piwik no script img

Karneval in CoronazeitenSchunkeln mit Abstand

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Gesundheitsminister Spahn hat sich für die Absage des Karnevals ausgesprochen. Warum lässt man die Jecken nicht erst mal ein Hygienekonzept erstellen?

Fünfte Jahreszeit gecancelt? Foto: Ralph Peters/imago

W ie ausgerechnet das alkoholgetränkte Massenspektakel Karneval mit all dem Geschunkel und Geknutsche in Coronazeiten funktionieren soll, ist vielen schleierhaft. Offenbar auch Jens Spahn. Deshalb hat sich der Gesundheitsminister jetzt schon im August für eine Komplettabsage des Karnevals bis einschließlich Aschermittwoch ausgesprochen. Doch das wäre falsch.

Kategorische Ganz-oder-gar-nicht-Aussagen sind nicht das geeignete Mittel, um Verständnis für die wirklich nötigen Coronamaßnahmen zu wecken. Im Gegenteil: Langfristige Totalverbote führen nur zu unnötigem Frust und Widerstand. Davon gibt es ohnehin mehr als genug. Wer möchte, dass sich die Bürger*innen weiter an die Abstands- und Mundschutzregeln halten, muss ihnen auch Perspektiven bieten, wie sie trotzdem ihrer Arbeit und ihren liebsten Hobbys nachgehen können.

Karneval als liebstes Hobby? Tja, was an lauen Witzen mit Tusch und ritualisierten Räuschen nach Terminkalender reizvoll sein soll, mag für viele außerhalb des Rheinlands so unverständlich sein wie für den Autor dieser Zeilen. Aber Geschmacksfragen dürfen bei den Coronaregeln keine Rolle spielen, sonst gefährden sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt noch mehr. Wenn es nun einmal viele Karnevalist*innen im Land gibt, die nicht schon im Sommer die Hoffnung auf Spaß im Februar aufgeben wollen, dann sollten sie die Gelegenheit bekommen, Hygienekonzepte zu entwickeln – wie alle anderen.

Es kann nicht sein, dass inzwischen sogar Bordellbesuche wieder erlaubt werden, aber gleichzeitig jetzt schon Rosenmontagsumzüge unter freiem Himmel pauschal verboten werden. Logisch: Wenn die zweite Coronawelle bis dahin wirklich alles überschwemmt, ist Schluss mit lustig. Und allzu viel Geld sollten Karnevalist*innen nicht in die Vorbereitung investieren. Aber wenn es gut läuft: Lasst sie feiern! Ein strenges Reglement sind Karnevalist*innen gewohnt, die Säle sind ohnehin längst gebucht – und eine Maskenpflicht wäre bei diesem Fest das geringste Problem.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Auf der Domplatte wird eh zu viel gegrapscht

  • Genau. Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal...

    Spahn hat - das sei ihm als Westfalen jetzt mal großzügig zugestanden - wenigstens eine gewisse Mindestnähe zum Karneval und möglicherweise auch ein größeres Verständnis dafür als Herr Wallraff. Denn er hat natürlich Recht:

    Straßen- und Kneipenkarneval ist im Wesentlichen selbstverordnete Enthemmung. Gewissenhafte Corona-Prävention ist dagegen selbstverordnete HEMMUNG - ohne "Ent-". Dieser Zielkonflikt ist nicht aufzuheben. Allein schon das ständige Aufpassenmüssen ist genau nicht, was Karneval ausmacht.

    Und dieser Teil des Karnevals mit brauchbarem und einigermaßen strikt durchgehaltenem Hygienekonzept wäre daher nicht nur Karneval mit angezogener Handbremse sondern mit Bremspedal am Bodenblech, voll im ABS: Einzelne Menschen, die sich - auf Abstand stehend - unter Absingen schmutziger (als solche aber für Hochdeutsche nicht verständlicher) Lieder zünftig einen hinter die Binde kippen, wäre kein Kneipenkarneval. Eine Kneipe, in der sich nicht auf jedem Corona-Einzelpersonenfreiraum-Äquivalent (also knapp 5 Quadratmeter) eine halbe Busladung Feierwütiger aneinander reibt, ist für Karnevalisten ein leerer, kalter, offensichtlich unbeliebter Ort. Schnell raus da...

    Insofern jo - ein geeignetes Hygienekonzept für diesen Teil des Karnevals wäre: Es gibt keins. Alles andere wäre unverträglich.

    Was nicht heißen soll, dass man keinen Spaß haben könnte. Ich erwarte entsteifte Sitzungen, "Straßenkarneval" in Form von Kleinstpartys, die straßenweise miteinander am Balkon feiern, und andere, kreativere Lösungen. Aber sicher keine halbleeren Kneipen, in denen auf Kommando "Stimmung!" herrscht. Da kann man ja auch gleich Pils trinken...

  • "Warum lässt man die Jecken nicht erst mal ein Hygienekonzept erstellen?" wie soll das denn aussehen? Ganzkörper-Kondome?

    • @joaquim:

      "Der Postillon" hat da eine Lösung: www.der-postillon....karneval-2021.html

      • @Miller42:

        Bitte nicht! Sonst kommen sie in München noch auf die Idee, einfach Lederhosen oder Dirndl drauf zu malen und Oktoberfest geht doch.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @joaquim:

      Diesjähriges Motto: Köln fliegt ins Weltall