Innerfeministische Debatten: Die Sache mit dem Begehren
Feminismus im 21. Jahrhundert muss neu gedacht werden. Darüber schreibt die Philosophin Amia Srinivasan in „Das Recht auf Sex“.
Nicht selten, wenn jemand „den Feminismus“ kritisiert, halten Feministinnen entgegen, dass es den einen Feminismus so wenig wie die Frau gebe. Je nach Hautfarbe, Ethnie und Klassenzugehörigkeit können feministische Kämpfe ganz unterschiedlich gestaltet sein. Umso erstaunlicher (oder eben auch nicht) ist es, dass die dominante Form des Feminismus jener der weißen Mittelschichtsfrauen ist.
Die indisch-amerikanische Autorin und Professorin Amia Srinivasan widmet sich in ihrem erhellenden wie provokanten Buch „Das Recht auf Sex“ diesen innerfeministischen (Macht-)Kämpfen, wie sie etwa in Fragen des Verbots von Pornografie oder Prostitution zum Vorschein kommen. Srinivasan greift eine Reihe von zeitgenössischen Diskursen um Sexualität auf, beispielsweise den sexuellen Konsens betreffend. Wie wurde aus „Nein heißt nein“ „Nur ja heißt ja“?
Sie legt den Finger in die Wunde, wenn sie fragt, warum so viele Feministinnen zur Neuordnung der Machtverhältnisse in Geschlechts- und Sexualitätsfragen ausgerechnet auf den karzeralen, patriarchalen Staat vertrauen. Ist Gerechtigkeit hergestellt, wenn Gesetze erlassen oder einzelne Männer – bevorzugt schwarze oder arme Männer – für ihre Vergehen weggesperrt werden, während das System bestehen bleibt?
Die Liste der innerfeministischen Kämpfe um Sex ist in der Tat lang. Viele Konflikte drehen sich um die Frage, wie natürlich Geschlecht, Begehren und sexuelle Identität sind. Srinivasan zeigt das am Konzept des politischen Lesbentums. Während im gegenwärtigen Diskurs Homo- oder Trans-Sexualität als angeborener Teil der Identität verstanden wird, gab es in den 1970er und 80er Jahren viele Advokatinnen des politischen Lesbentums: Da jede heterosexuelle Beziehung zwangsläufig von Gewalt und Machtpraxen durchdrungen sei, sei der einzige Ausweg die Hinwendung zu lesbischen Beziehungen, so die These.
Ideologische Zwickmühle
Das Begehren, das auf Männer konditioniert sei, ließe sich umtrainieren, zugleich könnte man gewissermaßen Männer bestrafen, in denen man ihnen vorenthielte, was sie suchen: Sex und emotionale Fürsorge.
Amia Srinivasan: „Das Recht auf Sex. Feminismus im 21. Jahrhundert“. Aus dem Englischen von Anne Emmert und Claudia Arlinghaus. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2022, 320 Seiten, 24 Euro
Srinivasan erkennt an, dass „die Ideologie der angeborene(n) Präferenz“ ihre politische Berechtigung habe. Andererseits kollidiert diese Betrachtungsweise „mit den konstruktivistischen, antiessenzialistischen Tendenzen des Feminismus“. Wenn lesbisches Begehren angeboren, heterosexuelles Begehren aber die Konsequenz einer heterosexuellen Zwangsmatrix sein soll, gerät man in eine ideologische Zwickmühle.
Die damalige Debatte hat zwei moderne Wiedergänger: Der eine ist die Suche nach nicht-patriarchalen Beziehungsformen fernab der Kleinfamilie. Die andere ist die teils heftig geführte Debatte um die Ablehnung von Trans-Frauen als potenzielle Sexualpartner durch einige lesbische Frauen.
Die BBC veröffentlichte vor Kurzem einen Artikel, in dem lesbische Frauen davon berichteten, Teile der queeren Community würden sie als transfeindlich framen, sofern sie nicht dem Sex mit Trans-Frauen zustimmten; andere fühlten sich gar von Trans-Frauen genötigt. Die einen sahen in dem Text ein Zeichen von Transphobie.
Andere fragten, warum in diesem Fall die Formel „believe women“ nicht gelte. „Believe women“ meint, dass man einem potenziellen Opfer sexueller Nötigung mit einer Glaubwürdigkeitsvermutung gegenübertreten sollte.
Gibt es ein Recht auf Sex?
Srinivasan führt die Debatte zu ihrer Kernfrage: Gibt es ein Recht auf Sex? Nein, niemand habe ein Recht auf Sex. Aber bei dieser Feststellung dürfe man nicht stehen bleiben. Wer hat weniger Chancen, sein Begehren verwirklicht zu sehen? Menschen, die nicht den geltenden Normen von sexueller Attraktivität (also Fuckability) entsprechen.
Wenn einigen Menschen sexuelle Attraktivität abgesprochen wird, bewegen wir uns aber auf dem Feld der politischen Voraussetzungen für das Begehren. Es ist keineswegs so, dass unser Begehren „natürlich“ in uns erwächst, sondern es wird geprägt durch Bilder und Standards, die sehr genau festlegen, was begehrt werden darf und was begehrt werden soll.
Srinivasan stellt dem Problem der Trans-Frauen das Thema der Incels entgegen. Auch Letztere fordern ein Recht auf Sex, auch sie klagen an, dass Frauen nicht mit ihnen schlafen wollen, weswegen sie unfreiwillig zölibatär leben müssten.
Der Unterschied sei aber, und das zeigt Srinivasan anhand des Manifests von Elliot Rogder, der in der Incel-Szene Heldenstatus genießt, dass Incels Sex mit einer bestimmten Art Frau fordern. Nämlich solchen, deren hoher sexueller Status ihren Status als Mann aufwertet. Auch dieses Begehren ist nicht apolitisch, sondern durchdrungen von Politik in Form von Status und patriarchalen Vorstellungen von männlichen Vorrechten.
Srinivasans Buch destabilisiert nicht nur patriarchale Diskurse, es ordnet auch die feministischen Karten neu, indem es einmal mehr den Blick auf blinde Flecken lenkt. Ihre Analysen sind gleichermaßen bestechend scharf wie differenziert.
Auch wenn die eine oder andere Position Widerspruch generieren mag: Srinivasans Buch ist eine Aufforderung, Feminismus im 21. Jahrhundert neu, differenzierter zu denken.
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