Kahlschlag in Schwedens Wäldern: Bäume roden für den Versandhandel
In Schweden werden alte Wälder für die Papierindustrie abgeholzt, Deutschland ist Großabnehmer. Ökosysteme gehen verloren, warnt Greenpeace.
![Blick auf eine gerodete Waldfläche Blick auf eine gerodete Waldfläche](https://taz.de/picture/7001900/14/35333235-1.jpeg)
In ihrem Report „Killed by Cardboard“ (Für Pappe getötet), der heute veröffentlicht wird, berichtet die Umweltorganisation, dass sie Holzstämme mit Trackern versehen habe und zudem Lkws zwischen Kahlschlägen und Zielorten gefolgt sei. So habe die Verbindung von 20 alten, gerodeten Wäldern zu acht Zellstofffabriken und vier Sägewerken gezeigt werden können, in Besitz unter anderem von Branchenriesen wie den Verpackungsherstellern Smurfit Kappa und Billerud und dem schwedischen Forstbetreiber und Holzverarbeiter SCA.
Eine Studie der Universität Lund von 2022 geht davon aus, dass etwa ein Fünftel des Kahlschlags seit 2003 Schwedens alte Wälder betroffen hat. Ihre Fläche sei in diesem Zeitraum jährlich um 1,4 Prozent geschrumpft. Würde der Trend nicht gestoppt, hätten sie sich in den 2070er Jahren ganz in Plantagen aufgelöst.
Zwei Drittel des Holzes aus schwedischen Wäldern insgesamt seien für die Zellfaser- und Papierindustrie bestimmt, so Greenpeace. Verpackungsmaterial spiele dabei eine immer größere Rolle. Über öffentlich zugängliche Quellen ermittelte die Organisation Endabnehmer der schwedischen Papierindustrie – darunter in Deutschland Online-Handelsriesen wie Amazon, Zalando und der Menüanbieter HelloFresh.
Alte Wälder wichtig für Artenvielfalt
„Selbst wenn das Papier zunächst nochmal recycelt wird, wird es irgendwann verbrannt, das heißt, der Großteil der Bäume wird zu Wegwerfprodukten“, sagt Jannes Stoppel, Waldexperte von Greenpeace Deutschland, der taz. „Die alten Wälder, die so wichtig für die Artenvielfalt sind und für die Rentierwirtschaft der Sami, verschwinden immer mehr, und das ist wirklich ein Riesenproblem.“ Dass in Schweden Kahlschläge erlaubt seien und das Land sich innerhalb der EU als starker Gegner strengerer Regulierungen präsentiert, sei vielen, gerade in Deutschland, nicht bewusst, glaubt Stoppel.
„Wir wollen den Firmen, die diese Produkte kaufen, keinen Vorwurf machen“, erklärt Greenpeace-Aktivist Dima Litvinov, einer der Autoren des Reports. „Wir wollen sie auf das Problem aufmerksam machen, damit sie reagieren können.“ Firmen, die Nachhaltigkeit anstreben, sollten sich nicht auf das FSC-Siegel bei Produkten aus der Papierindustrie verlassen. Es steht für Forest Stewardship Council und ist ein internationales Zertifizierungssystem für nachhaltigere Waldwirtschaft. Das Siegel garantiere wegen der schwachen Kontrollen und der weitgehenden Freiheiten der Forstwirtschaft in Schweden nicht, dass das verarbeitete Holz nicht aus alten Wäldern stamme. „Wir sagen: Verlangt von euren Lieferanten, dass sie die Lieferketten transparent machen und euch kein Material aus alten, schützenswerten Wäldern liefern“, so Litvinov.
Einige Unternehmen zeigen durchaus Problembewusstsein. Auf taz-Nachfrage bei HelloFresh sagte eine Sprecherin, das Unternehmen habe sich „grundsätzlich dazu verpflichtet, Verpackung nach Möglichkeit vollständig zu vermeiden, andernfalls zu reduzieren und für das Recycling zu optimieren.“ HelloFresh teste zudem seit 2023 wiederverwendbare Boxen. Dabei werde erprobt, wie dieses Konzept logistisch funktionieren könne und – unter Hinweis auf die notwendige Flotte zum Wiedereinsammeln und den Aufwand für die Reinigung – ob es tatsächlich nachhaltiger sei. Das Unternehmen sehe wiederverwendbare Boxen jedoch langfristig als notwendige Lösung. HelloFresh wolle die Ergebnisse des Greenpeace-Berichts intern und mit dem schwedischen Lieferanten besprechen.
Auch Zalando äußerte sich zu den Erkenntnissen von Greenpeace: „Um das Risiko auszuschließen, Fasern aus Urwäldern in Schweden zu erhalten, bestehen wir darauf, FSC-zertifiziertes Material für den Frischfaseranteil zu verwenden“, sagte eine Sprecherin der taz. Der Kritik am FSC-Siegel sei sich das Unternehmen bewusst. „Nach unserer Bewertung ist dies allerdings nach wie vor das umfassendste Gütesiegel für verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung auf internationaler Ebene.“ Zalando arbeite kontinuierlich mit seinen Lieferanten zusammen, um die Transparenz in der gesamten Lieferkette weiter zu verbessern.
Amazon dagegen sieht offenbar keinen Handlungsbedarf. „Die von Amazon in Europa eingesetzten Versandverpackungen, die von den genannten Lieferanten stammen, bestehen zu 95 Prozent oder mehr aus recyceltem Material“, sagte ein Sprecher. Amazon verpflichte sich, seine Verpackungsmaterialien auf nachhaltige Weise zu beschaffen, und investiere in Initiativen zum Erhalt und zur Wiederherstellung der Natur, zum Schutz der Lebensräume von Wildtieren und zur Förderung der Artenvielfalt.
Fehlende Kontrollen
Schwedens Forst- und Papierindustrie ist riesig und hat eine starke Lobby, nicht zuletzt in der Regierung. Erst im März kritisierten schwedische Waldforscher*innen in einem Gastbeitrag im Aftonbladet die liberale Umwelt- und Klimaministerin Romina Pourmokthari scharf. Sie hatte die schwedische Forstwirtschaft nachhaltig genannt. Pourmokthari sieht den Wald vor allem als bioökonomische Ressource. Deren Nutzung soll, wenn es nach ihr geht, noch weiter wachsen und baldmöglichst noch weniger reguliert werden. Doch: „Schwedens Forstwirtschaft ist nicht nachhaltig, Frau Ministerin“, konterten die 19 Waldexpert*innen. Sie kritisierten, die Regierung ignoriere relevante wissenschaftliche Erkenntnisse.
Das staatliche Amt für Forstwirtschaft stellte vergangenes Jahr fest, dass in Schweden die nötigen Kontrollinstanzen fehlten, um langfristig die biologische Vielfalt und den Erhalt der Aufgaben der Ökosysteme im Wald sicherstellen zu können. Und aus der Forschung kommt die Erkenntnis, dass der schwedische Wald nicht mehr so viel Kohlendioxid bindet wie früher. 2022 stellte die Behörde Naturvårdsverket unter Berufung auf Zahlen der Schwedischen Landwirtschafts-Universität SLU einen überraschend starken Rückgang der Nettoeinlagerung fest, 2021 sei sie im Vergleich zum Vorjahr von 30 Millionen Tonnen auf 25 Millionen Tonnen gesunken. Als Gründe nannte die Behörde ein gesunkenes Waldwachstum und das hohe Abholzungsniveau der vergangenen Jahre.
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