Kampf gegen die Klimakrise: Nicht ob, sondern wie

Deutschland ist in der Klimakrise wenig zukunftsbereit. Die Herausforderungen sind groß, die Gestaltungskraft auch.

Ein Mann liegt auf einer Parkbank und schläft

Deutschland verschläft seine Zukunft, dabei sollte die wirtschafliche Lage alarmieren Foto: Marius Becker/dpa

Deutschland musste in den vergangenen Jahrzehnten kaum große Schritte wagen, um die Bedingungen für seinen Wohlstand zu sichern. Vom Wirtschaftswunder über die Wiedervereinigung bis hin zur Bewältigung der Eurokrise: man hat es geschafft, vielen Bürgern ein gutes und sicheres Leben zu ermöglichen. Diese insgesamt gute Bilanz wurde entscheidend durch günstige Umstände wie die von den USA geprägte liberale internationale Ordnung ermöglicht.

Doch zu Beginn der 2020er Jahre hat sich die Situation grundsätzlich geändert: Nicht nur die Digitalisierung erfordert tief greifende Reformen traditionell starker Wirtschaftszweige, nationalistische Regierungen untergraben den Multilateralismus und den freien Welthandel, von dem der Exportweltmeister Deutschland immer noch stark abhängt.

Zudem wirken die immer drastischeren Auswirkungen der Klimakrise in nahezu alle Politikfelder und Lebensbereiche hinein. In einer sich so radikal verändernden Welt ist zu langsames Handeln oder gar Nichthandeln eine Garantie dafür, von anderen überholt zu werden und die Kon­trolle über die Geschehnisse zu verlieren.

Ingenieure und Forscher zeigen täglich, wie etwa die Digitalisierung die reale Welt zunehmend prägen wird. Doch die deutsche Reaktion darauf ist bisher schwach. Insbesondere mittelständische Unternehmen hängen bei der Nutzung digitaler Technologien hinterher, Deutschland bringt zu wenige innovative Start-ups hervor und droht den Umstieg auf die Elektromobilität zu verschlafen. Die Ankündigung der ersten Tesla-­Fabrik in der Nähe von Berlin ist ein weiteres Alarmzeichen für die deutschen Autokonzerne.

Aktiver für Interessen und Werte einstehen

Ebenso rasant sind die Veränderungen auf dem internationalen Parkett. Traditionelle Unterstützer des Multilateralismus wie die Vereinigten Staaten ziehen sich zunehmend in nationale Trutzburgen zurück, das geopolitische Klima wird immer rauer. Das schadet der deutschen Exportwirtschaft besonders. In Zukunft wird Deutschland daher international viel aktiver für die eigenen Interessen und Werte einstehen müssen.

Auch die volkswirtschaftliche Lage sollte alarmieren. Zwar wurde eine Rezession verhindert, im Jahr 2019 gingen jedoch auch Zehntausende Jobs in Zukunftsbranchen wie der Windenergie verloren.

Dabei hängt die Klimakrise mit all diesen Veränderungen eng zusammen, wird aber noch zu selten mit ihnen zusammen gedacht. Ihre Folgen sind aber schon heute in Deutschland real: Im Jahr 2018 entstanden durch die extreme Trockenheit allein in der Landwirtschaft Schäden in Höhe von 700 Millionen Euro.

In Teilen Deutschlands kam die Binnenschifffahrt zum Erliegen, Kühlwasser für Industriestandorte wurde knapp, und der Skitourismus in den Alpen steht vor dem Zusammenbruch. Die Klimakrise hat auch außen- und sicherheitspolitische Konsequenzen: Sie wird zunehmend Ursache von Migration und Konflikten.

Wie sichern wir Wirtschaftsstandort und Zusammenhalt?

Im Klimaschutz ist Deutschland schon lange kein Vorreiter mehr. Symptome des Stagnierens der deutschen Klimapolitik gibt es viele: den stockenden Ausbau der erneuerbaren Energien, das Verschleppen des ohnehin langsamen Kohleausstiegs und das Fehlen von Plänen für eine wettbewerbsfähige grüne Industrie.

Dabei zeigen Studien diverser Institutionen, vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bis zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass eine ambitionierte Klimapolitik Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sichern kann. Industrie und Mittelstand würden etwa von einer Innovationsoffensive für grüne Technologien erheblich profitieren.

Die Herausforderung des Klimaschutzes ist also nicht das Ob, sondern das Wie. Wie sichern wir den Wirtschaftsstandort und den sozialen Zusammenhalt im Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft? Was muss politisch passieren, damit sich Deutschland einen Teil des Kuchens bei der Elek­tromobilität, dem Ergrünen der Indus­trie und dem Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien sichern und zugleich einen gerechten Strukturwandel für die Betroffenen gewährleisten kann?

Die gute Nachricht ist: Deutschland hat noch Handlungsspielraum. Zur Sicherung des Wohlstands braucht es aber entschlossenes Handeln über alle Politikfelder hinweg. Dabei ist es besonders wichtig, die Gestaltung der anstehenden Transformation, insbesondere die nächste Phase der Digitalisierung und den Übergang zur Klimaneutralität, zusammen zu denken.

Der Querschnittsnatur gerecht werden

Dafür braucht es neue politische Strukturen: Strategisch muss die Verantwortung für Klimaschutz und Energiepolitik beim Kanzleramt liegen, unterstützt von einem Klimaministerium mit starken Kompetenzen für die Umsetzung. Darüber hinaus sollten Experten aller Ministerien gemeinsame Lösungen erarbeiten, die der Querschnittsnatur des Klimaschutzes gerecht werden.

Dazu gehören auch eine Strategie, die Finanzmarktakteure mit an Bord holt, eine Investitionsstrategie für den Aufbau einer grünen Industrie 4.0 und sozialpolitische Maßnahmen für einen gerechten Strukturwandel.

Nicht zuletzt muss Deutschland international viel mehr Verantwortung übernehmen und den Klimaschutz als zentralen Teil deutscher Außenpolitik verankern. Die EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 bietet dafür eine große Chance. Auch um den European Green Deal voranzutreiben und international mehr klimapolitischen Ehrgeiz zu entfachen, etwa bei dem im kommenden Herbst anstehenden EU-China-Gipfel in Leipzig.

Die Herausforderungen sind immens, die Gestaltungskraft liberaler Demokratien ist es, historisch betrachtet, aber auch. Denn klar ist: Wer will, dass alles zumindest so gut bleibt, wie es ist, muss jetzt vieles verändern.

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