Jurist über den neuen Bußgeldkatalog: „Wir müssen Platz neu verteilen“

Am Freitag will der Bundesrat die neue Straßenverkehrsordnung verabschieden. Verkehrssünder werden künftig härter bestraft.

Weisses Fahrrad liegend auf einer nächtlichen Straße

Mahnwache für eine von einem LKW getötete Radfahrerin in Berlin am 31. Mai 2021 Foto: Christian Mang

taz: Herr Huhn, was wird sich ändern mit dem neuen Bußgeldkatalog?

Roland Huhn: Vor allem zu schnell fahren wird teurer. Die Bußgelder wurden in Teilen sogar verdoppelt. Hinzu kommen einige Strafen, die Fahrradfahrer und Fußgänger schützen sollen. Wer zum Beispiel mit dem Lkw mit mehr als Schrittgeschwindigkeit nach rechts abbiegt, dem drohen ab jetzt 70 Euro und ein Punkt – das ist besonders abschreckend für Berufsfahrer. Geboten ist Schrittgeschwindigkeit schon länger, aber erst jetzt wird das Vergehen auch mit einem Bußgeld versehen.

64, Jurist, ist seit 1989 für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) tätig. Seit 2004 ist Huhn hauptamtlicher Rechtsreferent.

Ein Streitpunkt waren Fahrverbote ab 21 km/h Überschreitung. Eigentlich hätte das ein einmonatiges Fahrverbot bedeutet, jetzt sind Strafen ab 100 Euro und ein Punkt vorgesehen. Sind Fahrverbote ab dieser Geschwindigkeit übertrieben?

Nein. Die 21 km/h gelten nach Abzug von eventuellen Messfehlern. Real fährt man also mit 74 km/h dort, wo Tempo 50 erlaubt ist. Das sind Geschwindigkeiten, die für ungeschützte Menschen potenziell lebensgefährlich sind.

Sind Sie zufrieden mit dem neuen Bußgeldkatalog?

Am Freitag will der Bundesrat erneut über die neue Straßenverkehrsordnung (StVO) abstimmen. Dann kann der neue Bußgeldkatalog für Ver­kehrs­sün­de­r:in­nen in Kraft treten. Der Bundesrat hatte bereits über die Novellierung abgestimmt, mit der unter anderem die Sicherheit von Rad­le­r:in­nen erhöht werden soll. So steigen die Geldstrafen für zu schnell fahrende Au­to­fah­re­r:in­nen und Falschparkende. Das Halten auf Radstreifen wird verboten, auch das Aufreißen von Autotüren neben Radwegen. Wegen eines selbst verursachten Formfehlers hat das Bundesverkehrsministerium von Andreas Scheuer (CSU) die Reform gestoppt – und nachverhandelt. Die ursprünglich vorgesehenen Fahrver­bote ab 21 km/h wurden durch erhöhte Bußgelder ersetzt. Kriti­ke­r:innen geht die Reform nicht weit genug. Sie bemängeln, dass mit der Reform die Chance vertan wurde, den Straßenverkehr erheblich sicherer zu machen. (taz)

Mit dem Kompromiss kann man leben. Er ist aber nur ein Schritt, denn das eigentliche Problem ist eine schlechte Infrastruktur, aus der Gefahren für Radfahrende resultieren. Wir müssen Platz neu verteilen und eine leistungsfähige und sichere Infrastruktur für den Verkehr anlegen, die auch das Rad berücksichtigt.

Welche Forderungen stellen Sie an die künftige Bundesregierung?

Es müssen neue Zielsetzungen vorgenommen werden. Ganz oben: Keine Verkehrstoten und Schwerstverletzten mehr. Außerdem müssen alle Verkehrsarten gleichgestellt sein, das Auto darf nicht mehr die Priorität sein. Auch Klima-, Umwelt- und Gesundheitsziele sollten mit aufgenommen werden. Bisher erlauben das Straßenverkehrsgesetz und StVO nur Maßnahmen, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten, also ein möglichst zügiges Vorankommen zu ermöglichen.

Außerdem müssen einige Lücken im Bußgeldkatalog geschlossen werden. Wenn ein Auto Radfahrende mit weniger als 1,50 Meter überholt und dabei gefährdet, wird dies mit einem Verwarngeld von 30 Euro geahndet. Das ist spottbillig. Nur zum Vergleich: Wenn ein Auto an einem anderen vorbeifährt und aufgrund von nicht eingehaltener Abstandsregeln einen Seitenspiegel beschädigt, kostet das 5 Euro mehr. Der wirklich gefährliche Verstoß ist also günstiger.

Das klingt nach einer grundsätzlichen Reform des Verkehrsrechts.

Genau. Straßenverkehrsgesetz und StVO müssen elementar geändert werden. Bisher darf man in den fließenden Verkehr zum Beispiel nur eingreifen, wenn eine Gefahr besteht. Radverkehrsanlagen können also nur gebaut werden, wenn Kommunen begründen können, dass an der Stelle schon Unfälle passiert sind. Um Lücken im Radverkehrsnetz zu schließen oder den Radverkehr zu fördern, dürfen sie nicht errichtet werden.

Warum wurde das bisher nicht geändert?

Der politische Druck hat gefehlt. Jetzt wird klar, dass wir Lösungen brauchen, die mehr Verkehr vom Auto auf das Fahrrad verlagern. Kommunen haben ein vitales Interesse daran, mehr Radverkehr zu ermöglichen. Dafür brauchen sie die gesetzliche Grundlage.

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