Jan Böhmermann im HKW: Die Wurstigkeit ist Programm
Der Satiriker inszeniert mit der Ausstellung „Die Möglichkeit der Unvernunft“ eine Mischung aus Kunstschau, Ego-Archiv und Fernsehgarten.

Das erste laute „Oje“ entfährt dem Mund schon in die kühle Morgenluft, bevor man überhaupt nur vom Fahrrad abgestiegen ist und die Ausstellungsfläche des Berliner Hauses der Kulturen der Welt betreten hat. Da ragt nämlich schlaff nicht nur eine aufblasbare Freiheitsstatue aus dem Wasserbecken vor dem Ausstellungshaus.
Da intoniert auch eine feierliche Frauenstimme von irgendwo „Land of the Free“ zur US-Hymnen-Melodie über den Platz. Der Bezug: Das HKW wurde der Bundesrepublik einst von den USA geschenkt, und bis zur US-Politik, so weit reicht die Wirkmacht des bekanntesten deutschen Komikers natürlich auch auf jeden Fall. Die Message: Die Freiheit säuft ab. Der gestiegene Meeresspiegel steht ihr nicht nur zum Hals, nein schon bis zur Nase.
Und damit willkommen in der nicht sonderlich subtilen Ausstellung „Die Möglichkeit der Unvernunft“ von Jan Böhmermann und seiner Gruppe Royal. Am vergangenen Wochenende eröffnete sie, Schlangen bildeten sich, denn wenn „Böhmi“ etwas tut, dann macht das ja immer ordentlich Furore. Und dass er jetzt hier einen der großen Kunstorte der Hauptstadt bespielt, obwohl er doch mit ZDF-Sendung, Podcast und Social-Media-Accounts schon diverse Bühnen hat, das wurde mit Spannung erwartet.
Strenger als im Techno- und Sexclub Berghain müssen deswegen am Eingang zunächst die Handys abgegeben werden. Gute Idee, voll schön, mal wieder in die echte menschliche Begegnung zu kommen, nur irgendwie hat es gleich auch das Geschmäckle der passiv-aggressiven Autorität von Waldorf-Pädagogen. Also, was erleben und was sehen die Besucherinnen und Besucher, anstatt es zu fotografieren?
Eine Art Fernsehgarten für Indie-Kids
Drei Flaggen, eine schwarz, eine in Rot, eine gold. Auf die Flaggen sind noch Herz, Faust und Smiley gedruckt. Sie wurden neben der Bühne gehisst, auf der in den nächsten zwei Wochen das sogenannte Rahmenprogramm stattfindet, was so eine Art ZDF-Fernsehgarten ist, für Leute, die man früher Indie-Kids nannte. Domiziana, Mine, Ebow oder Wa22ermann treten auf.
Chefket eigentlich auch, doch dann warf Wolfram Weimer, dessen Behörde hier wohl mitfinanzierte und der auch zum Auftritt eingeladen ist, dem Rapper Antisemitismus vor, Böhmermann sagte erst, er werde sich bei Weimer unterhaken und jeden von der Bühne boxen, der das Existenzrecht Israels infrage stellt. Schien nicht zu reichen, zwei Tage nach Eröffnung sagte man das Konzert, das ausgerechnet am 7. Oktober stattfinden sollte, ab.
Ebenfalls im Außenbereich steht ein Fernrohr, das auf einen Spiegel gerichtet ist, mit dem man direkt in das Büro des nebenan angesiedelten Bundeskanzlers blicken soll. Eine Gedenktafel für eine Prostituierte, die hier 1966 erwürgt aufgefunden und deren Tod nie aufgeklärt wurde, steht im Park. Und vom Wasser aus sieht man einen Haufen von hingeworfenem Mietroller-Schrott – eine ähnliche Arbeit hat der Künstler-Kollege Lars Eidinger vor ein paar Jahren gezeigt und davor auch schon jemand.
Im Innern steht eine große Büste von Helmut Kohl aus Butter, eine Rauchkabine wie in Flughäfen, nur mit echten Zigaretten, in der man auch ganz echt rauchen kann. (Über diese Unvernunft sind dann alle ganz aus dem Häuschen!). Es gibt eine Maschine, die alle 28 Minuten ein Kuscheltier schreddert, wenn man nicht 20 Euro zahlt und ein Foto von sich macht, das im Internet landet. Auf Grabsteinen stehen Geburtstage, Name und geschätzte Vermögen der reichsten deutschen Männer.
Die Kreativität bleibt überschaubar
Und dann gibt es noch Nacktbilder von Merz, die eine KI errechnet hat, außerdem einen Nachbau einer Einbürgerungstestsituation. Auch wenn man versucht, noch eine Metaebene zu finden: Da ist keine. Macht ja nichts, es muss ja auch barrierearme Kreativität geben, denkt man sich und schaut sich weiter um.
Ach, hier eine Vollmacht aus der Zeit, als Böhmermann vom türkischen Präsidenten Erdoğan angezeigt wurde. Oder hier eine der Masken von Fynn Kliemann. Hygieneprodukte aus einem Trump-Hotel, in dem Böhmermann genächtigt hat. Handtücher aus dem Haushalt René Benkos (Signa-Gruppe Immobilien). Lustig, alle Exponate auf den Sockeln sind Devotionalien aus Böhmermanns Fernsehkarriere.
Mal weiter schauen: Oh, eine goldene Schallplatte von Bushido, die JB – wir müssen das jetzt mal abkürzen, sonst geht hier so viel Platz drauf – für 16.600 vom Zoll ersteigert hat. Ah, den Boxsack von Jan Marsalek (Wirecard) hat er auch ersteigert. Und oh, der E-Scooter, mit dem JB 2025 durchs Land fuhr, auch ein Video davon wird gezeigt. Und ach, das sind alles Schriftstücke aus den juristischen Auseinandersetzungen von JB? „Circa 86.000 DIN-A4-Seiten“ aus „circa 15.400 Strafanzeigen und anwaltlichen Abmahnungen, über 100 Straf- und Zivilprozessen“?
Mensch, was das wohl an Anwaltskosten gekostet hat! Oh, die Menschen auf den Postkarten da zum Mitnehmen sind die Profilbilder derer, die JB im Internet beleidigt oder kritisiert haben. Und hier, diese ganze Wand hängt voll mit Screenshots aus JBs persönlichem Handy.
Jan Böhmermann & Gruppe Royale bis 19. Oktober, Haus der Kulturen der Welt, www.hkw.de
Caro Daur. Jule Lobo. Charlotte Roche und Sophie Passmann, Franca Lehfeldt, Döpfner, Stuckrad-Barre – oh nochmal Charlotte Roche? Ist das hier eine Art Psychogramm des Entertainers? Roche und er hatten ja mal eine Sendung zusammen, die dann wegen Uneinigkeiten der beiden eingestellt wurde, und beim zweiten Kölsch erzählte man sich damals in Köln gerne, was da nicht so gut lief. Na ja, jedenfalls sagt man dann gar nicht mehr „Oje“, denn das ist alles so unangenehm selbstreferenziell, dass man vor Fremdscham lieber gar nichts mehr sagt.
Ach, es ist schwierig mit Jan Böhmermann. Man will ihn ja eigentlich nicht kritisieren, so wie es die Rechte tut, man ist ja schließlich auch für Vermögensteuer und gegen Faschismus. Und man arbeitet sich persönlich ja auch etwas zu viel an Trotteln im Internet ab, die viel zu viel Geld damit verdienen, Quatsch in die Kamera zu reden. Aber das hier lässt sich einfach nicht zu einer guten Ausstellung machen.
Und dann nimmt man noch mal die Ausstellungsbeschreibung in die Hand, um nach etwas Subtilem zu suchen. Entfaltet man sie, wird eine große Fleischwurst sichtbar, die man natürlich auch als Phallus lesen kann. Vielleicht muss man es einfach als eine Ausstellung über männliches Ego und toxische Männlichkeit lesen? Oje.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert