piwik no script img

Kampf gegen den KlimawandelZwischen Verrat und Verantwortung

Fridays for Future debattieren, ob Aktivist:innen bei Wahlen kandidieren sollen. Viele „Seitenwechsler“ von früher raten ihnen dazu.

Jakob Blasel von Fridays for Future will für die Grünen in den Bundestag Foto: Uwe Anspach/dpa

„Ich habe da ein Déjà-vu-Erlebnis“, sagt Jo Leinen, wenn man ihn nach der Kandidatur von Fridays-for-Future-Aktivist:innen für den Bundestag fragt. „Bei uns gab es damals die gleichen herzzerreißenden Debatten, ob es Verrat sei, in die Politik zu gehen, oder ob es ins Leere geht, nur zu demonstrieren.“

Leinen entschied sich 1985 für den Seitenwechsel: Als Wortführer der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) wurde er im Saarland für die SPD Umweltminister und saß danach 20 Jahre im Europaparlament. „Man schaut im Amt mit Wehmut auf die Freiheit, die man vorher hatte“, sagt Leinen heute. „Aber wer etwas verändern will, der kann nicht immer nur dagegen sein. Das werden auch die Fridays merken.“

Ein gutes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl steht nun auch die jüngste Umweltbewegung in Deutschland vor dieser Debatte: weiter Druck für Klimaschutz von der Straße machen oder im Parlament Mehrheiten suchen? Oder beides?

Vergangene Woche jedenfalls erklärte Jakob Blasel, Ex-Bundessprecher von Fridays for Future (FFF), er wolle bei den Grünen in Schleswig-Holstein kandidieren.

Luisa Neubauer zögert noch

Die Debatte ist eröffnet. Auch aus Magdeburg drängt ein FFF-Aktivist in den Bundestag: Urs Liebau. Der 25-Jährige tritt „als Kandidat meiner Partei an“, sagt Liebau, der bei den Grünen ist, der taz. „Fridays for Future stellt keine Kandidaten auf.“ Andere Aktivist:innen reden ebenfalls über Kandidaturen. Jüngstes Beispiel: Luca Samlidis von FFF Bonn verhandelt mit der SPD. Das bekannteste Gesicht der Proteste, Luisa Neubauer, dagegen will sich „noch nicht zu einer etwaigen Bundestagskandidatur“ für die Grünen äußern.

Urs Liebau jedenfalls glaubt, dass es für die junge Klimabewegung eine Chance sein könnte, wenn einige der Aktivist:innen parlamentarische Verantwortung tragen. „Schließlich muss es darum gehen, möglichst viel Klimaschutz in den politischen Prozess einzubringen“, findet der Magdeburger. Als Mitglied im Stadrat habe er die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen einen Unterschied machen könnten. „Der Stadtrat hat auf unseren Druck hin beschlossen, Magdeburg bis 2035 klimaneutral zu machen.“

Dass das über einen Sitz im Bundestag am besten geht, bezweifeln viele seiner Mitstreiter:innen. Sie befürchten Karrierismus und Ausverkauf der Ideale. Wer im Parlament sitzt, muss schließlich Kompromisse machen – wahrscheinlich auch solche, die dann hinter wissenschaftlich begründeten Notwendigkeiten beim Klimaschutz zurückbleiben. Das gilt erst recht, wenn man sich wie Liebau oder Blasel möglicherweise bald in einer schwarz-grünen Regierungsfraktion wiederfindet.

Für die Grünen findet ihr Bundesgeschäftsführer Michael Kellner den Ansturm der jungen Klimaschützer „super“. „Für uns als Bewegungspartei ist das eine große Bereicherung, gerade weil es bei vielen jungen Leuten so eine Politisierung gibt.“ Eine Reihe von FFF-Aktiven sind Grünen-Mitglieder und engagieren sich in der Grünen Jugend oder kommunal. Auch deshalb hielt sich die Fraktion anders als etwa die Linke demonstrativ mit offiziellen hochrangigen Gesprächen zurück: FFF sollten nicht als Tarnorganisation der Grünen erscheinen.

Die Angst vor Kompromissen

Aber wie schwierig wäre eine Fraktion zu führen, in der von den jungen Leuten radikale Ökoforderungen erhoben werden? Als Greta Thunberg und Luisa Neubauer am 20. August bei Bundeskanzlerin Merkel zum Gespräch waren, forderten sie das sofortige Ende von Investitionen in fossile Energien.

Kann so etwas in Regierungsverantwortung gutgehen? Kellner ist zuversichtlich: „Kompromissfähig muss jeder sein, nicht nur die jungen Leute. Und Divestment fordern wir bereits seit Langem. Wer für seine Positionen wirbt, muss sie parteiintern aber auch durchsetzen können, ehe sie Wirkung entfalten.“

Fragt man Quereinsteiger aus der Umweltbewegung nach ihren Erfahrungen, sind sie zumeist positiv – allerdings finden sich auch kaum Öko-Kämpfer, die eine solche konkrete Einladung abgelehnt hätten, weil ihnen die Straße erfolgreicher erschien als das Parlament.

„Man kann in Parteien und Parlamenten bei den konkreten Schritten viel mehr verändern als beim Protest auf der Straße“, sagt Sven Giegold, der 2009 von der globalisierungskritischen Organisation Attac für die Grünen ins Europaparlament wechselte. „Draußen“ könne man neue Gedanken wie damals die Kritik an der Globalisierung oder jetzt radikalen Klimaschutz besser groß machen, „drinnen“ könne man die kleinteiligen Schritte zur Umsetzung beeinflussen. „Es gibt kein Patentrezept und schon gar nicht eines für alle“, ist Giegolds Erfahrung, „man braucht den Druck von draußen und von drinnen.“

Zwang zum Gespräch mit Andersdenkenden

„Ich habe im Amt einfach weitergemacht“, sagt Monika Griefahn. Die Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland wurde als Parteilose 1990 unter Gerhard Schröder in Niedersachsen Umweltministerin. „Für mich war das kein Seitenwechsel. Ich habe Dinge umgesetzt, die ich vorher gefordert hatte, etwa bei der Müllvermeidung oder den erneuerbaren Energien.“

Griefahn saß später für die SPD im Bundestag. Am 13.September will sie für die Sozialdemokraten Oberbürgermeisterin von Mülheim an der Ruhr werden. „Dinge zu bewegen, das beginnt mit einzelnen Leuten im Parlament, die sich Mehrheiten suchen, wie damals beim EEG durch Hermann Scheer.“ Die Fridays im Bundestag „müssten lernen, dass nicht nur ihre Meinung allein zählt, da muss man kämpfen“.

Ähnlich klingt das von Sarah Wiener, der prominenten Köchin und Ernährungsaktivistin, die seit 2019 für die Grünen im Europaparlament sitzt: „Du lernst wahnsinnig viel und bist permanent am Rotieren“, sagt sie. „Als Aktivistin kannst du gegen alles sein, aber als Politikerin musst du mit denen kommunizieren, die anders denken.“ Manche Politiker:innen seien besser beim Kommunizieren, andere schrieben gute Gesetze oder machten die Arbeit im Hintergrund. „Es ist wie auf dem Acker: je mehr Vielfalt, desto besser“, so Wiener.

Auch Hermann Ott würde sich über FFF im Bundestag freuen: „Mehr Wut und Leidenschaft in den Klimadebatten können nicht schaden“, sagt der Jurist, der von 2009 bis 2013 vom Wuppertal-Institut für die Grünen ins Parlament wechselte. Das sei zwar eine „Knochenmühle“, sagt er, aber man lerne dort sehr viel. Allerdings brauche man mindestens zwei Legislaturperioden, um etwas zu bewirken: „Die ersten zwei Jahre orientiert man sich, das letzte ist Wahlkampf.“

„Kandidiert – auch bei CDU, CSU, SPD und FDP“

Ott selbst verpasste den Wiedereinzug 2013, weil sein Listenplatz nicht ausreichte – und ging zur außerparlamentarischen Klimalobby. Mit seiner Organisation ClientEarth treibt er Prozesse gegen Klimasünder voran und macht Öko-Lobbyismus bei Gesetzen. FFF-Aktivisten im Parlament? „Je mehr, desto besser!“, sagt Ott. Und dann sollten sie Koalitionen bilden, „vor zehn Jahren waren wir Klimaschützer im Bundestag ja noch Einzelkämpfer“.

Das findet auch Heinrich Stößenreuther. Der Initiator von German Zero, einer Kampagne für Klimaneutralität bis 2035, twitterte zur Debatte über die Klima-Aktivist:innen im Bundestag: „Kandidiert, was das Zeug hält, aber nicht nur bei den Grünen, sondern auch bei CSU, CDU, SPD und FDP!“

Die Volksfront zum Klima lässt allerdings noch auf sich warten. Von FFF-Kandidaturen bei Union und FDP ist bisher noch nichts bekannt.

Mitarbeit: Katharina Schipkowski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • FFF-Aktive in den Parteien sollten sich ja gerade dafür einsetzen, dass Kompromisse gemacht werden - aber eben nicht die falschen zu Lasten des Klimas, sondern Kompromisse, bei denen die eine Partei mehr Klaimschutz akzeptiert, als es ihr eigentlich lieb wäre, während die ökologisch motiviertere Partei Kompromisse auf anderen Politikfeldern (z.B. Steuern, Immigration, Schulden) machen würde. Fraglich ist, ob Parlaments-Neulinge so schnell in Position in den Verhandlungsgremien kommen, in denen sie das beeinflussen können, und ab sie wirklich andere Strömungen der Partei verdrängen können, oder nur für andere Gesichter innerhalb des ökologischen Spektrums der betreffenden Partei sorgen würden.

  • hat die TAZ die LINKE unterschlagen oder hat GermanZero Stößenreuther ein Problem mit der Partei?

    "„Kandidiert, was das Zeug hält, aber nicht nur bei den Grünen, sondern auch bei CSU, CDU, SPD und FDP!“Die Volksfront zum Klima lässt allerdings noch auf sich warten. Von FFF-Kandidaturen bei Union und SPD ist bisher noch nichts bekannt."

  • Die Natur kennt keine Kompromisse. Wer die APO als "immer nur dagegen" bezeichnet hat scheinbar seine eigene Vergangenheit vergessen. Schade drum.

  • 0G
    09922 (Profil gelöscht)

    Die Leute, die sich beschweren die Grünen hätten angeblich nichts erreicht, müssen sich fragen lassen wie denn ihre Alternativen aussehen? Demokratisch legitimierte Prozesse können sie ja nicht meinen.

  • Wenn man im Parlament viel mehr verändern kann als auf der Straße, wieso bewirken die Grünen dann seit ihrer Gründung so wenig Umweltschutz und liebäugeln mit schwarz-grün, und wieso haben dann FFF in etwa einem Jahr soviel dafür erreicht, dass das Thema Klimakatastrophe bekannter wird und ernster genommen wird als vorher?

    • @Patricia Winter:

      Bei Schwarz-Grün im Bundestag würden die Grünen vermutlich ökologisch mehr erreichen als in anderen Konstellationen wie früher mit der SPD, eben weil es auf anderen Politikfeldern für sie weniger zu gewinnen gibt.

      Natürlich nicht wenn man Altlinke wie Kretschmann und Özdemir in der Verantwortung für Koalitionsverhandlungen hat.

    • @Patricia Winter:

      Immer dieses schwarz-weiß Sehen. Denk mal 30 Jahre zurück und du wirst merken, dass sich nicht nur im Bewusstsein sondern auch in der konkreten Politik etwas geändert hat. Und das ist auch auf die Grünen im Parlament zurück zu führen. Mit APO alleine erreichst du garnichts. Du brauchst entweder Parteien, die etwas umsetzen weil die Straße dafür demonstriert oder musst dir selber die Hände schmutzig machen. Der erste Weg ist der ohne Verantwortung, der einfachere. Da kannst du immer die reine Lehre predigen und wenn etwas nicht umgesetzt wird, kannst du auf die bösen Politiker schimpfen. Im zweiten Weg wirst du feststellen, dass auch die auf der anderen Seite gute Argumente haben und das ist anstrengend. Denn du musst dich selber reflektieren und deine eigenen Argumente hinterfragen. Musst kompromissfähig sein und einen Kompromiss gegen die Vertreter der reinen Lehre später verteidigen. Das ist anstregend und zehrt. Aber es ist der einzige Weg, in einer Demokratie etwas zu verändern.

  • Die Grünen sind doch mittlerweile nur noch das kleinere Übel. Von denen ist nichts zu erwarten. Und junge Aktivisten, die dieser Partei beitreten, um die Welt zu retten, werden dann nur "verbrannt" wie alles, was früher für Grün stand. Lieber draussen bleiben, liebe FFF

    • @joaquim:

      Was ist denn die Alternative?

  • Was für ein sinnloser Artikel, da fragt man tatsächlich Psydoaktivisten die in der Politik ihre Kohle machen ob das gut sei. Natürlich sagen diese nur laut ja weil es ihr eigenes Versagen relativiert und ihr Image aufpoliert bis die nächste Generation verbrannt ist.



    Was haben die Grünen den schon groß erreicht in den letzten dreizig Jahren, ihrer Politik?



    Hartz IV, Bundeswehr in Auslandseinsätze, ein immer weiter steigender CO2 Ausstoss, Atomausstieg irgendwann in ferner Zukunft, boah wahnsinnig effizienter Verein aus Gutbürgern. Und wenn ich mir Kretschmann als Ministerpräsidenten mit der Autolobby und der immer wieder lauter werdende Aufschrei nach Polizei anschaue wird mir für die Zukunft auch Angst und bange. Aber sicher ist die Grüne Partei die Lösung für FFF. ;)

    • @Rudeboy.69:

      Man kann niemanden aus den Wasser ziehen, ohne sich nass zu machen. Genauso muss es zu den Forderungen auch Leute geben, die sie umsetzen.



      Wer hat denn die letzten 30 Jahre etwas für den Umweltschutz getan? Wer hat die Ökosteuer, den Atomausstieg und das Erneurbare-Enegien-Gesetz erwirkt?



      Man kann in einer Wahlperiode nunmal nicht die Welt retten. Trotzdem haben die Grünen in den vier Jahren mehr erreicht, als die anderen Parteien. Und wenn sie ihre alten Forderungen langsam etwas schleifen lassen, dann ist es doch genau richtig, dass die Partei von neuen Leuten wieder auf alte Wege geleitet wird.

  • „Kandidiert, was das Zeug hält, aber nicht nur bei den Grünen, sondern auch bei CSU, CDU, SPD und FDP!“

    warum vergass er die linke -die einzige partei die ein konzept für einen sozialverträglichen schnellen ausstieg aus dem fossilismus hat?



    sie sollte noch vor den grünen-die zu prokapitalistisch sind um das klima effizient und sozialverträglich schützen zu können erwähnt werden.



    ansonsten hat er die parteien im hinblick auf ihre tauglichkeit für den klimaschutz durchausrichtig einsortiert.am wenigsten geht klimaschutz mit der f"d"p-weil sie für freie marktwirtschaft und gegen dirigismus ist



    mit den grünen mit den unionsparteien und mit der spd geht nur soviel klimaschutz wie mit der wettbewerbsfähigkeit der deutschen exportindustrie vereinbar ist und dass viel ist zuwenig



    nur die linke bietet die beendigung der dauererpressung der politik durch den standortwettbewerb an

    • 0G
      09922 (Profil gelöscht)
      @satgurupseudologos:

      Die Linke ist die AfD vom gegenüberliegenden Rand und nicht wählbar weil sie sich nie wirklich (und auch jetzt nicht) mit ihrer Zustimmung zu Menschenrechtsverletzungen auseinandergesetzt hat.

  • Da wurde mit Container-Jo der Richtige gefragt.

    www.spiegel.de/spi...nt/d-14353828.html

  • Unser Land braucht junge engagierte Politiker wie Jakob Blasel und Luisa Neubauer. Eine wohltuende Alternative zu den Politprofis, die ihr ganzes Leben Abgeordnetendiäten kassieren.