Italien erlässt Dekret zur Seenotrettung: Meloni ändert den Kurs
Bisher hat die italienische Regierung die Seenotrettung im Mittelmeer durch Ignorieren behindert. Nun versucht sie es mit einer neuen Strategie.
Im Kern beinhaltet das Dekret von Innenminister Matteo Piantedosi dabei drei Punkte: Die Schiffe müssen erstens nach einer Rettungsaktion direkt einen vorgegebenen Hafen ansteuern und dürfen keinem weiteren Notruf folgen. Das Dekret verbietet zweitens, dass Schiffe ihre Geretteten auf ein anderes Schiff übertragen, sogenanntes Transshipment. Drittens sollen die Geflüchteten Asyl bei den Staaten beantragen, unter deren Flagge die NGO-Schiffe segeln.
Wenn die NGOs den Kodex missachten, sieht das Dekret Geldbußen von bis zu 50.000 Euro vor. Obendrein droht ihnen, dass ihre Schiffe bis zu zwei Monate an die Kette gelegt werden. Im Wiederholungsfall könnte die italienische Regierung sie sogar endgültig beschlagnahmen. Für Wasil Schausil, Sprecher der Organisation SOS Humanity, ist das Ziel der italienischen Regierung klar: „Sie wollen uns aus dem Verkehr ziehen und unsere Arbeit behindern.“
Damit rückt die italienische Regierung deutlich von ihrer bisherigen Strategie ab. Als im November mehrere NGO-Schiffe vor der italienischen Küste trieben, mit mehr als 1.000 Menschen an Bord, ließ die neugewählte italienische Regierung sie dort wochenlang ausharren.
Weniger Zeit auf See
Schließlich bat eines der Schiffe Frankreich um einen sicheren Hafen. In Marseille konnten die Geflüchteten nach drei Wochen Warten an Land gehen. In der EU hagelte es Kritik. Frankreich zog sich als Reaktion aus dem „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“ zurück, der EU-Staaten entlasten soll, die besonders viele Geflüchtete aufnehmen.
Anders lief es dann in der vergangenen Woche. Statt die Schiffe zu ignorieren, forderte die italienische Regierung von der „Sea Eye 4“ mit 108 Menschen an Bord unmittelbar in einen bestimmten Hafen in Italien einzulaufen. Die „Ocean Viking“ erhielt am Mittwoch die Erlaubnis, mit den zwei Tage zuvor geretteten 113 Geflüchteten an Bord einen italienischen Hafen anzulaufen. Doch was wie eine Verbesserung schien, bereitet den NGOs mehr Sorgen.
Der Hafen, welchen die Meloni-Regierung der „Sea Eye 4“ zugewiesen hat, gehört zur weit entfernten Stadt Livorno in der Toskana. Vier Tage dauerte die Überfahrt der „Sea-Eye 4“. Ebenfalls vier Tage kalkuliert die „Ocean Viking“, um den weit im Norden in der Adria gelegenen Hafen von Ravenna zu erreichen. Zwei weiteren NGO-Schiffen erging es ähnlich.
Ein deutliches Muster, erklärt die italienische Rechtsanwältin und Aktivistin Lucia Gennari im Gespräch mit der taz. Durch die schnell zugewiesenen sicheren Häfen gebe die italienische Regierung vor, sich an internationales Recht zu halten. Doch die weiten Entfernungen behinderten NGOs bei ihrer Arbeit.
Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye, verdeutlicht das anhand der Folgen der langen Fahrten: „Das führt zu einer höheren Abwesenheit von Rettungsschiffen im Einsatzgebiet, höheren Kosten für die Organisationen und zur Verkürzung der Missionen.“
Weil dem Dekret entsprechend NGOs Geflüchtete direkt nach dem Einsatz an Land bringen müssten, würden sie auch weniger retten. Als die „Sea-Eye 4“ auf der Rückfahrt von einem Seenotfall auf einen weiteren stieß, reagierten die italienischen Behörden entsprechend. Sie wiesen die Crew der „Sea-Eye 4“ mehrfach darauf hin, direkt auf Livorno zuzusteuern statt zum Notfall. Unterdessen wies auch Malta zwei Handelsschiffe an, den Fall zu ignorieren, und drohte bei Nichteinhaltung mit Konsequenzen.
Durch die Asylanträge an Bord möchte Italien offenbar auch andere Staaten in die Verantwortung nehmen. „Wir können keine Migranten aufnehmen, die von ausländischen Schiffen auf See aufgegriffen werden, die systematisch ohne vorherige Abstimmung mit den Behörden operieren“, erklärte Piantedosi noch im November.
Dass die Geflüchteten auf den Schiffen Asylanträge für die Staaten stellen sollen, hält Rechtsanwältin Gennari für schwer umsetzbar. NGOs seien keine staatlichen Institutionen. „Allein die Bereitstellung der erforderlichen Informationen ist an Bord nicht möglich.“ Sie verweist darauf, dass nicht alle Schiffe der zivilen Flotte unter europäischen Flaggen fahren. So ist der Flaggenstaat der NGO Emergency Panama.
NGOs retten nicht am meisten
Der dritte Punkt des Dekrets, die verbotenen Transshipments, trifft vor allem kleinere Schiffe der zivilen Flotte. Sie greifen häufig darauf zurück, Geflüchteten in Not erst an Bord zu nehmen und sie anschließend an größere NGO-Schiffe abzugeben. So können die kleineren Schiffe auf See bleiben, während große Schiffe wie die „Sea-Eye 4“ mit den Geflüchteten auf die Zuweisung eines Hafens warten. Die Methode ist nun verboten.
Caroline Günther, Pressesprecherin der Organisation r42, bereitet das große Sorgen: „Für Organisationen wie unsere, die mit kleinen Schiffen unterwegs und deren Konzept an die Kapazitäten dieser Schiffe angepasst sind, kommt ein Verbot des Transshipments einer Festsetzung gleich.“
Rechtsanwältin Gennari kritisiert außerdem, es stehe im Kontrast zu internationalem Recht. „Sollte ein Kapitän einschätzen, dass die Sicherheit der Menschen an Bord gefährdet ist, bleibt es seine Entscheidung, ein Transshipment durchzuführen.“
Im Wahlkampf war Migration eines der Kernthemen von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Sie sprach davon, Bootsmigrant*innen gar nicht mehr an Land zu lassen, und hetzte öffentlich gegen Seenotrettungsorganisationen. Ihretwegen würden sich viele Geflüchtete überhaupt erst auf die oft tödliche Überfahrt über das Mittelmeer begeben.
Dabei belegen die Zahlen: Die zivile Flotte rettet nur einen Bruchteil der Geflüchteten. Viele schaffen es von allein, viele retten Schiffe der italienischen Küstenwache oder Handelsschiffe. Laut Angaben des italienischen Innenministeriums sind in diesem Jahr knapp 102.600 Menschen über den Seeweg nach Italien gekommen. Nur 13 bis 14 Prozent davon trafen auf NGO-Schiffen ein.
Transparenzhinweis: Paula Gaess ist in einem im Text ungenannten Verein für zivile Seenotrettung aktiv.
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