Reputationen schließt Bundeskanzlerin Angela Merkel den französisch-deutsch Aachener Vertrag ausdrücklich mit Militärkomponente im Januar 2019 ab zur Bestärkung Elysee Vertrages 1963, an EU, Nato vorbei. Da waren längst Bundeswehrsoldaten in Mali mit, in Niger en passant ohne Bundestag Mandat stationiert, angeblich nur in sog. Ausbildungsmission

  • Ein ganz hervorragender Artikel.

    Danke hierfür.

  • Danke Dominic Johnson. Eine gute Zusammenfassung. Und ein gutes Beispiel dafür, was die westliche Wertegesellschaft eigentlich genau ist. Gaddafis Ermordung war für die Einigung afrikanischer Interessen ein erheblicher Rückschlag. In diesem Zusammenhang wäre auch eine Analyse der Verhältnisse in Mali interessant. Verbunden mit der Frage, warum Frankreich damals die unterstützende Hilfe von der Bundeswehr anforderte und auch bekam.

    Im Wertewesten hat man immer noch nicht begriffen, dass stabile Verhältnisse höher zu bewerten sind als demokratische Strukturen, die natürlich nur vom Wertewesten definiert werden dürfen.

    Sarkozy, der mittlerweile Le Pen deutlich rechts überholt hat, ist nur die Spitze eines Eisberges von Korruption und Heuchelei. Macron unterstützt den Banditen im Süden von Libyen, die restliche EU den Banditen in Tripolis. Ganz abgesehen davon, dass die vielen Warlords in Libyen auch noch unterschiedliche Interessen haben.

    Die deutsche Regierung sorgt sich in erster Linie nicht um die Menschen. Sie sorgt sich um mögliche Flüchtlingsströme und prüft ständig, wie sie den Banditen in Tripolis behilflich sein kann, damit die Flüchtlinge nicht Richtung Europa in See stechen.

  • Die Franzosen haben genug blutige Geschichte in Algerien. Sie sollten sich nicht schon wieder blutige Finger machen. Es ist nicht falsch die französischen Verbrechen in Algerien als Genozid zu bezeichnen.

  • 0G
    09617 (Profil gelöscht)

    Wenn Macron es wirklich ernst meint mit der "Rupture" , hätte er die Hilfe an Haftar eingestellt, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Sarkozy geht im Elysée Palast ein und aus, um den jungen Präsidenten einige Ratschläge zu geben, auch aussenpolitisch.



    Nein die abenteuerliche Afrikapolitik der Franzosen geht weiter, vor allem auch wegen der chinesischen Konkurrenz, deren Machteinfluss auf dem Kontinent täglich wächst.