Javier Milei in Berlin: Scholz trifft „Anarchokapitalisten“

Zwei ganz unterschiedliche Politikertypen kommen in Berlin zusammen: Hier der leise sozialdemokratische Pragmatiker, da der laute rechte Exzentriker.

Demonstration in Hamburg gegen den Besuch Javier Mileis

Protest gegen Argentiniens rechtspopulistischen Staatspräsidenten Javier Mileis am Samstag in Hamburg Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

BERLIN dpa/taz | Javier Milei ist kein Freund der leisen Töne: Im Wahlkampf trat er mit laufender Kettensäge auf, unliebsame Parlamentarier tituliert er gerne als „Ratten“ und der Staat ist für ihn die Wurzel allen Übels. Am Sonntagmittag wird der argentinische Präsident, der sich selbst als „Anarchokapitalisten“ bezeichnet, von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Berliner Kanzleramt empfangen.

Eines ist sicher: Da werden zwei völlig gegensätzliche Politikertypen aufeinandertreffen: Hier der leise Pragmatiker, da der laute Exzentriker. Viel wird die Öffentlichkeit davon allerdings nicht mitbekommen: Die ursprünglich angekündigte Begrüßung mit militärischen Ehren wurde ebenso kurzfristig abgesagt wie eine gemeinsame Pressekonferenz.

Geblieben ist ein kurzer Fototermin zum Auftakt des Gesprächs, das lediglich eine Stunde dauern soll – auf Wunsch Mileis, wie es von deutscher Seite heißt. Die direkte Konfrontation mit Journalisten liegt dem argentinischen Staatschef nicht: Auch in seiner Heimat gibt er praktisch nie Pressekonferenzen.

Bei dem Treffen im Kanzleramt dürfte es vor allem um Wirtschaftsthemen gehen. Argentinien verfügt über viele Rohstoffe wie beispielsweise Lithium, das in Deutschland dringend gebraucht wird. Ein weiteres Thema dürfte das von beiden Seiten angestrebte Freihandelsabkommen Mercosur sein.

Kritik an Mercosur-Verhandlungen mit Milei

Die Gespräche über das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur sind weiterhin festgefahren. Milei ist als Wirtschaftsliberaler zwar ein großer Freund des Freihandels, liegt aus ideologischen Gründen allerdings mit Brasiliens Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva – dem Staatschef der größten Wirtschaftsmacht der Region und Argentiniens wichtigstem Handelspartner – über Kreuz.

Allerdings gibt es auch in der deutschen Politik laute Zweifel, ob das Mercosur-Abkommen unter den gegebenen Umständen zustande kommen sollte. „Die rechtsextreme Milei-Regierung ist kein stabiler Wertepartner für die deutsche Wirtschaft“, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Max Lucks der taz. „Wie wir mit einem Präsidenten, der den menschengemachten Klimawandel leugnet und sämtliche Menschenrechte innenpolitisch abschaffen möchte, verbindliche Standards in ein Mercosur-Abkommen verhandeln wollen, ist mir ein Rätsel“, so Lucks, der grüner Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist.

„Mileis Verachtung für den Staat und seine Institutionen, gepaart mit einem einzigartigen Sparprogramm und seiner Absicht, das Land per Dekret zu regieren, offenbaren ein zynisches, antidemokratisches Weltbild“, sagte Gregor Gysi, Sprecher für Außenpolitik der Gruppe Die Linke im Bundestag. Mit so einem Präsidenten dürfe es keine enge Zusammenarbeit Deutschlands geben. „Milei muss die Bürgerrechte und die Demokratie in Argentinien achten, andernfalls kann es kein Mercosur-Abkommen geben“, forderte Gysi.

Besuch bei rechtsliberaler Hayek-Gesellschaft

Milei war bereits am Samstag in Deutschland eingetroffen und hatte in Hamburg die Medaille der rechtsliberalen Friedrich August von Hayek-Gesellschaft erhalten – in Anwesenheit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und des Vorsitzenden der rechtskonservativen Werteunion Hans-Georg Maaßen.

„Sie bringen den Kapitalismus aus der Defensive“, sagte der Vorsitzende des Ökonomen-Verbandes, Stefan Kooths, in seiner Laudatio in einem Hamburger Hotel. Er verglich Mileis Politik mit einer Chemotherapie. „Die Nebenwirkungen sind heftig“, sagte der Kieler Wirtschaftswissenschaftler. Aber ohne eine solche Therapie wäre Argentinien am Ende.

Unter dem Motto: „Kein Preis für extreme Rechte, keine Medaille für Javier Milei“ protestierten vor dem Veranstaltungsort mehrere hundert Demonstranten. Sie waren einem Aufruf eines Bündnisses argentinischer und deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie der Linkspartei gefolgt.

Argentinien in der Krise

Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steckt seit Jahrzehnten in einer schweren Wirtschaftskrise. Argentinien leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht.

Milei hat dem Land nun eine echte Rosskur verordnet: Die Regierung strich Tausende Stellen im öffentlichen Dienst, kürzte Subventionen und wickelte Sozialprogramme ab. Nach Angaben der Katholischen Universität Argentiniens leben knapp 56 Prozent der Menschen in Argentinien unter der Armutsgrenze und rund 18 Prozent in extremer Armut.

„Es war immer klar, dass das nicht ohne Härten über die Bühne gehen wird, aber das haben wir den Leuten immer klar kommuniziert“, sagte Milei bei seinem recht langatmigen Vortrag vor der Hayek-Gesellschaft. „Wir haben gesagt, dass es kein Geld gibt, dass es hart werden wird, dass der Anfang schwer werden wird, aber dass wir schließlich gute Ergebnisse erzielen werden.“

Bislang nur wenige Treffen mit Staats- und Regierungschefs

Vor Scholz haben bisher nur wenige Staats- und Regierungschefs Milei seit dessen Amtsantritt vor einem halben Jahr empfangen: Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, El Salvadors Präsident Nayib Bukele und Papst Franziskus als Staatsoberhaupt des Vatikans.

Die für argentinische Präsidenten üblichen Reisen in die wichtigen Nachbarländer wie Brasilien und Chile ließ Milei wegen ideologischer Differenzen ausfallen. Bei seinem Besuch in Spanien traf Milei sich nicht mit Regierungsvertretern, sondern trat stattdessen bei einer Wahlkampfveranstaltung der rechtsextremen Vox-Partei auf. Dort beschimpfte er die Ehefrau von Ministerpräsident Pedro Sanchez als korrupt. Seitdem gilt das Verhältnis zwischen Spanien und Argentinien als gestört.

In den USA war er zwar bereits mehrfach – aber ohne Termin im Weißen Haus. Stattdessen traf er sich mit Tesla-Boss Elon Musk und Ex-Präsident Donald Trump, mit dem er häufig verglichen wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.