Israels Präventivschlag: Was soll Israel tun? Warten, bis die Bombe fertig ist?
In der Debatte um den Krieg gegen die Mullahs fehlt etwas Entscheidendes, das Regime darf die Bombe nicht bekommen: Denn es will Israel vernichten.

W o fängt man an? Vielleicht bei der eigenen Sprachlosigkeit. Bei dem Versuch, Ordnung im Kopf zu schaffen, wenn alles gleichzeitig passiert. Wenn Worte nicht reichen. Und doch muss man irgendwo anfangen.
Israels Angriff auf das iranische Atomprogramm ist riskant. Aber dass er irgendwann notwendig würde, war unausweichlich, da jahrzehntelange Verhandlungen scheiterten. Ein Schlag gegen ein Regime, das Israels Auslöschung fordert. Gegen einen islamistischen Gottesstaat, der den Terror gegen den jüdischen Staat finanziert.
Im Spiegel wurde in Pathosformeln gefordert, Deutschland dürfe nicht erneut schweigen. Gemeint ist: Deutschland müsse sich gegen Israel stellen. Die Argumente: moralische Selbstvergewisserung und die falsche Darstellung der militärischen Operation als reine Machtausübung.
Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.
Was mir fehlt: das Verständnis dafür, dass der iranische Vernichtungsgedanke keine Metapher ist, sondern zentrales Element der Politik. Doch der wahre Bösewicht, dem Unverhältnismäßigkeit vorgeworfen wird, ist ausgemacht: Israel.
Prinzip Überleben
Aber was soll Israel tun? Warten, bis die Bombe fertig ist? Einen Brief nach Teheran schicken? Die These, Israel habe nur aus innenpolitischen Gründen gehandelt, ist absurd. Ein hochkomplexer Schlag tief in iranisches Gebiet wird nicht aus PR-Gründen geführt, sondern über lange Zeit strategisch geplant – weil das Regime gerade so schwach ist wie lange nicht. Das ist Realpolitik. Netanjahu weiß trotzdem, wie man Ereignisse politisch nutzt. Und dass dabei das Schicksal der Geiseln und die Lage in Gaza in den Hintergrund rückt, ist ein Fakt.
Wer aber überrascht ist über diesen Angriff, hat die vergangenen Jahrzehnte verschlafen. Israel kann nicht akzeptieren, dass Teheran die Bombe bekommt. Niemand kann das – und doch wurde die Gefahr kleingeredet. Man glaubte an Verträge. An Diplomatie. Auch bei Russland glaubte man das. Bis Panzer rollten. Der Westen glaubte an das Gute im Mullah. Aber religiöse Fanatiker geben nichts auf weltliche Versprechen. Sie leben für den Tod.
Einige tun nun so, als hätte Israel einen Frieden zerstört – doch Frieden herrschte nicht. Im April und Oktober 2024 griff Iran israelische Zivilisten massiv mit Raketen an. Zuvor finanzierte er das genozidale Massaker vom 7. Oktober. Wer das ausblendet, betreibt große Gedankenakrobatik.
Ich glaube nicht an das Prinzip Gewaltlosigkeit, sondern an das Prinzip Überleben. An das Motiv: Nie wieder Opfer sein. Ein zutiefst jüdisches. Für mich keine abstrakte Kategorie.
Trotzdem: Die Angst sitzt in mir. Um Freunde, Kollegen, Verwandte. Dass bei den Angriffen iranische und israelische Zivilisten sterben, ist furchtbar. Erstere leben unter einem Regime, das ihr Leben verachtet. Besonders Minderheiten stehen nun unter Spionageverdacht. Sie trifft die Rache zuerst.
Bezeichnend, dass viele ausgerechnet jetzt Mitgefühl für Iraner entdecken – wenn Israel handelt. Wo war diese Empathie, als Dissidenten verschwanden? Frauen gegen die islamische Kleiderordnung demonstrierten und von den Schergen des Regimes zu Tode geprügelt wurden? Wer erst dann laut wird, wenn Israel sich verteidigt, meint nicht das Leid in Iran. Er meint Israel.
Auch in Deutschland wirkt das alles. Jüdische Einrichtungen stehen unter erhöhtem Schutz. Weil der Arm Teherans längst bis hierher reicht. Es macht etwas mit mir. Mit vielen. Es gibt keine Sicherheit neben einem System, das auf Vernichtung basiert. Die Lage ist kompliziert.
Und trotzdem lässt sich klar benennen, wer das pure Böse ist. Ich kann Mitgefühl für iranische Zivilisten empfinden, ihre Zerrissenheit angesichts des Großangriffs – und gleichzeitig Israels Handeln verstehen. Das bedeutet: Komplexität aushalten. Auch ohne endgültige Antworten.
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