Klimaklage gegen RWE: Wie sicher stürzt der Gletscher?
Saúl Luciano Lliuya klagt gegen RWE. Im Prozess hängt vieles an der Frage, wie wahrscheinlich ein schmelzender Gletscher sein Haus verwüsten wird.

Lliuya arbeitet als Bauer und Bergführer in den peruanischen Anden. Weil ein Gletscher schmilzt, fürchtet er, dass ein See oberhalb seines Hauses überläuft. Wenn ein großer Eis- oder Felsblock in den See stürzt, könnte es zu einer gigantischen Flutwelle kommen, die sein Haus und die nahe Stadt Huaraz verwüstet.
Er verklagt RWE, weil der Konzern als einer der größten CO₂-Emittenten weltweit für etwa 0,38 Prozent des CO₂-Ausstoßes seit der Industrialisierung verantwortlich sein soll. Mit der Klage will Lliuya erreichen, dass RWE sich finanziell an Schutzmaßnahmen gegen eine Überflutung beteiligt. Am Montag fand der erste Prozesstag seit 2017 statt.
In einem technischen Für und Wider versuchte das Gericht zu klären, wie hoch das tatsächliche Risiko ist, dass Lliuyas Haus in den nächsten 30 Jahren durch eine Flutwelle beschädigt wird. Dazu befragten die Richter*innen den Sachverständigen Katzenbach. Der Professor für Geotechnik an der Technischen Universität Darmstadt hatte zwei Gutachten geschrieben und kam zu dem Schluss, dass das Risiko bei unter drei Prozent liege. Anwältin Verheyen kritisierte, dass darin potenzielle Felsstürze und der tauende Permafrost nicht ausreichend berücksichtigt seien.
Gutachten gegen Gutachten
Ein Gutachten, das von den Anwält*innen Lliuyas in Auftrag gegeben wurde, kommt dagegen auf ein Risiko von mindestens 30 Prozent. Die beiden Gutachten unterscheiden sich vor allem darin, dass das Gutachten der Klägerseite das konkrete Risiko für Huaraz und Lliuyas Haus aus Eis- und Felsstürzen in anderen Gebirgen ableitet.
Katzenbach besteht hingegen darauf, dass die Risikoeinschätzung auf einer „ortskonkreten“ Betrachtung basieren müsse. „Es gibt so viele lokale Einflüsse auf Felsstürze, ich käme gar nicht auf die Idee, das von woanders zu übertragen.“ Ein Vergleich zwischen Alpen und Anden beispielsweise sei wie der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.
Verheyen sagte, auch ihr Gutachten sei ortskonkret, nutze aber bessere Methoden. Katzenbach stimmte zu, dass das Gutachten der Klägerseite anhand von Satellitenbildern sehr gut darstelle, warum ein Felssturz möglich ist. Es helfe aber nicht dabei, die Wahrscheinlichkeit dieses Felssturzes zu berechnen. Selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Überschwemmung, so Katzenbach, wäre die Flutwelle nur 20 Zentimeter hoch und käme nur im Schritttempo voran.
Die drei Richter*innen müssen entscheiden, ob Lliuya dadurch ausreichend beeinträchtigt wäre, um RWE zu Schadensersatz verpflichten zu können. Auch müssen sie letztlich bestimmen, wessen Definition von „ortskonkret“ sie folgen.
Gibt es eine rechtliche Grundlage?
In der Folge sehr dramatisch wäre die Entscheidung aber noch aus einem anderen Grund: Ein Urteil wäre ein Präzedenzfall für die deutsche Justiz. RWE argumentiert, dass es keine rechtliche Grundlage gebe, um einzelne Emittenten für globale Folgen des Klimawandels zivilrechtlich haftbar zu machen, weil dann auch jede*r Einzelne in Deutschland verklagt werden könne, wenn er zum Beispiel einen Verbrenner fährt.
Dieser Auffassung widersprach Richter Rolf Meyer gleich zu Anfang des Prozesstages. Der durchschnittliche CO₂-Ausstoß eines Menschen in Deutschland ist weit geringer ist als der RWEs – die Argumentation des Konzerns schüre eine unberechtigte Angst. Stattdessen gehe es um das Spannungsfeld zwischen dem Schutz des Eigentums und der unternehmerischen Freiheit, aber auch der Verantwortung von RWE. Das sei besonders deswegen interessant, weil nur das Risiko besteht, dass Lliuyas Haus von einer Überschwemmung beschädigt wird, der konkrete Fall aber noch nicht eingetreten ist.
Nur rund 20.000 Euro, aber ein Präzedenzfall
Sollte Lliuya Recht bekommen, müsste RWE wohl nur rund 20.000 Euro zahlen, um Schutzmaßnahmen mitzufinanzieren. Aber Kläger*innen weltweit hätten einen Präzedenzfall, um mindestens in Deutschland fossile Konzerne vor Gericht zu bringen.
Das OLG Hamm erkannte die Klage schon 2017 als zulässig an: CO₂-Emissionen können auch dann zu Schadenersatz verpflichten, wenn die Kraftwerke staatlich genehmigt wurden. „Im Prinzip haben wir schon gewonnen“, sagte Verheyen nach dem ersten Prozesstag. Nur könnte es sein, dass Lliuya am Ende nichts davon hat.
Die Fragen an Katzenbach wurden am späten Nachmittag unterbrochen. „Wir sind alle an unsere Grenzen gekommen“, sagte Richter Meyer, der mit fortschreitender Zeit immer verzweifelter die Stirn runzelte. Am Mittwoch geht es weiter. Entschieden wird dann vorerst nur über das Risiko. Sollten die Richter*innen dieses als hoch genug einschätzen, ist noch in diesem Jahr ein Urteil möglich.
Bis Mittwoch haben Lliuyas Team und RWE auf jeden Fall Zeit, sich auszutauschen: Sie sind im selben Hotel untergebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Kampf gegen die Universitäten
Columbia knickt ein
Rüstungsausgaben
2,5 Milliarden für eine Whatever-it-takes-Fregatte
Babyboomer in die Grundschulen
Der alte weiße Mann in seiner schönsten Form
Generelle Reform der Schuldenbremse
„Die Union wird mit der Linken sprechen müssen“
Ergebnis der Abstimmung
Pariser wollen Hunderte Straßen für Autos dichtmachen
100. Todestag von Rudolf Steiner
Nichts zu danken