Iran und der Westen: Ewiger Gegenspieler
Doppelte Standards, Moral und Menschenrechte: Warum es so schwerfällt, einen progressiven und postkolonialen Blick auf Iran zu entwickeln.
D as öffentliche Gespräch über Iran ist von bescheidener Qualität. Nur eine kleine Schar professionell Kundiger versteht wirklich etwas von der Politik und der Machtstruktur der Islamischen Republik; wenn dieses Wissen nicht explizit in den Dienst moralischer Verurteilung gestellt wird, gerät es leicht unter Verdacht: Relativierung eines Unrechtssystems!
Auf Iran wird fast ausschließlich aus der sicherheits- und geopolitischen Perspektive des Westens geblickt, in der Regel auch bei jenen, die sich vonseiten der deutsch-iranischen Community äußern. Auf der Hand liegt das keineswegs, denn in Iran spiegelt sich das Scheitern westlicher Politik ebenso wie Veränderungen der globalen Ordnung. Die Islamische Republik hat 40 Jahre Sanktionen überstanden, nun gar noch Trump.
Die Erdöleinnahmen sind eingebrochen, die Bevölkerung leidet, dennoch blieb maximum pressure im Kern wirkungslos: kein Zugeständnis in der Regionalpolitik, keine Rakete abgerüstet, und der Atombombenbau eher näher gerückt. Während der hiesige Irandiskurs oft den Eindruck erweckt, wir lebten noch in der Welt von 1979, reagiert Teheran flexibel auf den Wandel der globalen Kräfteverhältnisse.
Zuletzt hat die Enttäuschung über ein Europa, das Trumps Sanktionen nichts entgegenzusetzen hatte, die Hinwendung Richtung Osten verstärkt. China, Indien und Russland erkennen die Islamische Republik, anders als der Westen, als Regionalmacht an und räumen ihr geopolitisch einen Platz ein. „Teheran sieht in östlichen Partnern das größte Potenzial, um vom Westen unabhängige Ordnungsstrukturen zu schaffen“, schreibt Azadeh Zamirirad in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Teheran orientiert sich Richtung Osten
Der letzte Schah hat einmal geäußert, sein Land gehöre eigentlich zu Europa, sei geografisch nur quasi verrutscht. Europa verortet Iran wiederum stoisch im sogenannten Nahen Osten, seinem angestammten Einflussbereich seit der Kolonialzeit. Die Islamische Republik bezeichnet sich hingegen als Teil Westasiens und hat sich in den letzten Jahren ein wenig mehr asiatisiert.
Irans turbulente Geschichte im 20. und 21. Jahrhundert bietet reichlich Stoff, um zumindest versuchsweise eine progressive und postkoloniale Perspektive auf das Land zu entwickeln – doch kann es sie zweifellos nicht geben ohne Berücksichtigung der mit Füßen getretenen Bürgerrechte. Kein Plädoyer also für einen vorgestrigen Antiimperialismus! Aber bedingt das menschenrechtliche Anliegen, dass das enge Gehäuse westlicher Weltsicht der einzig adäquate Denkort ist?
Vergleichen wir einen Moment Iran und Ägypten: Die Regierung von Abdel Fattah al-Sisi hält etwa 60.000 politische Gefangene in ihrer Gewalt. Hinrichtungen ohne Wissen der Angehörigen, Folter, willkürliche Haftverlängerung – was aus Iran bekannt ist, findet sich gleichfalls in Ägypten. Doch mit Kairo unterhält der Westen eine sogenannte strategische Partnerschaft, man teilt einen gemeinsamen Begriff von „Stabilität“, und Emmanuel Macron verlieh al-Sisi dafür kürzlich das Großkreuz der Ehrenlegion.
Joe Biden, über den es nun heißt, er verstehe den Westen wieder als Wertebündnis, war ein vehementer Unterstützer der desaströsen Irakinvasion. Eines Kriegs mit Hunderttausenden zivilen Opfern, der Iran überhaupt erst zu seiner jetzigen regionalen Machtposition verhalf. Biden definiert amerikanische Interessen anders als Trump: Er folgert aus dem globalen Abstieg der USA, dass er für die Konfrontation mit China Bündnispartner braucht.
Biden trieb die Irakinvasion mit voran
Erstaunlich, wie nun bis in die Grünen hinein die Illusion eines aus moralischem Antrieb handelnden Westens Wiederauferstehung feiert. Der Bundesregierung wird von deutsch-iranischer Seite des Öfteren vorgehalten, sie sei in Menschenrechtsbelangen gegenüber Teheran ganz besonders untätig. Der Vorwurf relativiert sich angesichts der engen deutschen Beziehungen zur ägyptischen Diktatur. Und auch in China ist Siemens wichtiger als es die Uiguren sind.
Dennoch ist es hilfreich, die These vom Exzeptionalismus näher zu betrachten. Die Vorstellung, die iranische Zivilisation sei besonders hochstehend, ist in Iran täglich Brot, unter Systemanhängern wie -gegnern. Bei manchen Exilierten wird daraus die Überzeugung, in der Islamischen Republik werde ein exzeptionell wertvolles Volk von einer exzeptionell miesen Herrscherclique gedemütigt.
Da ist die Grenze zum Rassismus verwaschen, keineswegs nur bei Deutsch-Iranern; auch im mehrheitsdeutschen Bürgertum zählt das Leid eines edlen „Persers“ mehr als das eines Ägypters. Ohne nationalistischen Dünkel fiele es indes womöglich leichter, sich einem Thema zu nähern, das wie ein steinerner Gast im Raum steht: Warum den Iranern über so lange Zeit nie eine nachhaltige Opposition gelang. Woran Iran also messen?
Es ist nicht nur so, dass darauf keine Antwort verfügbar ist, sondern die Frage scheint intellektuell verzichtbar. Weil das westliche Framing der Zeitgeschichte als unverrückbarer Rahmen akzeptiert wird. Teheran als Sonderfall, als ewiger Gegenspieler; es war im Drehbuch der bisherigen Weltordnung nicht vorgesehen, dass ein Staat, ein System in Konfrontation zum Westen vier Jahrzehnte überlebt.
Es verringert keineswegs das Gewicht der schlimmen Repression in Iran, wenn man konstatiert: Was dort geschieht, wird immer anders bewertet als in einem Land, das sich westlichen Interessen fügt. Das ungewisse Schicksal des Nuklearabkommens ist dafür das jüngste Beispiel: Dass Teheran von den USA, die den Vertrag als erste brachen, das erste Signal zur Rückkehr erwartet, ist nachvollziehbar. Amerika schuldet Iran etwas, nicht umgekehrt.
Aber schon ruft es von den Rängen: Appeasement! Die Iraner und Iranerinnen werden seit Jahrzehnten in Geiselhaft für die Politik ihrer Führung gehalten. Wie es aussieht, wird Werte-Joe das noch ein wenig verlängern.
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