Pressefonds gegen Klage von Rechts: Ausholen zum Gegenschlag

Einschüchterungs­klagen rechtsextremer Akteure gegen Jour­na­lis­t*in­nen nehmen stark zu. Ein neuer Fonds hilft Betroffenen.

Ein Mann in blauem T-Shirt bekommt eine heftige Backpfeife von einem Mann in schwarzem T-Shirt

Jour­na­list:in­nen bekommen immer mehr SLAPPs, „Strategic lawsuits against public participation“ Foto: Louis Grasse/imago

BERLIN taz | „Ich habe den Tweet direkt nach der Abmahnung gelöscht, damit er nicht weiter viral geht.“ Sahak Ibrahimkhil hatte im Januar ein Foto des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen gepostet, das diesen in einer Gruppe zeigt, zu der unter anderem der rechtspopulistische Publizist Roland Tichy gehört und ein Mann, der einen Kapuzenpullover mit der Aufschrift „German Bad Boy“ trägt. Dazu kommentierte er: „Maassen am Chillen mit (…) Figuren aus der braunen Szene“. Es dauerte nicht lang, da hatte er gleich zwei Anwaltsschreiben in seinem Briefkasten – von den Anwälten Maaßens und Tichys.

Es war das erste Mal, dass Ibrahimkhil, ein Flüchtlingsaktivist und Mitglied der Partei Volt, abgemahnt wurde. Und es war seine erste Begegnung mit SLAPP.

SLAPP ist die Abkürzung für „­Strategic lawsuits against public participation“, also strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Unternehmen, Lobbyverbände, Reiche, aber auch staatliche Akteure nutzen solche Klagen, um Kri­ti­ker*in­nen aus der Öffentlichkeit fernzuhalten. Auch rechtsextreme Akteure setzen SLAPPs seit 2015 verstärkt ein, wie nun eine neue Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena festgestellt hat. Ihr Ziel ist es, unliebsame Inhalte aus dem Diskurs zu drängen, indem sie versuchen, politische Gegner oder Jour­na­list*in­nen einzuschüchtern und deren Ressourcen zu binden. Oft gehen sie gegen Menschen vor, die keine oder wenig juristische Erfahrung haben – wie auch Ibrahimkhil – und kein Geld, um sich einem Rechtsstreit zu stellen.

Dass „slap“ Ohrfeige heißt, ist kein Zufall

„Als ich den Absender des Briefs gesehen habe, wurde mir schon schlecht“, sagt Ibrahimkhil der taz am Telefon. Das Anwaltsschreiben kam von der Kanzlei Höcker, die bereits bekannte AfD-Politiker*innen vertreten hat. Am Anfang sei er wie gelähmt gewesen, erzählt ­Ibrahimkhil. „Das war eine horrende Summe, die sie von mir haben wollten.“ Zusammen knapp 4.000 Euro an Anwaltskosten sollte Ibrahimkhil Tichy und Maaßen erstatten. Er löschte den Tweet, schrieb aber einen neuen. Darin bat er um juristische Hilfe.

Und die kam. „Ich habe ja schon viele Ju­ris­t*in­nen als Follower, aber überrascht war ich trotzdem“, sagt er heute. Unterstützung sei zudem aus dem gesamten demokratischen politischen Spektrum gekommen, von CDU über SPD bis zu den Grünen. Und schließlich meldete sich auch eine Mitarbeiterin von FragDenStaat. Sie erzählte, dass die NGO gerade dabei sei, einen Hilfsfonds genau für Fälle wie seinen aufzulegen: den Gegenrechtsschutz.

„Ohne FragDenStaat und ohne meinen Anwalt hätte ich mich nie wieder getraut, etwas in der Richtung zu posten. Dabei muss das sein“, sagt Ibrahimkhil. Die Gespräche hätten ihn wieder aufgebaut und ihm „mehr Power gegeben als vorher“. Der Fonds übernahm seine Kosten der Rechtsverteidigung. Die 4.000 Euro Anwaltskosten der Gegenseite wehrte sein Anwalt ab.

Finanziert wird der Fonds über Spenden, erzählt FragDenStaat-Geschäftsführer Arne Semsrott der taz. Bis jetzt seien zwar erst 5.000 Euro eingegangen. Aber: „Wir werden grundsätzlich alle wichtigen Verfahren fördern, notfalls mit Geld aus dem allgemeinen Spendentopf.“ Er sei zuversichtlich, dass sich der Fonds schon bald über Spenden trage. Laufen soll das Projekt zunächst über drei Jahre. „Unser Ziel ist es, eine dauerhafte In­fra­struk­tur aufzubauen.“

Einen Durchschnittswert, was ein Rechtsstreit in der Regel koste, gebe es nicht. „Im besten Fall bleibt es kostenlos, im schlechtesten kann es sich auch um eine fünfstellige Summe handeln.“ Üblich seien 1.000 bis 2.000 Euro, wenn man nach einer Abmahnung eine Unterlassungserklärung unterschreibe.

Ein Einschüchterungsversuch

In Deutschland werden SLAPPs auch Einschüchterungsklagen genannt, weil ihr Ziel nicht immer eine erfolgreiche Klage ist. Vielmehr sollten sich insgesamt weniger Menschen kritisch über die jeweiligen Akteure äußern – indem man sie eben einschüchtere. Oft richteten sich die Klagen gezielt gegen „vermeintlich vulnerable Personen“, von denen sich die Akteure besonders wenig Widerstand erwarteten, heißt es in der Studie des IDZ.

Tatsächlich löschten viele Betroffene nach einer Abmahnung ihre Tweets, schrieben ihre Artikel um und überdächten von da an stärker, was sie öffentlich sagten oder schrie­ben – und ob sie sich überhaupt noch zur extremen Rechten äußern wollten. Doch es gebe auch positive Effekte, schreiben die Autor*innen: Oft führten Einschüchterungsklagen auch zu einer „Politisierung und Solidarisierung des Umfelds“ der Betroffenen.

Problematisch sind SLAPPs vor allem für Einzelpersonen, die nicht an Institutionen angebunden sind, darunter auch freie Jour­na­list*in­nen. Die Jour­na­list*in­nen­ge­werk­schaf­ten, der Deutsche Presserat und Verlage arbeiten daher gemeinsam mit Stiftungen an einem Pressefreiheitsfonds. Damit sollen Musterklagen geführt werden, die zu Grundsatzentscheidungen auf dem Gebiet führen sollen. „Der Pressefreiheitsfonds erübrigt sich durch den Gegenrechtsschutz also nicht, beide ergänzen einander. Je mehr Unterstützung es gegen Einschüchterungsklagen oder SLAPPS gibt, umso besser“, sagt Matthias von Fintel aus dem Verdi-Bundesvorstand der taz. Angesichts der dokumentierten Zunahme von Abmahnungen von rechts in den letzten Jahren sei der Gegenrechtsschutz ein wichtiges Signal.

„Wir haben auf so einen Fonds gewartet“, sagt Chan-jo Jun der taz. Der Anwalt vertritt zahlreiche Man­dan­t*in­nen in Hatespeech-Verfahren. Häufig habe er Menschen, die sich an ihn wandten, allerdings sagen müssen, dass er sie zwar gerne vertreten würde, sie die Kosten aber selbst tragen müssten. Viele habe das abgeschreckt. Da Einschüchterungsklagen meist von finanzstarken Akteuren kämen oder solchen mit einer großen Rechtsabteilung, könne ein Fonds wie der von FragDenStaat das finanzielle Ungleichgewicht ausgleichen.

Nur die Politik kann das Problem lösen

Chan-jo Jun sieht aber auch Politik und Gerichte in der Verantwortung. Aufgabe von Rich­te­r*in­nen müsse es sein, jeweils zu prüfen, ob ein Kläger eine Abmahnung missbräuchlich verwende, und die Klage dann abweisen. Darüber hinaus mache das Persönlichkeitsrecht es einfach, Einschüchterungsklagen einzureichen. „Die Kosten, die jemand hat, weil er sich gegen eine unberechtigte Abmahnung wehrt, sind zwar beispielsweise im Urheberrecht erstattungsfähig, nicht aber im Persönlichkeitsrecht. Das ist ein Konstruktionsfehler, den man bei nächster Gelegenheit reparieren sollte.“

So habe jemand, der eine unberechtigte Abmahnung einreicht, keine Kosten, der Beklagte habe aber alle Kosten zu tragen. „Aus Angst vor einem teuren Verfahren entscheiden sich deshalb viele Menschen schon vorher, kein Verfahren einzugehen“, sagt er. „Wir müssen die ­Meinungsfreiheit wenigstens so weit schützen wie Musiktitel oder Filme.“

In den USA, wo das Phänomen der SLAPPs in den 80er Jahren erstmals beschrieben wurde, gibt es dafür mittlerweile gesetzliche Regelungen – zumindest in einigen Bundesstaaten. Sogenannte Anti-SLAPP- oder SLAPP-back-­Gesetze sollen dafür sorgen, dass Klagen zügig abgewiesen und entstandene Kosten zurückbezahlt werden. Den Nachkommen von Daphne ­Caruana ­Galizia ist es zu verdanken, dass eine Anti-SLAPP-Gesetzgebung endlich auch in der EU auf den Weg gebracht wurde. Bis zu ihrer Ermordung 2017 hatte es gegen die ­maltesische Investigativjournalistin 47 Verleumdungsklagen gegeben.

Nach ihrem Tod gründeten ihr Ehemann und ihre Söhne die Daphne-Caruana-Galizia-Stiftung und bildeten gemeinsam mit an­deren Nichtregierungsorganisa­tio­nen die Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE), die für ein Gesetz zum Schutz gegen missbräuchliche Verleumdungsklagen auf EU-Ebene lobbyiert. Im April 2022 wurde der Entwurf einer EU-Richtlinie vor­gestellt. Manche sprechen von „Daphnes Gesetz“. Doch was nach Einwänden der Mitgliedstaaten ein Jahr später noch von der Richtlinie übrig ist, „würde Daphne vor keinem der Gerichtsverfahren schützen, denen sie ausgesetzt war“, meint CASE.

Im März wurde die Richtlinie erstmals im Euro­päi­schen Parlament vorgestellt, am 10. Juli ist eine parlamentarische Debatte angesetzt.

Infos zum „Gegenrechtsschutz“ und eine Möglichkeit zum Spenden finden sich hier.

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