Seenotrettung im Mittelmeer: Geflüchtete als Spielball
Italiens Kampf gegen die zivile Seenotrettung geht in eine neue Runde. Vier EU-Mitgliedsstaaten fordern nun einen strengeren Umgang mit NGO-Schiffen.
BERLIN taz | Die vier EU-Mitgliedsstaaten Italien, Malta, Griechenland und Zypern wandten sich am Wochenende in einem gemeinsamen Statement an die EU und beklagten den aktuellen Umgang mit der zivilen Seenotrettung. Der „Modus Operandi“ entspräche nicht dem Geist des internationalen Rechtsrahmens für Such-und Rettungsaktionen, so heißt es in dem Schreiben. Im Zuge dessen kündigte die neu gewählte Ministerpräsidentin Georgia Meloni weitere Maßnahmen gegen NGO-Schiffe an. Wie diese jedoch genau aussehen sollen, führte sie nicht weiter aus.
„Jeder Staat muss seine Gerichtsbarkeit und Kontrolle über die unter seiner Flagge fahrenden Schiffe tatsächlich ausüben“, fordern die vier Länder in ihrem Statement an die EU. Dabei werfen die Staaten der zivilen Seenotrettung vor, ihre Einsätze nicht in Abstimmung mit den zuständigen Behörden durchzuführen. Die EU-Kommission und der Ratsvorsitz sollen „notwendige Schritte“ unternehmen, damit eine Diskussion über die Zukunft solcher Einsätze geführt wird.
In den vergangenen drei Wochen warteten über tausend Menschen auf unterschiedlichen NGO-Schiffen auf die Zuweisung eines sicheren Hafens vor Italien. Als die italienische Regierung dem Schiff „Ocean Viking“ der Organisation SOS Mediterranee, mit 234 Menschen an Bord, Anfang letzter Woche die Zuweisung erneut verweigerte, legte das Schiff schlussendlich in der französischen Hafenstadt Toulon an.
Die Stimmung zwischen Italien und Frankreich ist seither angespannt. Paris reagierte daraufhin mit Taten. Neben verstärkten Grenzkontrollen an der französisch-italienischen Grenze, kündigte Frankreich zudem an, sich aus dem freiwilligen Verteilungsabkommen zurückzuziehen – somit wird Frankreich im Laufe des nächsten Jahres vorerst nicht 3.500 Menschen aus Italien aufnehmen.
Geflüchtete wieder Spielball der EU-Staaten
Gegenüber der französischen Zeitung „Le Parisien“ äußerte sich die französische Außenministerin Catherine Collona mit scharfer Kritik: „Italien respektiert weder das internationale Recht noch das Schifffahrtsrecht“. Sie betonte dabei, dass die Aufnahme der „Ocean Viking“ nur eine Ausnahme war und nicht das Bild vermitteln soll, dass Frankreich zukünftig NGO-Schiffe empfangen wird, wenn Italien die Zuweisung verweigert.
Zivile Seenotrettungsorganisationen sind seit Jahren im Einsatz auf dem Mittelmeer, darunter auch deutsche Schiffe. Erst vergangene Woche rettete das Schiff Nadir von dem Hamburger Verein Resqship über 350 Menschen in Seenot, innerhalb von 48 Stunden.Um die Menschen sicher an Land zu bringen, benötigen die Schiffe die Zuweisung eines sicheren Hafens von den zuständigen Behörden. In den letzten Jahren konnten die Schiffe nach tagelangem Warten in Italien anlegen. Mit dem italienischen Regierungswechsel ist die zivile Seenotrettung Zielscheibe der faschistischen Regierung geworden.
Gleichzeitig sagte die deutsche Regierung letzten Freitag der zivilen Seenotrettung erstmals finanzielle Unterstützung zu, in Höhe von acht Millionen Euro pro Jahr. Die Fronten innerhalb der EU verhärten sich beim Thema Migration von Tag zu Tag, Geflüchtete sind erneut Spielball der EU-Staaten. Für die Seenotrettung ist durch die neue italienische Führung eine ungewisse Zeit angebrochen. Die letzten Wochen sind vermutlich nur ein Vorgeschmack dessen, was die NGOs und die Geflüchteten im kommenden Jahr erwarten wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben