Israels Regierung und der Ukraine-Krieg: Von moralischen Bedenken keine Spur
Empathie für das ukrainische Leid ist bei der israelischen Regierung nicht erkennbar. Sie fühlt sich Putin näher und bleibt bei Mehrdeutigkeiten.
B ei dem deutschen Zögern, Angriffspanzern an die Ukraine zu liefern, spielen einerseits klare pragmatische Interessen eine Rolle. Niemand möchte Europa in einen Krieg ziehen, außerdem gibt es wirtschaftliche Überlegungen. Umgekehrt liegen auch der Entscheidung für die Panzerlieferung klare Interessen zugrunde. Da ist das Bündnis mit den USA, die Verpflichtungen als Nato-Mitgliedstaat, die Stellung Deutschlands innerhalb Europas und mehr. All dem zur Seite stehen moralische Bedenken.
Niccolò Machiavelli ging davon aus, dass Staaten und Herrscher keinen moralische Kriterien unterliegen. Glücklicherweise hatte er nicht unbedingt recht damit. Im Fall von Deutschland lässt sich sagen, dass sowohl der Widerwille, Angriffswaffen zu liefern, als auch die Entscheidung, es doch zu tun, mit Überlegungen einhergehen, die als historisch-moralisch bezeichnet werden können: Einerseits die Sorge vor einer Situation, die zu den beiden Weltkriegen führte – Deutschland als europäische Militärmacht in direkter Konfrontation mit Russland –; anderseits die Weigerung, tatenlos zuzusehen, wenn große Nationen kleinere vernichten wollen.
Das israelische Dilemma in dieser Frage – davon ausgehend, dass überhaupt irgendjemand ein solches empfindet – ist ganz anderer Art. Vorsichtig ausgedrückt gibt es vorläufig keinerlei Anzeichen dafür, dass die aktuelle Regierung in einem wie auch immer gearteten Bereich moralische Erwägungen anstellt. Alles, was bisher geschieht und was erklärtermaßen noch geschehen soll, sei es im Bereich der Siedlungen, der Flüchtlinge, des Staatsrechts oder der Gewaltenteilung, um nur einige zu nennen, signalisiert Habgier, Chauvinismus und jüdische Überlegenheit.
Wenn überhaupt von Moral gesprochen werden kann, dann wäre das auf religiöser Seite dieses Regimes eine biblische Moral im Sinne von „alles, was Gott sagt, ist richtig und gut“ und auf weltlicher Seite eine Art reduzierter Utilitarismus, frei nach Jeremy Bentham: Alles, was gut für unsere Leute ist, muss gut für alle sein. Und wenn nicht – dann sollen sie David Grossman lesen und sich jammernd in die Ecke eines Tel Aviver Cafés verziehen.
Keine Empathie
Mit Blick auf die Ukraine hält sich Benjamin Netanjahu bislang vage an Erklärungen, die offenbar darauf abzielen, die Liberalen im Westen zu beruhigen. Empathie für das ukrainische Leid ist weder bei ihm noch bei seinen Regierungspartnern erkennbar. Strategische Überlegungen hinsichtlich militärischer Handlungsfreiheit auf syrischem Gebiet spielen eine Rolle. Allerdings hat der Krieg gegen die Ukraine Russland weitgehend als Papiertiger entlarvt. Und doch weigert man sich in Israel entsprechend umzudenken und betrachtet Russland stattdessen als eine Macht, mit der behutsam umzugehen ist. Unter diesen pragmatischen Überlegungen verbirgt sich jedoch etwas tieferes Psychologisches: So lassen Äußerungen der israelischen Rechten vermuten, dass sie sich Putin sehr viel näher fühlen als Selenski. Sie bewundern die Stärke und Gnadenlosigkeit des Russen.
Netanjahu hat sich in der Vergangenheit deutlich an die Seite der Reaktionäre dieser Welt gestellt und würde sich sicher gern wie Viktor Orbán verhalten – auch mit Blick auf die Sympathie zu Russland. Außenpolitisch ist er indes vorsichtiger und bleibt bei Mehrdeutigkeiten. Für Selenski ist das bitter, denn Israel verfügt über Verteidigungssysteme, die Tausenden seiner Landsleute das Leben hätten retten und erhebliche Schäden an der Infrastruktur verhindern können. Die Ukraine wird bei Netanjahu nichts erreichen, solange man an sein moralisches Empfinden appelliert, sondern allenfalls durch internationalen Druck.
Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul
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