Jette Nietzard gibt sich kämpferisch: „Die Grüne Jugend wird auf die Barrikaden gehen“
Die Grüne Jugend hat auf einem Delegiertentreffen neue Grundsatzpositionen zu Krieg und Frieden beschlossen. Sie fordert mehr Waffen für die Ukraine.
taz: Frau Nietzard, haben Sie eigentlich gedient?
Jette Nietzard: Als Erzieherin habe ich gedient, in der Kindertagesstätte und in einer Unterkunft für geflüchtete, unbegleitete Minderjährige.
taz: Die Grüne Jugend hat am Wochenende neue Positionen zu internationalen Konflikten beschlossen. Für die Ukraine fordern Sie Waffenlieferung, bis Kiew „das gesamte Staatsgebiet wieder selbstbestimmt verwalten kann“. Das klingt ja schon wie bei Toni Hofreiter.
Nietzard: Das ist auf jeden Fall eine Veränderung zu dem, was wir bisher gefordert haben: Wir priorisieren endlich die Sicherheit der Menschen. Wir sollten priorisieren, dass Ukrainer in Sicherheit leben können. Und das können wir nur tun, wenn die Ukraine ihr Gebiet selbst verwaltet.
geboren 1999, steht seit Oktober 2024 als Bundessprecherin gemeinsam mit Jakob Blasel der Grünen Jugend vor. Die gebürtige Leverkusenerin kam über das Studium nach Berlin und ist seit 2019 Mitglied der Grünen.
taz: Glauben Sie wirklich, dass dieses Ziel noch realistisch ist?
Nietzard: Bei allen kriegerischen Konflikten geht es um Männer, die ihre Macht ausbauen wollen und Ressourcen zu ihren Gunsten neu verteilen. Darunter leidet immer die Zivilbevölkerung, allen voran Minderheiten und Frauen, wenn sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt wird. Es muss realistisch sein, das zu ändern.
taz: Haben Sie in der Ukraine-Frage denn noch irgendeinen Dissens zur Mutterpartei?
Nietzard: Mir ist keiner bekannt. Wir entwickeln Haltungen aber auch nicht, damit wir auf anderer Linie sind als die Partei, sondern weil wir finden, dass es das Richtige ist.
taz: Verstehe ich richtig, dass der Weg zu diesen Positionen für die Grüne Jugend länger war als für die Grünen?
Nietzard: Ihnen ist sicherlich die Neuaufstellung der Grünen Jugend in den vergangenen Monaten nicht entgangen. Und genauso wie für Personal und Strukturen gilt das natürlich auch bei einigen Inhalten.
taz: Hat Außenpolitik unter dem alten Vorstand einfach nur eine geringere Rolle gespielt oder gab es inhaltlichen Dissens?
Nietzard: In einem Verband mit 16.500 Mitgliedern gibt es immer Dissens. Was fehlte, ist eine aktuelle Beschlusslage – gerade zu kriegerischen Konflikten, die erst im letzten Jahr hochgekommen sind. Die Situation in Syrien hat sich verändert und genauso gab es Entwicklungen in Israel und den palästinensischen Gebieten. Zum Sudan fehlt jegliche Form der Positionierung, obwohl sich dort zurzeit die größte Flüchtlingskrise der Welt abspielt. Das wollen wir ändern.
taz: Die Grünen haben zuletzt auch unter jungen Wähler*innen stark verloren. Auch wegen Krieg und Frieden?
Nietzard: Das Thema bewegt meine Generation sehr stark. Wir haben ein großes Bedürfnis nach Gerechtigkeit und erleben die Weltlage heute in Echtzeit auf unseren Bildschirmen. Allen Parteien, nicht nur den Grünen, würde es guttun, das mehr anzuerkennen und diese Perspektiven stärker wahrzunehmen. 50 Prozent der jungen Menschen sagen zum Beispiel, dass sie sich wünschen, dass das Leid in Gaza stärker anerkannt wird.
taz: In ihrem Antrag kritisieren sie die Hamas in scharfen Worten und die israelische Regierung in etwas sanfteren – ein ähnlicher Ton wie bei der Bundesregierung. Wo sind Sie deutlicher?
Nietzard: Es gab in Deutschland die Debatte, wie man mit dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs umgehen sollte, falls Netanjahu deutschen Boden betritt. Wir finden: Man kann sich nicht aussuchen, in welchen Konflikten man den Gerichtshof achtet und in welchen nicht. Wir fordern auch, dass keine weiteren Offensivwaffen nach Israel geliefert werden dürfen, bis Gerichte geurteilt haben, ob Kriegsverbrechen begangen werden.
taz: Wie oft sagen Sie das Annalena Baerbock?
Nietzard: Wir sind vor allem mit der Bundestagsfraktion im Austausch, wo wir junge Abgeordnete haben, die Außenpolitik machen und auf den Werten der Grünen Jugend stehen. Was ich aber allen sagen möchte ist, dass ich mir Menschlichkeit in die Debatte zurückwünsche. Wir sollten nicht aus Angst vor einer Debatte die Zerstörung und Unterversorgung der Zivilbevölkerung in Gaza ignorieren, wir sollten nicht aus Angst vor Nazis Abschiebungen fordern und wir sollten nicht aus Angst vor Autokraten die Unterdrückung von Kurd*innen mittragen.
taz: Die Rüstungsexporte an die Türkei sind während der Regierungsbeteiligung der Grünen auf den höchsten Stand seit 2006 gestiegen.
Nietzard: Erdoğan ist ein Autokrat und kein vernünftiger Verhandlungspartner. Ich finde nicht alles gut, was die Bundesregierung macht. Surprise.
taz: Was fordern Sie darüber hinaus in der Syrienpolitik?
Nietzard: Syrien wurde von der Diktatur befreit. Das ist sehr gut. Wie es dort weitergeht, ist aber unklar. Gerade deshalb ist es wichtig, jetzt nicht als allererstes nach Abschiebungen zu schreien. Ich würde mir wünschen, dass Menschen in ihre Heimat zurückgehen können. Und ich würde mir wünschen, dass Deutschland hilft, vor Ort die Bedingungen dafür zu schaffen. Aber das ist ein langer Prozess mit ungewissem Ausgang und solange können wir Menschen nicht in Unsicherheit entlassen und müssen ihre Anträge auf Schutz weiter genehmigen.
taz: Angenommen, die Grünen regieren weiter, womöglich mit der Union. Wie lange dauert es dann, bis sie Abschiebungen nach Syrien „unter Bauchschmerzen“ mittragen?
Nietzard: Ich erwarte, dass sie das nicht machen werden. Sollte sich so etwas andeuten, kann ich hier das Versprechen abgeben: Die Grüne Jugend wird für Menschen- und Asylrechte auf die Barrikaden gehen.
taz: Das ändert ja nichts, wenn sich der Rest der Partei und vor allem der linke Flügel mal wieder nicht am Aufstand beteiligen.
Nietzard: Die Parteilinken haben in der Vergangenheit Gesetze und Richtungsentscheidungen mitgetragen, die negative Auswirkungen auf Asyl- und Menschenrechte hatten, das stimmt. Aber die Vergangenheit darf keine Ausrede für Mutlosigkeit sein. Menschenrechte, Frauenrechte und Kinderrechte sind mit Schwarz-Grün nicht vereinbar. Die grüne Basis ist klug genug, das zu erkennen, wenn es eine Urabstimmung über einen Koalitionsvertrag gibt.
taz: Am Dienstag kommt erst mal der Entwurf fürs grüne Wahlprogramm. Was sollte zur Migrationspolitik drinstehen?
Nietzard: Keine weiteren Asylrechtsverschärfungen mit uns.
taz: Daran glauben Sie wohl nicht ernsthaft?
Nietzard: Wir haben auf dem letzten Parteitag einen guten Beschluss für die Asylpolitik verhandelt und ich hoffe, dass die Partei auch jetzt eine entsprechende Formulierung findet. Die gesellschaftliche Debatte hat sich weit nach rechts verschoben und die Grünen würden gut daran tun, dem nicht mehr hinterherzurennen. Überhaupt würde ich mir gerade für junge Menschen wünschen, dass Parteien wieder den Mut haben, Konflikte zu benennen und zu Positionen zu stehen – auch wenn es gerade ungemütlich ist.
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