Intensivmediziner über Lage in Kliniken: „Oftmals am Limit“
In den Krankenhäusern liegen immer mehr Covid-Patient:innen. Der Hamburger Klinikdirektor Stefan Kluge erwartet, dass die Zahl noch steigt.
taz: Herr Kluge, die Corona-Neuinfektionen sind hoch, Ihre Kolleg:innen warnen vor einer drohenden Überlastung der Krankenhäuser. Wie macht sich die aktuelle Lage im UKE bemerkbar?
Stefan Kluge: Es ist wie in der Vergangenheit auch: Den Anstieg der Infektionen merken wir in den Kliniken erst verzögert. Die Personen, die positiv getestet werden, kommen erst etwa zehn Tage später ins Krankenhaus, weil sie erst dann entsprechend krank werden. Insofern erwarte ich in Hamburg und den Bundesländern, in denen die Inzidenzen weiter hochgehen, in den nächsten Wochen auch ansteigende Patient:innenzahlen.
Nun haben wir aber auch die Impfungen, die Menschen sehr gut vor Ansteckung und schwerer Erkrankung schützen.
Obwohl mittlerweile viele Menschen geimpft sind, gibt es nach wie vor eine Korrelation zwischen hohen Infektionszahlen und der Krankenhausbelegung, weil das Infektionsgeschehen diffus ist.
Inwiefern?
Wir wissen, dass sich zurzeit insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene infizieren, und die werden sehr selten schwer krank. Aber es wird häufig ausgeblendet, dass kein Kind alleine wohnt, sondern da Eltern, Großeltern und andere Kontakte sind. Wenn ein Kind positiv ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch die Familie und das Umfeld infiziert, gerade bei der sehr ansteckenden Deltavariante, sehr hoch. Und wenn darunter ein ungeimpfter, 70-jähriger Großvater ist, dann haben wir ein Problem.
Was für Patient:innen behandeln Sie denn gerade?
Wir behandeln auf der Intensivstation überwiegend ungeimpfte Patienten mit Risikofaktoren wie höheres Lebensalter, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Das Alter geht von 25 bis 75 Jahre. Viele haben eine Sprachbarriere.
53, ist Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Außerdem ist er Mitglied im Präsidium der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).
Glauben Sie also, dass die Impfkampagne noch nicht alle Menschen erreicht hat?
Ja, das sehe ich so. Wir haben bei uns immer mal einzelne Impfgegner auf der Intensivstation liegen, die anderen, die nicht geimpft sind, würde ich als Impfzauderer bezeichnen. Diese Menschen sind nicht abgeholt, nicht ausreichend informiert worden. Und wenn ich durch Hamburg fahre und gucke, wo ich mich impfen lassen kann, dann sehe ich nicht genug Angebote. Bremen mit höherer Impfquote hat hier anscheinend mehr Menschen erreicht.
Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) stehen rund 4.000 Intensivbetten weniger zur Verfügung als noch Anfang des Jahres. Warum ist das so und macht sich das auch bei Ihnen bemerkbar?
Das macht sich in ganz Deutschland bemerkbar und auch hier bei uns. Durch den deutschlandweiten Mangel an Pflegekräften hatten wir auch schon vor der Pandemie gesperrte Intensivbetten. Die Belastungen der Pandemie haben zusätzlich für einen Pflexit gesorgt: Viele Pflegende haben ihre Arbeitszeit reduziert oder sich nach anderen Berufen umgesehen. Das sorgt dafür, dass wir weniger Betten betreiben können.
Im vergangenen Jahr wurde ein System entwickelt, wonach Patient:innen verteilt werden können. Gilt das weiterhin?
Wir haben in Hamburg immer auch Patient:innen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein behandelt und das ist auch jetzt so. Und es wird auch auf uns zukommen, dass Patient:innen innerhalb von Deutschland verlegt werden müssen. Aber das Ganze ist ein unheimlicher organisatorischer Aufwand. Es ist auch für Patient:innen nicht angenehm, Hunderte Kilometer transportiert zu werden. Auf dem Papier klingt das alles gut, aber es ist eher eine Notlösung. Ich gehe davon aus, dass auf Sicht auch eine Diskussion einsetzen wird, inwiefern welches Bundesland Patient:innen aufnehmen kann. Die Krankenhäuser arbeiten oftmals am Limit.
In der Vergangenheit mussten auch Operationen verschoben werden, droht das nun wieder?
Erste Kliniken in Bayern oder Thüringen haben bereits damit angefangen. Die Patient:innen, die nach einer Operation auf einer Intensivstation liegen, haben in der Regel keine Hüftprothese. Das sind Menschen nach großen Herzoperationen, nach Tumoroperationen oder Transplantationen. Und diese Patient:innen können nicht monatelang auf eine Operation warten. Meine Sorge ist im Moment, dass andere Patient:innen – Notfallpatient:innen, aber auch die, die relativ kurzfristig operiert werden sollten – unter der Coronasituation leiden werden. Im Moment ist das bei uns noch nicht so, aber wenn ich mir die Zahlen anschaue, gehe ich davon aus, dass auch in Hamburg in den kommenden Wochen OPs verschoben werden.
Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung denn notwendig, damit die Überlastung der Kliniken verhindert wird?
Wir haben alle Maßnahmen an der Hand: die Impfungen, das Masketragen, den Abstand, das Testen. Es muss darum gehen, diese Dinge aufrechtzuerhalten. Aber die Impfquoten sind noch nicht ausreichend, wir haben zu wenige mobile mehrsprachige Impfteams und es wird überall suggeriert, dass wir die Masken nicht mehr brauchen. Dann das Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite …
Das halten Sie für keine gute Idee?
Es wird suggeriert, wir hätten alles im Griff und müssen uns keine Sorgen mehr machen. Stattdessen hätte man sagen müssen: Jetzt kommt der Herbst und der Winter, wir brauchen die Maskenpflicht in vielen Situationen und müssen besonders vorsichtig sein. Viele Menschen sind auch einfach verwirrt. Ich muss auch gestehen, wenn ich von Hamburg nach Niedersachsen fahre, weiß ich ad hoc auch nicht, wie dort die Regeln sind. Wir hätten vor der vierten Welle einheitliche bundesweite Regeln gebraucht. Diese Unterstützung haben wir nicht bekommen und das ist extrem schade.
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