Klimaproteste in Madrid: Groß, größer, unglaubwürdig

500.000 Menschen haben letzte Woche angeblich fürs Klima demonstriert: Mit so unrealistischen Zahlen tut sich die Bewegung keinen Gefallen.

Viele Demonstranten

Groß war die Demonstration in Madrid ohne Frage. Aber wie groß? Foto: Bernat Armangue/ap

Die Begeisterung kannte keine Grenzen. „500.000 Menschen auf den Straßen in Madrid! „Großartig – der Protest lebt!“, twitterte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, jubelte die deutsche Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer. Auch Greenpeace und die Grünen-Abgeordnete Bärbel Höhn verkündeten die gewaltige Zahl von Menschen, die aus Anlass der Weltklimakonferenz vor einer Woche in der spanischen Hauptstadt demonstriert haben sollen. Wäre sie korrekt, wäre es die größte Klimademonstration die Europa jemals erlebt hat.

Doch daran gab es schnell Zweifel: Die Polizei gab die Zahl der TeilnehmerInnen mit nur 15.000 an. Nun weiß jeder, der sich schon mal mit Demo-Zahlen beschäftigt hat, dass VeranstalterInnen und Polizei oft deutlich auseinander liegen und die Wahrheit meistens dazwischen liegt: Die Polizei schätzt die Teilnehmerzahl nach meiner Erfahrung oft zu einem sehr frühen Zeitpunkt, wenn sich noch gar nicht alle eingefunden haben. Die VeranstalterInnen sind beim Schätzen dagegen eher etwas großzügiger, um die eigene Aktion möglichst erfolgreich wirken zu lassen – das weiß ich nicht nur aus meinen zahlreichen Demo-Beobachtungen als Journalist, sondern auch aus der Zeit, als ich noch selbst an der Organisation von Demonstrationen mitgewirkt habe.

Ein Faktor von 2 bis 3 zwischen den verschiedenen Angaben kommt darum durchaus häufiger vor. Ein Faktor von 33 ist dagegen sehr ungewöhnlich – und lässt schon die Frage aufkommen, wer da so gewaltig danebenliegt. Und dabei sieht es leider dieses Mal für die Veranstalter nicht gut aus.

Die Frage, wie die Zahl der angeblichen 500.000 TeilnehmerInnen ermittelt wurde, beantwortet niemand von denen, die sie genannt haben. Den einzigen konkreten Hinweis liefert Nick Heubeck, einer der deutschen FFF-Sprecher, mit der Angabe, dass der Demozug zwei Stunden gebraucht habe, um unter der Brücke hindurch zu ziehen, auf der er stand. Das zeigt jedoch gerade, wie überhöht die Zahl ist: Selbst wenn über den gesamten Zeitraum pro Minute 1.000 Menschen vorbeigezogen sein sollten – was eigentlich nur bei sehr breiten und dichten Demoblöcken der Fall ist – wären das in zwei Stunden nur 120.000 Menschen.

Interessant war dabei übrigens, wie die verschiedenen Akteure auf die Zweifel an den Zahlen reagierten. Während FFF-Sprecher Heubeck erklärte, wer von zehn- statt hunderttausenden TeilnehmerInnen spreche, „hat die Bilder nicht gesehen oder will diskreditieren“, ruderte Greenpeace zumindest ein bisschen zurück: „Es scheint, dass hier eventuell übertrieben wurde“, erklärte der Umweltverband.

Mit einer Überschätzung der Teilnehmerzahl um mindestens den Faktor 5 sind die KlimaaktivistInnen zwar durchaus in guter Gesellschaft – bei der Silvesterfeier am Brandenburger Tor etwa übertreibt die Stadt Berlin die Besucherzahl stets in der gleichen Größenordnung. Doch eine gute Idee sind solche Phantasiezahlen trotzdem nicht.

Selbst wenn sie geglaubt werden und einmalig schöne Schlagzeilen bescheren, schaden sie einer Bewegung langfristig – denn jede folgende Aktion, bei der ehrlicher gezählt wird, wirkt dagegen dann plötzlich winzig. Und wenn, wie in diesem Fall, selbst sympathisierenden Beobachtern klar ist, dass die Angaben völlig unrealistisch sind, gefährdet das die Glaubwürdigkeit der Beteiligten. Gerade eine Bewegung, die sich sonst stets auf Wissenschaftlichkeit beruft, sollte auch bei ihren eigenen Zahlen genau sein.

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Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.

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