Jungoffiziere lehren an Schule in Bayern: Mein Lehrer, der Soldat
An einer bayrischen Schule unterrichteten Offiziersanwärter:innen, als Lehrkräfte wegen Corona ausfielen. Bildungsexpert:innen sind entsetzt.

Soldaten als Vertretungslehrer? In Bayern Realität (Symbolbild) Foto: imago
BERLIN taz | Coronainfektion, Betreuung von Kindern in Quarantäne oder Mutterschutz. Im Frühjahr 2022 sind am Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching (Landkreis München) zahlreiche Lehrkräfte ausgefallen. Um trotzdem große Lücken im Unterrichtsbetrieb zu vermeiden, rekrutierte die Schulleiterin des bayerischen Gymnasiums mehrere Studierende der nahegelegenen Universität der Bundeswehr als Vertretungslehrkräfte.
Das bayerische Kultusministerium bestätigte, dass im Zeitraum von März bis Anfang Juni 2022 insgesamt 92 Schulstunden von einer Gruppe von sieben Offiziersanwärter:innen an dem Gymnasium im Münchner Umland unterrichtet wurden.
Vor der Genehmigung des Einsatzes habe das zuständige Kultusministerium die Anfrage der Schulleiterin ausgiebig geprüft. Voraussetzung war, dass die Soldat:innen freiwillig, ehrenamtlich und unbezahlt tätig waren, wie das Kultusministerium gegenüber der taz betonte. Andernfalls hätte die Schulleitung gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes einen offiziellen Antrag auf Amtshilfe stellen müssen. Dadurch, dass die Soldat:innen unbezahlt tätig waren, konnte diese bürokratische Hürde umgangen werden.
Das Kultusministerium erklärte gegenüber Table.Media, dass die Bundeswehrsoldat:innen für Vertretungsstunden in den Jahrgangsstufen fünf bis neun eingesetzt wurden.
Indirekte Werbung für den Militärdienst?
Laut einer Pressemitteilung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vom Mittwoch, den 15.6.2022, hätten sich die Soldat:innen im Zuge der Unterrichtseinheiten als Militärangehörige vorgestellt und Auskunft über ihren Beruf gegeben.
Die GEW kritisiert den Einsatz in der Pressemitteilung scharf. Die allgemein anerkannten Grundsätze politischer Bildung müssten eingehalten werden. Eine ausgeglichene Darstellung kontrovers diskutierter Themen und die Achtung des Indoktrinationsverbots, welche der sogenannte „Beutelsbacher Konsens“ vorschreibt, sei beim Einsatz von Soldat:innen als Lehrkräfte nicht garantiert. Politische Bildung inklusive Fragen der Sicherheitspolitik sollten von pädagogischen Fachkräften und nicht von studierenden Jungoffizieren gelehrt werden, fordert die GEW.
Mit Verweis auf das in der UN-Kinderrechtskonvention definierte Anwerbeverbot von Minderjährigen zum Militär betont Martina Borgendale, Vorsitzende der GEW Bayern, dass die Schwelle zur Anwerbung auf keinen Fall überschritten werden dürfe. Sie merkt an, dass dies beim Einsatz von Soldat:innen als Lehrkräfte nicht sichergestellt werden könne. Laut Table.Media hieß es aus Kreisen der Schule, dass die Soldat:innen vor ihrem Einsatz schriftlich belehrt wurden, dass sie keine Werbung machen dürfen.
Welche Inhalte von den Offiziersanwärter:innen in den Unterrichtsstunden tatsächlich vermittelt wurden, ist bisher nicht bekannt. Die Schule äußerte sich lediglich dahingehend, dass es für Vertretungsstunden einen vorgegebenen Aufgaben-Pool gäbe und diese standardisierten Unterrichtsmaterialien auch von den Soldat:innen eingesetzt wurden.
Margit Wild, bildungspolitische Sprecherin der bayerischen SPD-Landtagsfraktion, lobt die Kreativität der Schulleitung. In Anbetracht der Personallücken an Schulen komme man ohne Aushilfen aus anderen Professionen nicht zurecht, so die SPD-Politikerin.
Ob es Pläne gibt, Einsätze dieser Art auch an anderen Schulen durchzuführen, ist bisher unklar. Die GEW hat Anfang Juni eine Anfrage diesbezüglich an das bayerische Kultusministerium gestellt. Diese blieb laut GEW aber bisher unbeantwortet. Unklar ist auch, ob das Lise-Meitner-Gymnasium erneut die nahe gelegene Universität der Bundeswehr um Unterstützung bitten wird, wenn die nächste Coronawelle im Herbst wieder vermehrt zu Ausfällen im Lehrpersonal führen dürfte.
Leser*innenkommentare
Questor
Wenn für die Wehrdienst geworben worden wäre, dann hätte man ja durchaus einen Skandal (zumindest einen kleinen) daraus machen können, aber so? "Die Achtung des Indoktrinationsverbots [...] sei [...] nicht garantiert". Ernsthaft? Ein Tipp: Die ist nie garantiert wenn man echte Menschen vor die Schüler stellt.
Machiavelli
Okay das mag jetzt einige schockieren aber es gibt einige Lehrer die sind ehemalige Soldaten oder sogar aktive Reservisten. Bei mir war das so aus meiner Abschlussklasse ging trotzdem keiner zur Bundeswehr ich weiß aber von min. einem der sich jetzt wegen des rashistischen Angriffskrieges zur Reserve gemeldet hat.
Cervo
Auweia, da würde ich aber als Eltern nicht mitspielen. Militär hat an einer Schule nichts zu suchen! Bei all den rechtsextremen "Einzelfällen" hat man ja doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, den falschen "Lehrer" zu bekommen. Aber die wollen ja nur spielen...
www.zeit.de/politi...her-abschirmdienst
Ruediger
@Cervo Selbst wenn rechtsextreme Tendenzen bei Angehörigen der Bundeswehr häufiger sein sollten, als bei regulären Lehrkräften ( was erstmal zu belegen wäre und aus ihrem Link nicht hervorgeht) hieße das ja nicht, das die meisten Soldaten Nazis sind. Solche pauschalen Verurteilungen sind sehr gefährlich, egal welche Gruppe sie betreffen.
Der beste Weg, zu verhindern, dass die Truppe sich zu einer abgeschotteten rechten Parallelgesellschaft entwickelt, ist die Truppe in der Mitte der Gesellschaft zu verankern, Teil dieser sein zu lassen. Deswegen sind solche Maßnahmen auch für die Bundeswehr gut. Und so kann man vielleicht auch bei Schülern das Interesse für die Bundeswehr wecken, die keine Waffen- und Uniformnarren sind und nicht aus irgendeiner fragwürdigen Gesinnung zur Armee gehen. Diese Leute braucht die Armee, um das zu verhindern, was Sie befürchten.
"Militär hat an einer Schule nichts zu suchen!" Warum eigentlich nicht? Ehrlich gesagt würde es glaube ich den Schulen sehr gut tun, wenn die Schüler mehr mit Leuten zu tun hätten, die das Leben außerhalb der Schule besser kennen, als ihre Lehrer - Pflegekräfte, Leute aus den Betrieben oder eben auch Soldaten.
Herma Huhn
Der größere Skandal ist eigentlich, dass in solchen Situationen Menschen unentgeltlich tätig werden müssen, um bürokratische Hürden zu umgehen.
Diese Hürden müssen dringend überprüft und der Realität angepasst werden.
Wenn ein Mensch die Qualifikation als Vertretungslehrer erfüllt, muss es doch möglich sein, diesen für die Aufgabe auch zu bezahlen.
Wenn dafür kein Geld da ist, bleiben eben nur Menschen, die vom Arbeitgeber bezahlt freigestellt werden, in diesem Fall Armeeangehörige.
Sly
Hallo Frau Fischer,
Ihnen ist im Text ein kleiner Fehler unterlaufen. Das genannte Gymnasium befindet sich in der Gemeinde Unterhaching und nicht in "Unterachingen".
Beste Grüße aus München
Kamu
Moderator
@Sly Danke für den Hinweis. Wir haben das korrigiert. Die Moderation
Lowandorder
@Sly Schonn. Aber da hatte ich wenigstens was zu lachen. Ansonsten - Rad ab •
Mondschaf
@Lowandorder "Es ist der Weiber Weh und Ach so tausendfach..." (Goethe)
Jürgen Meyer
Der Physiklehrer auf meiner Schule war Inhaber eines Elektronikgeschäfts. Man stelle sich vor: Dennoch bin ich kein Elektriker geworden (und in seinem Geschäft hab' ich auch eher wenig eingekauft.)
BJJ_Chilldog
@Jürgen Meyer Mein Vater war Metzger, trotzdem bin ich ein Rindviech geworden 😅
Nase Weis
Interessant wäre zu wissen, was die Schüler dazu denken.
rero
Vielleicht sollte die GEW mal ihre Position zu Institutionen unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates überdenken.
resto
Ich verstehe das Problem nicht. Jetzt, wo "wir" massiv aufrüsten wollen - wieso sollte dann die BW in Schulen ein tabu sein? Das ist alles so scheinheilig.
mfkmfk
Meine Tochter war vom Einsatz der Soldaten betroffen und ich muß sagen: Sehr gute Idee der Schulleitung in einer personell extrem angespannten Situation; Respekt für die Bereitschaft der Soldaten, diese Aufgabe unentgeltlich zu übernehmen und die Kinder haben Einblicke in einen seltenen Lebensentwurf bekommen. Da in der Nachbarschaft eine der Bundeswehrunis ansässig ist, gab es auch keine Zweifel hinsichtlich der fachlichen Qualifikation. Es gab einfach mal NICHTS ZU MECKERN :-)
rero
@mfkmfk Vielleicht ist es das, was die GEW am meisten ärgert.
Suryo
@rero Die Bw-Angehörigen haben vermutlich zu wenig geklagt und waren mit 35 noch nicht "ausgebrannt". Ein Mysterium für die GEW.
Winnetaz
Bei sehr neutralen, faktenorientierten Fächern, sehe ich kein Problem.
Zum Beispiel Mathe, Textaufgabe: Dein Heer hat 15 Hubschrauber, von denen 3 fliegen können. Deine Marine hat 30 Hubschrauber, von denen 4 fliegen können. Wie viele flugfähige Hubschrauber hat deine Luftwaffe? Begründe deine Antwort mit einer hochprozentigen Rechnung!
Ruediger
Warum sollten Leute,die aus einer Armee eines demokratischen Staates kommen, Staatsbürger in Uniform sind, nicht in der Lage sein, kontroverse Themen neutral darzustellen? Lehrerinnen, die Mitglieder einer Gewerkschaft sind, traut man dies doch auch zu.
Ich sehe hier vor allem eine originelle und unkonventionelle Lösung, um Unterrichtsausfall zu verhindern, sowas würde man sich mehr wünschen. Wahrscheinlich würde es den Schulen ganz gut tun, wenn mehr Menschen dort arbeiten würden, die nicht in einer mehr oder weniger geschlossenen Schul- und Lehrerblase leben.