Kolonialverbrechen an Herero und Nama: Scharfer Protest
Deutschland erkennt den Völkermord an Herero und Nama an und spricht von einer Einigung mit Namibia. Herero-Führer lehnen die Vereinbarung ab.
Aus deutscher Sicht sind damit die mehr als fünfjährigen Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über eine Anerkennung des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts und dessen Konsequenzen zu einem guten Ende gekommen. Man habe eine „Einigung über den gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte“ erzielt, führt das Auswärtige Amt aus.
Zum Inhalt der Einigung heißt es: „Als Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde, wollen wir Namibia und die Nachkommen der Opfer mit einem substanziellen Programm in Höhe von 1,1 Milliarden Euro zum Wiederaufbau und zur Entwicklung unterstützen. Bei dessen Gestaltung und der Umsetzung werden die vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften eine entscheidende Rolle einnehmen. Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung lassen sich daraus nicht ableiten.“
Bereits vergangene Woche hatte der deutsche Verhandlungsführer Rupert Polenz (CDU) erklärt, man habe sich geeinigt. Worauf genau, sagte er aber nicht, und die getroffene Vereinbarung ist nach wie vor nicht veröffentlicht. Nach namibischen Berichten wurde die Einigung am 15. Mai erzielt, zum Abschluss der neunten deutsch-namibischen Verhandlungsrunde.
Erster Schritt
In Namibia sind die Reaktionen zurückhaltend bis ablehnend, und von einer endgültigen Einigung ist nicht die Rede. Von einem „ersten Schritt“ sprach Alfredo Hengari, Sprecher von Namibias Präsident Hage Geingob.
Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sage Hengari am Freitag: „Die Anerkennung Deutschlands, dass ein Völkermord begangen wurde, ist der erste Schritt in die richtige Richtung“. Zwei Tage zuvor hatten ihn lokale Medien mit der Mitteilung zitiert, die „Sache“ sei im Kabinett behandelt worden und „der Präsident wird über die erste Phase des Prozesses Bericht erstatten und mit den betroffenen Gemeinschaften Schritte diskutieren“.
Die betroffenen Gemeinschaften – Namibias Herero und Nama, also die Nachkommen der Überlebenden des Völkermords – lehnen das bisherige Verhandlungsergebnis scharf ab und haben Proteste im Parlament angekündigt, sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Namibia reisen, um das Abkommen zu unterzeichnen.
„Deutsches Völkermordangebot, eine Beleidigung'“ titelte am Freitag Namibias führende unabhängige Tageszeitung Namibian. Laut namibischen Presseberichten sollen die 1,1 Milliarden Euro aus Deutschland über 30 Jahre gestreckt werden und lediglich in bereits bestehende staatliche Entwicklungspläne der namibischen Regierung einfließen.
Nicht von der Regierung vertreten
Hauptproblem ist, dass wichtige Führungspersönlichkeiten der Herero und Nama, die in Namibia der politischen Opposition zuneigen, sich nicht von der namibischen Regierung vertreten sehen und sich von den Verhandlungen mit Deutschland ausgeschlossen fühlen. Das Auswärtige Amt sagt, „Vertreter der Gemeinschaften der Herero und Nama waren auf namibischer Seite in die Verhandlungen eng eingebunden“. Wie Kritiker anmerken, heißt „eingebunden“ allerdings nicht, dass sie auch mit dem Ergebnis „einverstanden“ waren.
Die beiden Dachverbände der traditionellen Herero- und Nama-Führer, die Ovaherero Traditional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders Association (NTLA), lehnten das Verhandlungsergebnis bereits am Mittwoch auf einer Pressekonferenz ab, da es lediglich eine Versöhnung zwischen zwei Regierungen darstelle, aber nicht die betroffenen Gemeinschaften einschließe und keine Reparationen beinhalte. „Dies genügt nicht für das Blut unserer Ahnen“, sagte der „Paramount Chief“ der Herero, Vekuii Rukoro. „Wir werden bis zur Hölle gehen und wieder zurück, um zu kämpfen.“
Rukoro war 2015 nach Deutschland gereist, um seine Forderung nach Entschädigung offiziell zu präsentieren, war aber nicht offiziell empfangen worden. Die Bundesregierung hat Direktgespräche mit den betroffenen Gemeinschaften immer abgelehnt und gesagt, ihr Verhandlungspartner sei Namibias Regierung. Sie hat auch immer wieder darauf geachtet, dass aus einer Anerkennung des Völkermordes keine „Rechtsfolgen“ entstehen, also juristische Ansprüche auf Entschädigung.
Aus Angst vor solchen finanziellen Konsequenzen hatte sich bis jetzt die Bundesregierung vor einer offiziellen Anerkennung gedrückt. 2004 hatte die damalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) als erstes deutsches Regierungsmitglied überhaupt bei einem Namibia-Besuch das Wort „Völkermord“ für die Ereignisse von 1904 verwendet, was dann aber folgenlos blieb.
Position unverändert
Zed Ngavirue, der Verhandlungsführer der namibischen Regierung bei den Gesprächen mit Deutschland, wies die Herero-Vorwürfe zurück. Es sei immer klar gewesen, dass Deutschland „nicht in der Lage ist, unsere Verluste wiedergutzumachen“, sagte er laut namibischen Presseberichten. „Die Deutschen haben auf das reagiert, was wir auf den Tisch gelegt haben.“
Präsidentensprecher Hengari sagte, die offizielle Position Namibias bleibe unverändert: „Deutschland muss anerkennen, dass ein Völkermord stattfand, danach muss es eine Entschuldigung geben, und dann Reparationen für die betroffenen Gemeinschaften.“
In Deutschland erklärte die Aktivistenvereinigung „Berlin Postkolonial“, die sich für die Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen einsetzt, die Vereinbarung werde keine Versöhnung stiften, sondern „Frustration und Unfrieden“. Nach wie vor erkenne Deutschland den Völkermord in Namibia nicht völkerrechtlich – also mit einer Wiedergutmachungspflicht – an, „vielmehr stellt es seine Leistungen gegenüber Namibia als freiwillige Hilfsaktion dar“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse