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Klimaforscher über Lobbymacht„Exxon hat hinters Licht geführt“

Klimaforscher Stefan Rahmstorf glaubt nicht mehr, dass er mit Gutachten zur Politik durchdringt. Ein Gespräch über die Lobbymacht fossiler Konzerne.

Der Ölkonzern ExxonMobil hat Rekordeinnahmen für das Jahr 2022 gemeldet Foto: getty
Susanne Schwarz
Interview von Susanne Schwarz

taz: Herr Rahmstorf, der Ölkonzern Exxon wusste schon jahrzehntelang, dass die Verbrennung von fossilen Kraftstoffen die Erde aufheizen würde. Sie haben gerade die damaligen Arbeiten der konzerneigenen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen analysiert. Was genau wusste Exxon?

Im Interview: Biokasten Stefan Rahmstorf

Stefan Rahmstorfwurde 1960 in Karlsruhe geboren. Er gehört zu den weltweit führenden Klima­forscher:innen und ist am renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung tätig.

Stefan Rahmstorf: Die erste Klimaprojektion von Exxon aus den Siebzigerjahren kam auf eine noch stärkere Erwärmung, als sie dann eingetreten ist. Seit den Achtzigerjahren stimmen die Projektionen von Exxon sehr genau. Sie waren sogar noch ein bisschen genauer als die, die zeitgleich in akademischen Forschungsinstitutionen entstanden sind.

Hat Sie das erstaunt?

Ja. Es ist schon länger bekannt, dass die fossilen Energiekonzerne letztlich wussten, was sie verursachen. Aber dass sie so intensiv geforscht haben und so präzise Modelle hatten, das hat mich schon überrascht. Übrigens hat kein einziges von diesen Modellen auch nur im Entferntesten erwarten lassen, dass es durch die fossile Energienutzung keine Erderwärmung geben wird. Das ist es aber, was der Konzern in der Öffentlichkeit behauptet hat.

Wie lief das ab?

Man hat zum Beispiel in großen amerikanischen Tageszeitungen über Jahre hinweg sogenannte Advertorials finanziert. Das Motto: Wir wüssten ja gar nicht, ob es eine Erderwärmung geben werde und ob das schlimm sei. Exxon wusste nicht nur ganz genau, was für ein Problem das Öl verursacht. Der Konzern hat auch mit hohem Aufwand gezielt die Öffentlichkeit hinters Licht geführt.

Vor ein paar Wochen hat ExxonMobil Rekordeinnahmen für das Jahr 2022 gemeldet, andere Ölkonzerne ebenso. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so etwas hören?

Mir geht als Erstes durch den Kopf, dass diese Konzerne durch diesen Reichtum einen großen Einfluss auf die Politik haben. Die Lobbymacht dieser Konzerne erhöht sich weiter. Das ist erschreckend.

Sie können sich als einer der weltweit führenden Kli­ma­for­sche­r:in­nen auch Gehör verschaffen, saßen zum Beispiel im renommierten Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, dem WBGU. Was hat das gebracht?

Was die direkte Wirkung auf die Bundesregierung angeht, bin ich skeptisch geworden. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Politiker gerne den wissenschaftlichen Rat annehmen, der ihnen ins Konzept passt. Was ihnen nicht passt, machen sie auch nicht. Trotzdem glaube ich, dass es sehr wichtig ist, solche Beratungsgremien zu haben. Die Gutachten des WBGU sind nicht nur zur Politikberatung da, sondern informieren auch Medien und die Öffentlichkeit.

Warum kommen Sie bei der Politik trotz Ihrer ausgewiesenen Expertise nicht durch?

Um es mal ein bisschen plakativ zu formulieren: Konzernchefs haben die Handynummer des Kanzlers oder der Kanzlerin. Zu der Vorstellung unserer wissenschaftlichen Gutachten kommt mit etwas Glück mal ein Minister für eine Stunde. Und ich bin sicher, dass ein Großteil der Bundestagsabgeordneten von den Berichten des Weltklimarats IPCC nicht einmal die Zusammenfassung für Entscheidungsträger gelesen hat.

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen des IPCC gingen 2021 laut einer Umfrage mehrheitlich davon aus, dass sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten um 3 Grad aufheizen wird. Wie sähe diese Welt aus?

Das Erste, was man wissen muss: 3 Grad im globalen Mittel bedeutet auf vielen Landgebieten 5 oder 6 Grad, denn die Ozeane erwärmen sich langsamer und insgesamt weniger. Auch in Deutschland sehen wir ja schon eine Erwärmung um 2,4 Grad seit dem 19. Jahrhundert, während der globale Mittelwert nur um 1,2 Grad angestiegen ist. 5 bis 6 Grad Erwärmung hier bedeuten ein Klima, an das unsere ganzen Ökosysteme einfach nicht angepasst sind.

Also zum Beispiel, dass die Landwirtschaft große Probleme bekommen könnte. Oder eigentlich schon hat: 2022 ist die Gemüseernte zurückgegangen, unter anderem wegen Hitze und Dürre.

Und es gibt nicht-lineare Effekte. Das heißt: 3 Grad Erderwärmung ist nicht dreimal schlimmer als 1 Grad Erderwärmung, sondern die Folgen nehmen überproportional zu. Es wird auch ganz neuartige Formen von Wetterextremen geben. Eine 3-Grad-Welt möchte ich meinen Kindern auf keinen Fall zumuten. Wenn es tatsächlich regional massive Dürre-Probleme gibt und nicht unwahrscheinlich Hungersnöte, fürchte ich um die politische Stabilität. Das begünstigt Konflikte zwischen und innerhalb von Staaten, den Aufstieg von Populisten mit scheinbar einfachen Antworten und die Gefahr des Zerfalls der Gesellschaft. Diese Risiken haben wir mit dem WBGU übrigens schon 2007 in einem Gutachten namens „Sicherheitsrisiko Klimawandel“ beschrieben.

Deshalb soll möglichst bei 1,5 Grad Erderhitzung Schluss sein, so steht es im Pariser Klimaabkommen. Eine Studie der Uni Hamburg kam kürzlich zu dem Schluss, das sei abwegig. Sehen sie das auch so?

„Unplausibel“ war der Wortlaut, glaube ich. Das ist aber letztlich eine politische Einschätzung. Aus Sicht der Physik spricht nichts dagegen, die 1,5 Grad noch einzuhalten.

Das würde bedeuten, die CO2-Emissionen in den kommenden sieben Jahren weltweit zu halbieren und bis 2050 klimaneutral zu werden. Im vergangenen Jahr sind die Emissionen wieder gestiegen.

Natürlich, das ist eine sehr große Aufgabe, aber die Alternative ist schlimmer. Und man muss sagen: So lange wir die fossile Energienutzung immer noch subventionieren und in Deutschland die simpelsten Maßnahmen wie ein Tempolimit nicht einführen, so lange kann man nicht behaupten, dass ernsthaft versucht wurde, die Erderwärmung zu stoppen.

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6 Kommentare

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  • "....dass die fossilen Energiekonzerne letztlich wussten, was sie verursachen."

    Merkwürdige Argumentation. Das wussten für ihre Bereiche auch die Tabakkonzerne seit Jahren oder auch Süßwaren Hersteller wie Haribo, Coca Cola oder auch Pommes-Frites-Hersteller usw.

    Man könnte hunderte Firmen nennen. Jahrzehntelang verschwieg z.B. DuPont, wie giftig die Chemikalie PFOA ist.



    Die Verantwortlichen, die an Japans Küste ein AKW gebaut haben, dass letztlich im Super GAU endete, wussten auch, was passieren kann.

    Im Gegensatz dazu haben die großen Ölkonzerne VOR ÜBER 10 JAHREN eindringlich deutlich gemacht, dass CCS - Carbon Capture & Storage - unbedingt notwendig sei, um das Klima zu retten. Die haben sogar viel Geld an Forschungsgelder bereitgestellt, ohne Einfluss auf die Ergebnisse zu nehmen.



    Was ist passiert? Greenpeace hat dazwischengefunkt und die Halbwissenden sind den Halbwissenden gefolgt. Politiker hatten die Hosen voll (v.a. Bürgermeister auf den Nordseeinseln). Wenn ich recht informiert bin, war R. Habeck damals entschiedener Gegner von CCS.

    Man muss schon die ganze Wahrheit auf den Tisch legen und nicht nur die Argumente nennen, die einem gerade gut passen.



    Tatsache ist, dass wir alle mehr oder weniger verrückt sind und Dinge tun, die wir besser sein ließen.



    Um uns vor Willkür der Industrie zu schützen, sind eigentlich Politiker im Amt. Die verstehen aber oft überhaupt nicht, worum es geht.



    Aber das galt vor 70 Jahren genauso!

    Also - Bürger und Wissenschaftler müssen aufeinander zugehen und sich informieren. Schluss mit der Forschung im Elfenbeinturm.

    Beim Thema Fracking drehen aber viele schon sofort durch. Lieber Fracking Gas aus den USA kaufen, das vielleicht 10 x so teurer ist.



    Der Irrsinn, der zweifellos auch in der Bevölkerung vorhanden ist, ist schon bemerkenswert.



    Stichwort - Aluhut und Bill-Gates-Verschwörung.

  • Nichts Neues. Exxon = Destruction an Lies

  • www.bloomberg.com/...GUSUlraS#xj4y7vzkg

    Big paychecks are a big incentive to be corrupt...

  • Der eigentliche Skandal ist doch, dass die politisch Handelnden sehr wohl wissen dass sie von den Lobbyisten im Grunde von vorn bis hinten beschissen werden und das einfach so hinnehmen.



    Über das Warum kann man trefflich spekulieren aber persönliche Erwägungen spielen sicher eine wichtige Rolle.

  • In dem Text gibt es eine Widerholung.

    "Vor ein paar Wochen hat ExxonMobil Rekordeinnahmen für das Jahr 2022 gemeldet, andere Ölkonzerne ebenso. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so etwas hören?

    Mir geht als Erstes durch den Kopf, dass diese Konzerne durch diesen Reichtum einen großen Einfluss auf die Politik haben. Die Lobbymacht dieser Konzerne erhöht sich weiter. Das ist erschreckend."

    ist 2x im Text

    • @sociajizzm:

      Stimmt, allerdings lassen wir sowas zu! Exxon, Shell, Total, usw. investieren aber auch in Forschung.



      Dass die nicht alle gleich die Gefahren auf den Tisch legen, dürfte einleuchten. Dafür sind Wissenschaftler auch da. Siehe Hoimar von Ditfurth oder Hans Haber - alles lange her. Gekümmert hat das nur wenige Leute.



      Manche interessieren sich halt vornehmlich und dauerhaft nur für Fußball!!!