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Israels PräventivschlagWas soll Israel tun? Warten, bis die Bombe fertig ist?

In der Debatte um den Krieg gegen die Mullahs fehlt etwas Entscheidendes, das Regime darf die Bombe nicht bekommen: Denn es will Israel vernichten.

Im Hintergrund ist ein Banner mit iranischen ranghohen Kommandeuren zu sehen, die von Israel getötet wurden, Teheran am 15.6.2025 Foto: Zara/imago

W o fängt man an? Vielleicht bei der eigenen Sprachlosigkeit. Bei dem Versuch, Ordnung im Kopf zu schaffen, wenn alles gleichzeitig passiert. Wenn Worte nicht reichen. Und doch muss man irgendwo anfangen.

Israels Angriff auf das iranische Atomprogramm ist riskant. Aber dass er irgendwann notwendig würde, war unausweichlich, da jahrzehntelange Verhandlungen scheiterten. Ein Schlag gegen ein Regime, das Israels Auslöschung fordert. Gegen einen islamistischen Gottesstaat, der den Terror gegen den jüdischen Staat finanziert.

Im Spiegel wurde in Pathosformeln gefordert, Deutschland dürfe nicht erneut schweigen. Gemeint ist: Deutschland müsse sich gegen Israel stellen. Die Argumente: moralische Selbstvergewisserung und die falsche Darstellung der militärischen Operation als reine Machtausübung.

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Was mir fehlt: das Verständnis dafür, dass der iranische Vernichtungsgedanke keine Metapher ist, sondern zentrales Element der Politik. Doch der wahre Bösewicht, dem Unverhältnismäßigkeit vorgeworfen wird, ist ausgemacht: Israel.

Prinzip Überleben

Aber was soll Israel tun? Warten, bis die Bombe fertig ist? Einen Brief nach Teheran schicken? Die These, Israel habe nur aus innenpolitischen Gründen gehandelt, ist absurd. Ein hochkomplexer Schlag tief in iranisches Gebiet wird nicht aus PR-Gründen geführt, sondern über lange Zeit strategisch geplant – weil das Regime gerade so schwach ist wie lange nicht. Das ist Realpolitik. Netanjahu weiß trotzdem, wie man Ereignisse politisch nutzt. Und dass dabei das Schicksal der Geiseln und die Lage in Gaza in den Hintergrund rückt, ist ein Fakt.

Wer aber überrascht ist über diesen Angriff, hat die vergangenen Jahrzehnte verschlafen. Israel kann nicht akzeptieren, dass Teheran die Bombe bekommt. Niemand kann das – und doch wurde die Gefahr kleingeredet. Man glaubte an Verträge. An Diplomatie. Auch bei Russland glaubte man das. Bis Panzer rollten. Der Westen glaubte an das Gute im Mullah. Aber religiöse Fanatiker geben nichts auf weltliche Versprechen. Sie leben für den Tod.

Einige tun nun so, als hätte Israel einen Frieden zerstört – doch Frieden herrschte nicht. Im April und Oktober 2024 griff Iran israelische Zivilisten massiv mit Raketen an. Zuvor finanzierte er das genozidale Massaker vom 7. Oktober. Wer das ausblendet, betreibt große Gedankenakrobatik.

Ich glaube nicht an das Prinzip Gewaltlosigkeit, sondern an das Prinzip Überleben. An das Motiv: Nie wieder Opfer sein. Ein zutiefst jüdisches. Für mich keine abstrakte Kategorie.

Trotzdem: Die Angst sitzt in mir. Um Freunde, Kollegen, Verwandte. Dass bei den Angriffen iranische und israelische Zivilisten sterben, ist furchtbar. Erstere leben unter einem Regime, das ihr Leben verachtet. Besonders Minderheiten stehen nun unter Spionageverdacht. Sie trifft die Rache zuerst.

Bezeichnend, dass viele ausgerechnet jetzt Mitgefühl für Iraner entdecken – wenn Israel handelt. Wo war diese Empathie, als Dissidenten verschwanden? Frauen gegen die islamische Kleiderordnung demonstrierten und von den Schergen des Regimes zu Tode geprügelt wurden? Wer erst dann laut wird, wenn Israel sich verteidigt, meint nicht das Leid in Iran. Er meint Israel.

Auch in Deutschland wirkt das alles. Jüdische Einrichtungen stehen unter erhöhtem Schutz. Weil der Arm Teherans längst bis hierher reicht. Es macht etwas mit mir. Mit vielen. Es gibt keine Sicherheit neben einem System, das auf Vernichtung basiert. Die Lage ist kompliziert.

Und trotzdem lässt sich klar benennen, wer das pure Böse ist. Ich kann Mitgefühl für iranische Zivilisten empfinden, ihre Zerrissenheit angesichts des Großangriffs – und gleichzeitig Israels Handeln verstehen. Das bedeutet: Komplexität aushalten. Auch ohne endgültige Antworten.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Freie Podcasterin und Moderatorin. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber.
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8 Kommentare

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  • Die Beweggründe Israels sind durchaus klar und deutlich, ja, sogar verständlich. Natürlich geht es um den Angriff auf die Anlagen, die dem Iran zur Herstellung hochangereicherten Urans zum Bau einer Bombe dient. Man fragt sich durchaus, wofür der Iran hochangereichertes Uran benötigt. Jedenfalls nicht für die friedliche Nutzung der Kernenergie. Wenn es jetzt heißt, es seien noch keine erhöhten Strahlungswerte gemessen worden, ist die Frage, ob Israel sein Ziel überhaupt schon erreicht hat. Wahrscheinlich nicht. Dass der Iran Israel gegenüber extrem feindlich auftritt, sieht man an den Gruppen, die vom Iran unterstützt werden.



    Die eigentliche Gefahr für Israel besteht jedoch in den Größenverhältnissen: Der Iran hat 9x so viele Einwohner wie Israel. Israel wird mächtige Verbündete brauchen wie die USA und die EU, um langfristig nicht unter die Räder zu geraten.

  • "Ich glaube nicht an das Prinzip Gewaltlosigkeit, sondern an das Prinzip Überleben. An das Motiv: Nie wieder Opfer sein. Ein zutiefst jüdisches.

    Diese Nie-wieder-Mentaltität und die Ereignisse der Vergangenheit sind aber kein Freibrief dafür die Erkenntnisse und damit verbundenen Errungenschaften nach 1945 über den Haufen zu werfen und zurück zur Vorkriegsordnung mit dem Recht zur Kriegsführung und damit zum Recht des Stärkeren zurückkehren. Insbesondere ist es kein jüdisches Alleinstellungsmerkmal.

    Andere Völker und Nationen haben auch Rechte, besonders das Recht zu Leben. Gilt auch für iranische Konsulatsmitarbeiter und Wissenschaftler.

    In ihrer "Kampf ums Dasein" Theorie sollte die Autorin einmal mitberücksichtigen, dass diese derzeit vorallem die Opfer der israelischen Kriegsführung und Politik betrifft. In Gaza, Westjordan, Libanon und jetzt auch im Iran.

    Das Argument mit der Atombombe greift daher zu kurz, um den Angriffskrieg Israels und die Gräueltaten zu rechtfertigen.

    • @Sam Spade:

      Wenn das eigene Überleben - letztlich impliziert auch die eigene Sicherheit und der eigene Wohlstand - über das Überleben der anderen gestellt wird und als einzige Alternative zum Opfer-Sein das Täter-Sein … dann gibt es nur noch die Wahl zwischen Unterwerfung oder Krieg.

      Ohne den kategorischen Imperativ kann kein Frieden sein, der nicht Unterdrückung ist.

  • "… das Regime darf die Bombe nicht bekommen: Denn es will Israel vernichten." - So wie die Soviets Europa und die USA vernichtet haben, die USA die "Commies", Indien Pakistan, Pakistan Indien, Nord- Südkorea … usw usf …?

    "… unausweichlich, da jahrzehntelange Verhandlungen scheiterten" - Erinnern wir uns vielleicht, daß es ein Abkommen gab, an das sich der Iran auch hielt? Sogar noch nachdem die USA es aufgekündigt hatten? Das erst die quasi Vernichtung der anderweitigen Abschreckung des Iran - in Form deren Proxies in Libanon, Syrien, Jemen - sie nun bewegt haben, die Entwicklung von tatsächlichen Atomwaffen zu betreiben - zumindest letzte konkrete Schritte zu gehen, um die Technologie zum jederzeitigen Bau zur Verfügung zu haben. Eben "weil das Regime gerade so schwach ist wie lange nicht". Und das nicht zufällig, sondern auf Israels systematisches Betreiben - samt willfährigem und planlosen mit-Stolpern der USA.

    • @O-Weh:

      Das alles vorausgeschickt: Man darf und soll über die Eignung geltenden Völkerrechts auf die aktuelle Situation Israels uns des weiteren Nahen und Mittleren Ostens diskutieren.

      Nur - wenn wir nicht weiter dem Pfad weg von objektiv geltendem internationalem Recht und hin zu allein dem Recht des Stärkeren folgen wollen - dann muss eine solche Debatte konstruktive Vorschläge für eine Anpassung oder auch Neufassung solchen Rechts enthalten, die sich nicht darauf beschränkt Ausnahmen für einzelne Situationen oder Akteure zu postulieren, sondern wiederum für alle gleichermaßen geltende und akzeptable objektive Regeln neu formuliert.

      Neben allen anderen Vorzügen einer regelbasierten Weltordnung - schon allein deswegen, weil ohne eine solche die atomare Bewaffnung für den Iran wie auch für alle anderen Staaten, die so was wie Souveränität behauten wollen, zu einer zwingenden Notwendigkeit wird - und gleichzeitig zu einer für jeweilige Kontrahenten inakzeptablen Bedrohung. Womit wir in einer unausweichlichen Gewaltspirale wären.

    • @O-Weh:

      … (da war leider die Formatierung mißlungen) …

      "Man glaubte an Verträge. … Sie leben für den Tod." - dieser Absatz nun zielt ausschließlich auf Ängste und Ressentiments der Leser, absichtlich weit neben Vernunft und Maß und ist insofern Propaganda übelster Art, s.a. "das pure Böse". Diese Art entmenschlichender Sprache diente schon immer der Rechtfertigung totaler Vorhaben, die eigentlich aus der Ethik - auch der Sprecher selbst - undenkbar wären.

  • Teil 2:

    "Soll Israel warten bis der Iran diese Waffen hat?"



    - Auch wenn es mir nicht gefällt: Die Antwort ist rein rechtlich: Ja, zumindest in meinen Augen.



    Sicher es gibt auch gegenteilige Ansichten:



    Diese sagen aber auch das ein solcher "Präventivschlag" nur dann ausgeführt werden dürfte wenn die Fertigstellung unmittelbar bevor steht. (Wochen/Monate)

    Dies wird jedoch vom etlichen Behörden/amerikanischen Geheimdienst verneint.



    Der Israelische Geheimdienst sagt was anderes, aber in diesem Fall würde ich nicht die Hand ins Feuer legen.

    Das Iran besser keine hat steht außer Frage, das trifft allerdings auch auf andere Staaten zu.

    Zur Zeit (und hoffen wir das es so bleibt) steht die Atombombe als Massenvernichtungswaffe (so wie andere) unter einer "Fatwa" welche besagten das so was im Islam verboten ist. Ausgestellt wurde dies von Ali Khamenei.

    en.m.wikipedia.org...st_nuclear_weapons



    (Leider nur auf Englisch gefunden)

    Was zu befürchten ist das nun mit dieser lausigen Begründung für den Angriff, die Atombombe entwickelt wird. So weit ich gelesen habe drängen einige Militärs im Iran Khamenei jedenfalls dazu.

  • Teil 1:



    "Im April und Oktober 2024 griff Iran israelische Zivilisten massiv mit Raketen an. "



    Stimmt, jetzt kommt das aber: Wenn Sie schon mit diesen beiden Sachen ankommen dann bitte auch die Ursache schreiben:



    April zuvor hatte Israel ein Iranisches Konsulat angegriffen und zerstört (Ort Damaskus)



    Der Gegenschlag kam nicht in Geheimen sondern wurde Angekündigt (mit Datum).



    Oktober: (ob berechtigt oder nicht) Gegenrektion auf die Ermordung mehrerer Hochrangigen "Persönlichkeiten" in Teheran.

    Keine der vorran gegangen Aktionen ist sauber gewesen oder legitim. (Auch wenn ich zu geben muss das ich den verstorben Verbrecher [Hamas Anführer etc.] keine Tränen nach weine)

    Abschnitt 5: Wenn das in Ihren Augen real Politik ist kann man viel rechtfertigen. Im Gegenzug könnte jedes Land ein anderes überfallen nur weil man z.B. einen Grenzkonflikt hat, und das andere Land gerade politisch 'schwach' ist.

    Ja, die Atombombe ist ein Problem.



    Das ist sie auch wenn Fanatiker in s.g. Demokratischen Länder an die Macht kommen.