Iran und Israel: Nach dem Angriff
Israel hat den iranischen Angriff mithilfe von Verbündeten abgewehrt. Doch wie geht es weiter im Nahostkrieg? Steht ein israelischer Gegenschlag bevor?
Minuten später steigen Dutzende Menschen nahe der Jerusalemer Altstadt die Treppe in einen Luftschutzraum hinunter. In ihren Rucksäcken tragen sie Wasser, Decken, Powerbanks, alles, was es braucht, um ein paar Tage durchzuhalten. „Wir wissen nicht, wie lange es diesmal dauert, das ist etwas anderes als die Raketen der Hamas“, sagt eine Frau mit dem Kopftuch religiöser Jüdinnen, auf dem Arm ihren dreijährigen Sohn.
Mit großen Augen beobachtet das Kind die Nachbarn, die sich entlang der Wände des schmalen Raums niedergelassen haben. Draußen ziehen die Lichtpunkte der Abwehrraketen durch den Nachthimmel über dem hell erleuchteten Tempelberg, gefolgt vom dumpfen Wummern mehrerer Explosionen.
Am frühen Morgen kommt die Entwarnung: Von den rund 300 Flugkörpern, die der israelischen Armee zufolge von Iran auf den Weg geschickt wurden, seien 99 Prozent abgefangen worden – der Großteil bevor er das israelische Staatsgebiet erreichte. Armeesprecher Daniel Hagari spricht von einem „sehr bedeutenden strategischen Erfolg“. Unterstützung bei der Abwehr hat es von USA, Großbritannien und Jordanien gegeben.
Empfohlener externer Inhalt
Ersten Angaben zufolge wurde im Süden Israels ein siebenjähriges Mädchen nahe der Beduinenstadt Arad von herabfallenden Trümmern verletzt. Ein israelischer Militärstützpunkt sei leicht beschädigt worden. Am Morgen öffneten Israel, Jordanien, Irak und der Libanon ihre zwischenzeitlich geschlossenen Lufträume wieder.
Die Hisbollah feuerte nach eigenen Angaben auch noch am Sonntagmorgen Dutzende Raketen auf israelische Militärposten in den von Israel besetzten Golanhöhen ab. Die Gruppe teilte mit, die Attacke sei eine Vergeltung für nächtliche israelische Luftangriffe auf Städte und Dörfer im Südlibanon, bei denen Zivilisten getötet und verwundet worden seien. Zuvor war bei einem israelischen Luftangriff im Libanon ein Mensch getötet worden.
Schlägt Netanjahu zurück?
Die drängende Frage ist nun: Wie geht es weiter? In der Vergangenheit wurde die langjährige Feindschaft zwischen Iran und Israel über Stellvertreter wie die von Iran unterstützte Hisbollah im Libanon oder die Huthis im Jemen ausgetragen. Teheran hatte nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober mehrfach betont, keinen Krieg mit Israel zu wollen. Seit dem 7. Oktober fliegen immer wieder Raketen aus libanesischem und syrischem Gebiet sowie aus dem Jemen in Richtung Israel. Die israelische Führung reagiert mit Luftschlägen, meist ohne sich offiziell dazu zu bekennen.
Ein direkter Angriff Irans auf Israel galt wegen des immensen Eskalationspotenzials bisher als eher unwahrscheinlich, selbst nach der Bombardierung des iranischen Konsulats in Damaskus am 1. April, bei dem ein hochrangiger General der iranischen Revolutionsgarden getötet wurde.
Für Sonntagmorgen wurde ein Treffen des israelischen Kriegskabinetts angesetzt, dem die Regierung in der Nacht die Entscheidung über das weitere Vorgehen übertragen hatte. Die Entscheidung über Israels Reaktion auf den iranischen Angriff liegt damit bei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Verteidigungsminister Joav Galant sowie dem ehemaligen Oppositionsführer Benny Gantz.
USA gegen israelischen Vergeltungsschlag
US-Präsident Joe Biden versicherte Netanjahu in einem halbstündigen Telefonat am frühen Morgen, die Unterstützung der USA sei „eisern“. Zugleich warnte er laut einem Bericht der Nachrichtenseite Axios, die USA würden einen Gegenangriff auf Iran nicht unterstützen. „Sie haben gewonnen, nehmen Sie diesen Sieg an“, sagte Biden demnach mit Blick auf die erfolgreiche Abwehr des Angriffs.
Auch die Regierung in Teheran scheint auf eine milde Antwort Israels zu hoffen: „Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden“, schrieb die ständige Vertretung Irans bei den Vereinten Nationen beim Onlinedienst X. An die Adresse Washingtons hieß es, die USA sollten sich aus dem Konflikt zwischen Iran und Israel heraushalten.
Netanjahu und die Hardliner in seiner in Teilen rechtsextremen Regierung sprechen seit langem von einem möglichen Angriff auf das iranische Atomprogramm, das sie als existentielle Bedrohung für Israel betrachten. Netanjahu ist zudem in israelischen Medien mehrfach vorgeworfen worden, den Gazakrieg auch aus politischen Ambitionen fortzusetzen, um Neuwahlen zu entgehen. Laut dem US-Sender NBC herrscht in der US-Regierung Sorge, Israel könne etwas unternehmen, „ohne die möglichen Konsequenzen zu bedenken“.
Einiges deutet jedoch darauf hin, dass ein israelischer Gegenschlag nicht unmittelbar bevorsteht. Zum einen zeigt der iranische Angriff, wie sehr Israel bei seiner Verteidigung auf die Unterstützung seiner Verbündeten angewiesen ist, die zu Zurückhaltung aufrufen. Zudem trifft sich der UN-Sicherheitsrat am Sonntagnachmittag (Ortszeit) in New York auf Antrag Israels. Die New York Times berichtete am Sonntag unter Berufung auf einen israelischen Vertreter, dass „Israels Antwort mit seinen Verbündeten koordiniert werden wird“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen