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Israel beim Eurovision Song ContestDer Wunsch nach Eskapismus

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Situation in Gaza ist nicht mehr zu rechtfertigen, sagen sogar Israels Verbündete. Israel sollte von Wettbewerben wie dem ESC ausgeschlossen werden.

Protest während Yuval Raphaels Auftritt beim Halbfinale des Eurovision Song Contest, 14. Mai 2025 Foto: Jessica Gow/TT/picture alliance

S eit Anfang März lässt Israel keine Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Nahrungsmittel und Medikamente gehen aus und Hilfsorganisationen warnen vor einer massiven Hungersnot. Der Nothilfekoordinator der UN, Tom Fletcher, prangerte die Blockade am Dienstag im UN-Sicherheitsrat an. Israel schaffe „bewusst und schamlos unmenschliche Bedingungen“, sagte er, und sprach von einem drohenden Völkermord. „Welche Beweise brauchen Sie jetzt noch?“, fragte er.

Derweil kündigt Netanjahu einen weiteren Vormarsch an. Doch die Kritik daran wird immer lauter. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez bezeichnete Israel in dieser Woche als „genozidalen Staat“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nannte Israels Vorgehen „inakzeptabel“ und eine „Schande“.

Selbst Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, die bisher zum Vorgehen ihres Verbündeten in Israel geschwiegen hatte, bezeichnete die Lage im Gazastreifen als „durch nichts zu rechtfertigen“. Nur die deutsche Regierung versucht weiter so zu tun, als sei alles wie immer. Friedrich Merz hält stur daran fest, Benjamin Netanjahu nach Deutschland einzuladen, obwohl der wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesucht wird, und Frank-Walter Steinmeier schüttelte Netanjahu in Jerusalem die Hand: ein Symbolbild für deutsche Realitätsverweigerung.

Es ist längst überfällig, Israel von internationalen Wettbewerben wie dem Eurovision Song Contest auszuschließen. Das gilt auch für europäische Fußball-Wettbewerbe, wie man es mit russischen Mannschaften nach Russlands Angriff auf die Ukraine getan hat.

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Propaganda auf der Bühne

Dass es in Israel demokratischer zugeht als in Russland ist kein Argument dagegen: Auch Demokratien müssen sich im Krieg an Regeln halten und das Völkerrecht achten. Die Teilnahme Israels an diesen Wettbewerben dient nur dazu, den Schein einer Normalität aufrechtzuerhalten, die es längst nicht mehr gibt. Der ESC macht sich damit außerdem zu einer Bühne für israelische Propaganda.

Dass man von dort in diesem Jahr eine Sängerin schickt, die den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 überlebt hat, passt in die propagandistische Linie der Regierung, immer wieder auf die Kriegsverbrechen der Hamas und das dadurch verursachte Leid hinzuweisen, um von eigenen Kriegsverbrechen abzulenken oder diese gar zu rechtfertigen. Yuval Raphael ist eine unpolitische Sängerin, versteht sich aber dezidiert als Botschafterin ihres Landes. Ihre vordergründig ebenfalls unpolitische Ballade „New Day Will Rise“ handelt von Trauer und Selbstbehauptung angesichts eines erzwungenen Abschieds und kann, sicher kein Zufall, durchaus nationalistisch gelesen werden.

Doch beim Eurovision Song Contest möchte man zwanghaft beim „business as usual“ bleiben. Zwar haben die Rundfunkanstalten Spaniens, Islands und Sloweniens und über 70 ehemalige Eurovision-Teilnehmer gefordert, Israel vom Musikwettbewerb auszuschließen. Sie werfen Israels öffentlich-rechtlichem Sender KAN vor, eine Mitschuld an der Entmenschlichung der Palästinenserinnen und Palästinenser zu tragen, die die brutale Kriegsführung begünstigt. Doch die Europäische Rundfunkunion (EBU), die den Musikwettbewerb veranstaltet und in der Deutschland als größter Beitragszahler eine zentrale Rolle spielt, setzt sich darüber hinweg. Man möchte sich die schöne Show nicht verderben lassen.

Die deutsche Musikszene schweigt

Dieser Eskapismus entspricht dem deutschen Hang zur Realitätsverleugnung, der auch in der Medien- und Kulturbranche verbreitet ist. Zum Start der Filmfestspiele in Cannes haben Stars wie Javier Bardem, Julie Delpy und weitere Filmschaffende gerade in einem offenen Brief den „Völkermord“ in Gaza verurteilt. Jurypräsidentin Juliette Binoche erinnerte an die palästinensische Fotojournalistin Fatima Hassouna, die mit ihren Verwandten im April bei einem israelischen Luftangriff auf ihr Haus getötet wurde und deren Film an der Croisette gezeigt wird.

Bei der Verleihung des deutschen Filmpreises in Berlin applaudierte das Publikum dagegen kürzlich brav einem Wolf Biermann, der mit einem leicht abgewandelten Golda-Meir-Zitat zynisch den Palästinenserinnen und Palästinensern selbst die Schuld daran gab, dass sie getötet werden.

Zugleich werden in Deutschland inzwischen reihenweise Konzerte von Bands wie Kneecap und The Murder Capital abgesagt, weil sie Israel zu scharf kritisieren – ohne dass sich dagegen Protest regt. Das Schweigen der deutschen Musikszene dazu ist beängstigend.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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7 Kommentare

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  • Der ESC stand seit seiner Gründung für Frieden und Verständigung. Die Teilnahme Israels steht dieser Maxime spätestens seit letztem Jahr diametral entgegen. Die Lebensgrundlage der Palästinenser im Gazastreifen wird systematisch vernichtet. 80% der Wohnungen zerstört und Lieferblockade für überlebenswichtige Nahrungsmittel, Medikamente etc.



    Das Scheinargument der Fernsehanstalten als Teilnehmer ist völlig fehl am Platz, da es bei jedem Teilnehmer um die Selbstdarstellung des Landes geht. Israel hat beim ESC sein Teilnahmerecht verwirkt.

  • Ja, das ist auch meine Meinung. Danke für diesen Artikel, er tut sich im sonstigen Schweigen des Blätterwaldes wohltuend hervor! Außerdem müssten sämtliche Waffenlieferungen nach Israel umgehend gestoppt werden sowie Sanktionen verhängt werden. Es hat sich zwar gezeigt, dass repressive Regime sich von solchen Maßnahmen nicht beeindrucken lassen, aber es ist immerhin einen Versuch wert. Die EU ist nach den USA der größte Handelspartner Israels - man sollte wenigstens versuchen Druck aufzubauen. Und das wäre in meinen Augen komplett auf Linie der dt. "Staatsraison", es würde diese Phrase sogar endlich mal ernst nehmen. Wenn Dtld sich als wahrhaft befreundeter Staat zeigen wollte, dann mit echter und nicht verklausulierter Kritik an dieser Regierung und ihrem Handeln. Dtld sollte Israel dabei unterstützen kein völkermordender Staat zu werden. Auf diplomat. Ebene sollte man daher alles versuchen, man sollte seine Bemühungen sogar massiv ausweiten, aber Unterstützung darf es nur für zivilges. Organisationen geben. Nach allem was zu vernehmen ist, ist allerdings nichts davon zu erwarten. In einigen Jahren wird diese Politik als einer der größten Fehler dt. Außenpolitik angesehen werden.

  • "Dass man von dort in diesem Jahr eine Sängerin schickt, die den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 überlebt hat,.."



    Ich betrachte das eher als hoffnungsfrohes Zeichen,als Zeichen dafür,dass auch für jüdische/israelische Menschen,trotz ihnen fast von überall auf der Welt entgegengebrachtem Hass und Feindseligkeit,überleben und ja,ein Stück weit "Normalität" möglich ist.Ich würde das diesen Menschen nicht nehmen wollen,u.a. auch,weil die gegnerische Kriegspartei sehr viel Unterstützung und Bestätigung erfährt.Wie gut sie singt,kann ich nicht einschätzen,aber dass sie nach dem Grauen des 07.10.23 ihr Land beim ESC vertreten darf,finde ich eine schöne und positive Geste,zumal sie lt. Artikel "unpolitisch" ist.

    "..passt in die propagandistische Linie der Regierung,immer wieder auf die Kriegsverbrechen der Hamas und das dadurch verursachte Leid hinzuweisen,um von eigenen Kriegsverbrechen abzulenken oder diese gar zu rechtfertigen."



    Zu viele wollen meiner Meinung nach möglichst schnell vergessen (lassen),dass der Krieg von der Gaza-Hamas-Iran-Huthi-u.a.-Seite begonnen wurde und diese auch bisher weder bereit ist die Geiseln bedingungslos freizulassen noch die Waffen niederzulegen.

  • Sportliche, kulturelle Ereignisse sind gute Gelegenheiten für Begegnungen von Angehörigen verfeindeter Staaten außerhalb von Kriegslogiken.

    Im besten Falle kann auf der persönlichen Ebene Respekt - für einen guten Song z.B., eben auf der Ebene, um die es geht, Verständnis (für eine Überlebende des 7. Okt.) entstehen und von dort aus wachsen - dies war z.B. auch der Gedanke hinter Schüleraustauschen nach WWII -Völkerverständigung, Präventionsmaßnahmen.



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    Verweigerte Handschläge, Ausschlüsse tragen Krieg noch in die letzten Winkel, weiten ihn aus. (und zu Boykotten wären die der Technoszene, der Ausgewogenheit halber, mindestens erwähnenswert www.tagesspiegel.d...-auf-12180818.html )



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    Noch mehr gilt das für Diplomatie: gäbe es z.B. den Haftbefehl für Putin nicht, wäre es u.U. zu einer Dreierbegegnung mit Trump und Selenski beim Papstbegräbnis gekommen.



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    Den Menschen in Gaza sollte in ihrer entsetzlichen Lage eine Flucht ermöglicht werden - warum fordert niewand, Ägypten möge die Grenze öffnen, helfen? Weil sich die Hamas weiter hinter Zivilisten verschanzen können soll?

  • "Das Schweigen der deutschen Musikszene dazu ist beängstigend..."

    Herr Bax, ich empfehle Ihnen die taz zu lesen. Da gibt es gute Artikel wie jüdische Künstler auch in Deutschland systematisch diffamiert und ausgeschlossen werden

    taz.de/Schweigen-d...s-Terror/!5962392/

    Also wenn aus der "Künstlerszene" einseitig berichtet wird, dann einseitig palästinensisch.

    "passt in die propagandistische Linie der Regierung"

    Aha, also darf diese musikalische Frau nie wieder Musik machen weil es für Sie dann Propaganda ist? Man sollte der Frau Respekt zollen, dass diese trotz Morddrohungen und dem erlebten die Courage zeigt sich dem Mob zu stellen und sich als Künstlerin auszuleben.

    Und der ukrainekonflit lässt sich 0 vergleichen, Russland hat unprovoziert ein ganzes Land überfallen, und hier wird wenigstens in einem kurzen Satz auf den 7. Oktober eingegangen

  • Ganz sicher ein Thema das nicht schwarz/weiss ist, und: ich weiss es ja auch nicht...



    Dennoch finde ich eine Differenzierung angebracht: auch wenn es anders aussieht, Teilnehmer ist KAN, nicht der israelische Staat. Ein wesentliches Kriterium ist eine zumindest minimale staatliche Unabhängigkeit der Rundfunkanstalt. Argumente gegen den Staat Israel gehen insofern, IMHO, ins Leere. Äpfel treffen wollen, aber auf Birnen geziehlt.

    Den Versuch, beim ESC die Politik auszuklammern, kann man durchaus kritisieren, allerdings: wäre es wirklich, wirklich besser wenn man ihn als Bühne für politische Botschaften freigeben würde?

  • Ich muss zugeben, Herrn Bax' Artikel machen mich angesichts der aktuellen Notlage in Gaza richtig sauer.

    Erstens: Tun Sie bitte nicht so, als wären Leute, die von einem "drohenden Völkermord" sprechen, auf Ihrer Seite. Sie reden seit anderthalb Jahren von Genozid und haben damit alle Argumente gegen die aktuelle Katastrophe unnötig preisgegeben, denn eine ständige Verschlimmerung eines Genozids glaubt Ihnen kein Mensch.

    Zweitens: Es kommt doch nicht auf irgendwelche Wettbewerbe oder irgendwelche Filmstars an. In Israel ist inzwischen laut aktuellen Umfragen eine Mehrheit der Menschen gegen das Vorgehen der eigenen Regierung. In Gaza demonstrieren weiterhin tapfere Palästinenser*innen gegen die Hamas. Über diese Gruppen sollte gesprochen werden, und aus meiner Sicht sollte man sich mit beiden Gruppen solidarisieren. Die Meinung von Johnny Depp ist mir hingegen herzlich egal.

    Drittens: Das aktuelle Vorgehen der israelischen Regierung bezüglich Hilfslieferungen ist durch nichts zu rechtfertigen. Dieser Aspekt, und NUR dieser Aspekt, könnte aus meiner Sicht im aktuellen Konflikt tatsächlich Genzoidvorwürfe plausibel machen, wenn es fortgesetzt wird.