Interview-Autorisierung bei der „Bild“: Gesagt ist gesagt
„Bild“ hat angekündigt, Interviews mit Politiker:innen nicht mehr autorisieren zu lassen. Gilt also in Zukunft tatsächlich das gesprochene Wort?
M anchmal hat man sich für ein halbstündiges Gespräch vorbereitet, bei höchstens einem Kaffee. Und dann sitzt man nach einer Stunde immer noch mit dem Interviewpartner zusammen und denkt bei jedem Satz: „Danke, dass du mir das anvertraust.“
Das sind mit die schönsten Momente als Journalistin. Umso frustrierender ist es dann, wenn ein intensives Gespräch dem Interviewpartner zur Autorisierung geschickt wird und der oder die dann die schönsten Stellen wieder rausstreicht, wenn Flapsiges und Lustiges einfach wegfällt und nur unpersönliche, geglättete Aussagen zur Veröffentlichung bleiben.
Es gibt in Deutschland immer wieder eine Debatte darüber, ob man es bei nicht lieber wie etwa US-amerikanische Kolleg*innen handhaben und das gesprochene Wort gelten lassen sollte. Dann könnten Interviewpartner*in nicht mehr über einen fertigen Text drüberschauen und ihn oft willkürlich verändern.
Zunehmender Druck auf Journalist*innen
Innerhalb dieser Debatte spielt auch der zunehmende Druck auf Journalist*innen eine Rolle, die zum Beispiel von einflussreichen Personen, Firmen oder Institutionen mit Klagen bedroht werden, wenn sie etwas drucken, was denen am Ende doch nicht passt. Viele Journalist*innen ächzen unter der alltäglichen Mehrarbeit, die das Autorisieren von Interviews mit sich bringt, und beklagen, dass authentische Berichterstattung so zumindest erschwert wird. Um einen Punkt zu machen, wie viel bei so einem Autorisierungsprozess rausgestrichen wird, veröffentlichte die taz 2003 ein Interview mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz mit fast ausschließlich geschwärzten Antworten.
Damit soll jetzt Schluss sein, jedenfalls bei der Bild-Zeitung, die Interviews mit Politiker*innen nicht mehr autorisieren lassen will. Das solle die Glaubwürdigkeit steigern und den Leser*innen das Gefühl geben, auf Augenhöhe angesprochen zu werden, sagte Marion Horn, Vorsitzende der Bild-Chefredaktion, vergangenen Freitag auf dem Kongress des Medienverbands der Freien Presse.
Das ist bemerkenswert, denn es wird größere Folgen für die Zeitung haben, wenn sie die Sache wirklich durchziehen wollen. Einige Politiker*innen haben laut Bild schon angekündigt, dass sie „jetzt nicht mehr mitmachen“.
Glaubwürdigkeit ist am wichtigsten
Ist dieser Schritt also notwendig und zielführend? Die Absprache mit den Interviewpartner*innen kann ja auch ein wichtiges Instrument sein, um Qualität und Glaubwürdigkeit von Berichterstattung zu gewährleisten. „Ein Interview, das nicht autorisiert werden muss, ist nicht zwangsläufig besser“, sagt Stern-Journalist und Ex-tazler Veit Medick im Interview mit dem Medienmagazin Übermedien. Medick zieht dafür den Vergleich zu Live-Interviews im Fernsehen, die nichtssagend sein können, eben weil die Personen professionell geschult wurden, ja nichts zu sagen, was sie nicht auch veröffentlicht sehen wollen.
Manchmal ist die Interviewpartner*in nicht präzise genug oder es gibt Missverständnisse, die im Gespräch nicht auffallen. Die Autorisierung verhindert dann, dass Interviews durch den journalistischen Bearbeitungsprozess verfälscht werden. Sie stellt sicher, dass die Aussagen der Gesprächspartner*innen im richtigen Kontext wiedergegeben werden. Dies ist besonders wichtig, wenn es um komplexe Themen geht, bei denen eine falsche Interpretation des Gesagten schwerwiegende Folgen haben kann. Gerade in einer Zeit, in der falsche Zitate oder aus dem Kontext gerissene Aussagen schnell viral gehen können, bietet die Autorisierung eine Art zusätzliche Sicherheitsstufe.
Denn mit dem Journalismusbegriff ist es ja so: Alle können sich Journalist*in nennen – auch Privatpersonen auf Instagram und Tiktok, die Aussagen von anderen ungefiltert veröffentlichen. Vielleicht ist es dann gerade die Aufgabe von Journalist*innen, in einen solchen Prozess der Verdeutlichung und des Faktenchecks zu gehen.
Dabei kommt es natürlich auch darauf an, wen man vor sich hat. Bei Fachinterviews bietet sich die Autorisierung an, weil man als Journalistin die Zusammenhänge im Gespräch manchmal nicht richtig erfassen konnte. Vor allem Politiker*innen nutzen aber den Autorisierungsprozess, um unangenehme Aussagen zu ändern oder zu entfernen. Hier nehmen einige eine zunehmende Bequemlichkeit von Politiker*innen wahr, nach dem Motto: Ist ja egal, was ich erzähle, später kann ich das sowieso noch einmal ändern. Doch solche Fälle sind die Ausnahme und nicht die Regel. Die meisten Änderungen betreffen sprachliche Feinheiten oder Klarstellungen, die dem Verständnis der Leser*innen dienen.
Wer sich nicht professionell mit Medien beschäftigt, weiß oft gar nicht, welchen Bearbeitungsprozess Texte durchlaufen, die in der Zeitung landen. Um die Glaubwürdigkeit und Transparenz weiter zu erhöhen, sollte die Praxis der Autorisierung durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt werden. Medienhäuser müssten offener über die journalistischen Arbeitsbedingungen und den Prozess der Autorisierung informieren. Manchmal gilt es dann auch zu entscheiden, ob statt eines Interviews nicht besser eine andere Form angemessen ist, ein „Fließtext“, in den dann auch Anmerkungen und Beobachtungen des Journalisten einfließen können.
Bei der angekündigten Praxis der Bild-Zeitung bleiben also Fragen offen: Wie geht man mit Politiker*innen um, die ohne Autorisierung überhaupt nicht mehr Stellung beziehen wollen? Wie streng wird die Nichtautorisierungspraxis tatsächlich gehandhabt? Wird bei Leuten, die man mag oder denen man politisch nahesteht, vielleicht doch noch mal klärend oder abschwächend nachgehakt?
Die Abschaffung der Autorisierung mag auf den ersten Blick wie ein Schritt in Richtung größerer Transparenz wirken. Doch die Praxis bietet wichtige Vorteile, die zu einer präziseren und verantwortungsvolleren Berichterstattung beitragen. Und nur die kann das Vertrauen der Leser*innen in die jeweilige Publikation nachhaltig stärken und eine fundierte öffentliche Debatte gewährleisten.
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