Kein Bargeld für Hamburger Asylsuchende: Am Alltag gehindert
„Schnell“ und „diskriminierungsfrei“ soll die Bezahlkarte sein, mit der Asylsuchende in Hamburg einkaufen müssen. Doch für Omar ist sie das Gegenteil.
Omar kommt gerne hierher. Hier gibt es syrische und palästinensische Spezialitäten zu kaufen. Hier ist das Gemüse günstiger als in den Discountern, in denen der junge Asylbewerber aus Gaza sonst einkauft. Hier trifft er immer wieder auf Bekannte und Freunde, unterhält sich kurz auf Arabisch, zieht dann weiter. „Kaufen kann ich hier kaum etwas“, sagt Omar schulterzuckend.
Der Grund: Viele der Geschäfte nehmen nur Bargeld. Das ist für Asylbewerber:innen in Hamburg seit Februar dieses Jahres Mangelware. Als erstes Bundesland führte der Stadtstaat die Bezahlkarte ein. Die Leistungen für Asylbewerber:innen, die in Erstaufnahmeeinrichtungen leben, werden seitdem auf die sogenannte SocialCard überwiesen.
Einem ledigen Erwachsenen stehen im Monat, zusätzlich zu warmen Mahlzeiten und Sachleistungen, 185 Euro zur Verfügung. In bar können davon nur 50 Euro abgehoben werden. Überweisungen sind nicht mehr möglich.
Die Ministerpräsident:innenkonferenz beschloss Ende 2023, dass die Bezahlkarte bald auch bundesweit eingeführt werden soll. In Hamburg sind davon jetzt 2.440 Menschen betroffen.
Massive Einschränkung der Freiheit
„Der Hamburger Senat setzt eindeutig AfD-Politik um“, sagt eine Freiwillige der Initiative „Nein zur Bezahlkarte“, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Einführung der Bezahlkarte stelle eine massive Einschränkung der Freiheit von Asylsuchenden dar und belaste die Menschen in ihrem alltäglichen Leben, so die Freiwillige.
„Einkaufen auf Flohmärkten, in kleinen Obst- und Gemüseläden, auf Ebay oder im Second-Hand-Laden wird durch die Bezahlkarte unmöglich gemacht.“ In vielen solcher Läden sei nur Barzahlung möglich. Dabei seien Asylbewerber:innen auf genau diese günstigen Einkaufsmöglichkeiten angewiesen. „Die Bezahlkarte ist in höchstem Maße rassistisch und diskriminierend“, sagt sie.
Omar ist breit gebaut, trägt eine schwarze Weste über seinem weißen Hoodie, spricht ruhig, aber bestimmt. Er ist freundlich, zuvorkommend, trotzdem bleibt sein Gesicht meist ernst. Der 25-Jährige lebt seit sechs Monaten in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg.
Er würde gerne studieren und als Lehrer arbeiten, wie in seiner palästinensischen Heimat, erzählt er. Heute möchte Omar eine neue SIM-Card kaufen. „Ich komme zum Einkaufen am liebsten zum Steindamm“, sagt er. Hier fühle er sich wohl, könne seine Muttersprache sprechen und die Dinge kaufen, die er seit seiner Flucht vermisse.
Der junge Palästinenser betritt einen Handyladen, ein Aufsteller bewirbt günstige Verträge. „Kann ich auch mit dieser Karte bezahlen?“, fragt Omar und hebt die blaue SocialCard, die wie eine Visa-Card funktioniert. Der Ladenbesitzer schüttelt den Kopf. „Gerät kaputt“, erklärt er entschuldigend.
Omar verlässt den Laden unverrichteter Dinge – das kostbare Bargeld möchte er nicht für die SIM-Card aufwenden. „Das ist keine Ausnahme. Immer wieder kommt es vor, dass ich aus irgendeinem Grund nicht mit der Bezahlkarte zahlen kann“, sagt er kopfschüttelnd.
Zu wenig Geld
Häufig sei es schon vorgekommen, dass die Ladenbesitzer:innen eine Gebühr von fünf Euro verlangten, als er mit der SocialCard zahlen wollte, berichtet er. Fünf Euro, die Omar nicht entbehren kann – die 185 Euro reichten gerade so aus, um die monatlichen Kosten zu decken.
Die Einschränkung, die die Bezahlkarte mit sich bringe, belaste seinen ohnehin schmalen Geldbeutel so zusätzlich und erschwere es, am alltäglichen Leben teilzunehmen. Einen Tee trinken zu gehen, werde so zur Herausforderung – und zum Hindernis, in Deutschland anzukommen. „Bevor ich ein Restaurant oder Laden betrete, frage ich immer, ob die Bezahlkarte funktioniert“, sagt Omar. Ohne Bargeld in der Tasche falle eine Art Sicherheitsnetz weg.
In einer Pressemitteilung von Februar schreibt die Hamburger Sozialbehörde über die Bezahlkarte: „Sie ermöglicht einen schnellen, unkomplizierten und diskriminierungsfreien Zugang zu staatlichen Geldleistungen.“ Außerdem reduziere sie die Belastung der bezirklichen Zahlstellen und spare Zeit und Wege der Asylbewerber:innen – vor Einführung der Bezahlkarte mussten sie jeden Monat in die Behörde kommen, um die Leistungen bar abzuholen.
Ein weiterer Grund, den die Sozialbehörde für die Einführung der Bezahlkarte anführt: Man wolle verhindern, dass staatliche Gelder an „kriminelle Schleppernetzwerke“ weitergeleitet würden. Aus Gesprächen der taz mit der Sozialbehörde geht hervor: Belege dafür, dass dies vorher passiert ist, gibt es keine.
Trotzdem sei man mit dem Projekt der Bezahlkarte bisher überaus zufrieden, heißt es in der Behörde. Beschwerden von Asylbewerber:innen würden sie kaum erreichen.
Auf eine schriftliche Anfrage der taz antwortet ein Pressesprecher, die Nutzer:innen der Bezahlkarte seien erleichtert, nicht mehr jeden Monat Bargeld bei den bezirklichen Kassen abholen zu müssen.
Wenig erleichtert scheinen die rund 50 Asylbewerber:innen, die an dem ersten Freitag im September im „Café Exil“ in Hamburg-Wandsbek Schlange stehen, um Gutscheine von Supermärkten und Drogerien gegen bares Geld einzutauschen.
Hier organisiert die Initiative „Nein zur Bezahlkarte“ zweimal im Monat eine Möglichkeit, die Einschränkung der Bezahlkarte zu umgehen: Freiwillige strecken der Initiative Bargeld vor, das den Asylsuchenden im Tausch gegen Gutscheine ausgehändigt wird.
Der kleine Raum füllt sich schnell, junge Männer und Frauen, die Gutscheine von Rewe oder Edeka in der Hand halten, unterhalten sich leise in der Schlange. An der Wand hängt ein großer Schriftzug aus Silberpapier: „Fight Racism“, außerdem zieren viele bunte Plakate den Raum.
Die Freiwilligen, die auf türkis gepolsterten Stühlen an kleinen Schreibtischen sitzen, checken zuerst, ob die Nummer auf dem Kassenbon mit der jeweiligen Gutscheinnummer übereinstimmt. Dann übergeben sie den Asylsuchenden das Bargeld.
„Viele kommen jeden Monat – die meisten kaufen einen Gutschein für 100 Euro und tauschen ihn ein.“ Der Weg, den die Menschen vor der Einführung der SocialCard jeden Monat zur Behörde zurücklegen mussten, fällt also nicht weg, sondern führt viele ins Café Exil und andere Tauschstellen, die Ehrenamtliche organisieren.
Klagen gegen Bargeldgrenze
Auch in anderen Städten, etwa in München, wird das System der Bezahlkarte inzwischen von verschiedenen Initiativen ausgetrickst. Geklagt hat dagegen noch niemand. „Glücklich dürfte der Hamburger Senat aber nicht sein. Schließlich umgehen wir so die Repression Geflüchteter, die mit der Bezahlkarte praktiziert wird“, erklärt ein junger Freiwilliger der Initiative, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“ trägt.
Gegen die Bargeldgrenze haben dagegen schon zwei Aslysuchende, die ihre Leistungen per Bezahlkarte erhalten, geklagt. Eine Klägerin bekam recht: Aufgrund ihrer Schwangerschaft, so entschied das Landessozialgericht, musste die Bargeldgrenze angehoben werden. Pauschal dürfe sie also nicht auf 50 Euro festgelegt werden.
Die Stadt legte Beschwerde gegen das Urteil ein, eine Entscheidung steht noch aus. Die zweite Klage eines Asylsuchenden scheiterte: Das Landessozialgericht entschied, dass die Bargeldgrenze in seinem individuellen Fall rechtmäßig war. Nahe liegt, dass der Verwaltungsaufwand durch die Einführung der Bezahlkarte also – im Gegenteil zur Aussage der Sozialbehörde – erheblich steigen könnte, wenn das Landessozialgericht in jedem Einzelfall entscheiden muss, ob die Bargeldgrenze rechtmäßig ist. Eine schriftliche Nachfrage der taz dazu ließ die Sozialbehörde bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Auch Omar tauscht im Café Exil regelmäßig Gutscheine gegen Bargeld. Trotzdem bleibe die Bezahlkarte eine Belastung, sagt er. Er fühle sich abhängig von der Arbeit der ehrenamtlichen Initiative, häufig wartete er ungeduldig auf die Tauschgelegenheit. Klagen will Omar nicht, er hat andere Sorgen: Aktuell fürchtet er seine Abschiebung nach Belgien.
Während auf dem Steindamm links und rechts Männer und Frauen mit Einkaufstüten voller Tomaten und frischen Kräutern an ihm vorbeilaufen, winkt er mit dem Blick auf den Gemüseladen ab. „Die nehmen die Bezahlkarte hier nicht“, weiß Omar. Schon mehrmals sei er da gewesen – demütigend fühle es sich an, Lebensmittel wieder zurück in die Regale legen zu müssen, weil kein Bargeld vorhanden sei.
Der nächste Versuch: Diesmal möchte Omar Nabulsiyeh, eine palästinensische Süßspeise aus Käse, Zuckersirup und geröstetem Fadenteig, kaufen. Im Laden, den er betritt, begrüßt der Verkäufer Omar mit Handschlag. Baklava und andere Leckereien liegen auf kleinen weißen Präsentiertellern aus. Omar bestellt eine Portion Nabulsiyeh, die der Verkäufer abschneidet und in der Mikrowelle warm macht. Wieder hält Omar ihm seine Bezahlkarte entgegen – und wieder wird er vertröstet. Gerade kein Kartengerät da.
Omar zögert kurz, zückt dann einen 20-Euro-Schein, mit dem er die Süßspeise bezahlt. Häufig wird der junge Mann das diesen Monat nicht machen können. „Es tut gut, etwas aus meiner Heimat zu essen“, sagt Omar, während er grinsend Zuckersirup über das Gebäck gießt.
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