Illegaler Welpenhandel: Tierheime am Limit

Die Nachfrage nach Hunden ist in der Hochphase der Pandemie enorm gestiegen, der illegale Welpenhandel boomt. Die Folge sind überfüllte Tierheime.

Ein Hund hinter einem Gitter.

Ein Hund im Tierheim Hamburg wartet auf neue BesitzerInnen Foto: Marcus Brandt/dpa

BERLIN taz | Pauline schaut mit ihre rot unterlaufenen Kulleraugen in die Kamera. Die schwarz-weiße Bulldogge trägt eine Halskrause aus Plastik und steht apathisch vor einem Hundebett im Koblenzer Tierheim, einen Tag zuvor wurde sie notoperiert. „Du? Hallo?“, sagt Leiterin Kirstin Höfer mit sanfter Stimme zu Pauline, doch die Hündin reagiert nicht. „Alles wird gut“, sagt Höfer immer wieder. Am Ende des Videos, das auf der Facebook-Seite des Tierheims zu sehen ist, fragt Höfer: „Wer kennt diesen Hund?“

Die zwischen fünf und sechs Jahre alte Bulldogge wurde mit schweren Verletzungen ausgesetzt. Als eine Passantin sie am 8. Juli auf einem Friedhof findet, so erzählt es Höfer, hängt Scheidengewebe aus ihrer angeschwollenen Vagina heraus. „Pauline wurde jahrelang als Zuchthündin benutzt, das belegt ihre ausgeleierte Gebärmutter“, sagt die Tierheimleiterin. „Ihre rosafarbenen Pfoten deuten darauf hin, dass mit ihr nie jemand spazieren gegangen ist.“

Höfer vermutet, dass Pauline kürzlich Welpen geboren hat. „Dabei hat sich ihre Vagina von innen nach außen gestülpt.“ Wegen der großen runden Welpenköpfe seien Bulldogen anfälliger für diese Verletzung, die Scheidenvorfall heißt und operiert werden muss. Doch statt Pauline zum Tierarzt zu bringen, haben ihre Be­sit­ze­r*in­nen sie wie Müll entsorgt. „Mit der Verletzung war Pauline für sie wertlos“, mutmaßt Höfer.

Während der Hochphase der Pandemie ist die Nachfrage nach Hunden regelrecht explodiert. „Unsere Züchter können die Vielzahl der Anfragen nicht mehr bewältigen“, vermeldete der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) vor genau einem Jahr. Auch viele Tierheime bekamen in dieser Zeit deutlich mehr Adoptionsanfragen als sonst. „Für elf sichergestellte Welpen aus illegaler Zucht erhielten wir knapp 1.200 Anfragen“, antwortet etwa das Tierheim Siegen auf Anfrage. Das Tierheim Reutlingen bekam für manche Tiere „Anrufe aus dem ganzen Bundesgebiet“.

Zahl der illegal gehandelten Hunde extrem gestiegen

Mehr Hunde als üblich konnten letztlich aber nur wenige Einrichtungen vermitteln. Denn die meisten In­ter­es­sen­t*in­nen suchten Welpen oder zumindest junge, unkomplizierte Hunde. Genau die aber gibt es im Tierheim nur selten. Die Folge: Viele Menschen kauften Welpen auf Onlineportalen. Das hat den illegalen Handel, dem vermutlich auch Bulldogge Pauline zum Opfer fiel, dramatisch angekurbelt. Dieser ist der Tierschutzorganisation Peta zufolge nach dem Drogen- und Waffenhandel die drittgrößte Einnahmequelle für organisierte Banden.

Nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes hat sich die Zahl der illegal gehandelten Hunde von 2019 auf 2020 fast verdreifacht. Es wurden mehr als 1.050 Hunde bei illegalen Transporten beschlagnahmt, fast alle davon waren Welpen. Allein im ersten Quartal 2021 stellten die Veterinärämter 757 Hunde sicher. Tierschutzbund-Sprecherin Hester Pommerening betont, dass so gut wie alle diese Tiere durch zufällige Transportkontrollen entdeckt worden seien. „Es handelt sich also nur um die Spitze des Eisbergs.“ Da systematische Kontrollen wegen des Schengen-Abkommens nicht möglich seien, müsse das Problem anders angegangen werden: etwa durch die Aufklärung potenzieller Käufer*innen, die die Hunde überhaupt erst bestellen.

Illegal gehandelte Welpen stammten meist aus Rumänien, Bulgarien, Polen oder Ungarn, sagt Pommerening. Bei ihrer Ankunft in Deutschland seien sie in der Regel weder entwurmt noch geimpft. „Die Tiere sind von den langen Transporten geschwächt, viele sind dehydriert und stark unterernährt, haben Fieber, Durchfall und Parasiten.“ Weil sie viel zu früh von ihren Müttern getrennt würden, meist mit zwei bis vier Wochen, könnten sie nicht genug Abwehrkräfte aufbauen.

Überfüllte Tierheime

Alle illegal gehandelten Welpen, die Veterinärämter beschlagnahmen, kommen ins Tierheim. Die taz hat 70 Tierheime in Deutschland kontaktiert und sie nach der Situation auf ihren Hundestationen gefragt. 38 haben sich per E-Mail oder Telefon zurückgemeldet.

Sechs der Tierheime sind so überfüllt, dass sie keine Hunde von Privatleuten mehr annehmen können – teils wegen sichergestellter Welpen, teils wegen Hunden, die spontan im Lockdown gekauft und nach kurzer Zeit wieder abgegeben wurden. Weitere fünf Heime fürchten, bald ihre Kapazitätsgrenze zu erreichen. „Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass ein Händler ertappt und wieder zwanzig oder dreißig Hunde auf einmal zu uns kommen“, schreibt etwa der Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V. 17 Tierheime geben an, keine vermehrten Aufnahmen zu verzeichnen.

Im Lübecker Tierheim steigt die Zahl der Aufnahmen seit dem 2. Juli – dem Tag nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht – “extrem“ an. „Wir erhalten immer mehr Fundtiere aus illegalen Zuchten, die meisten sind ungefähr ein Jahr alt“, sagt Leiterin Elena Cujic. Hinzu kämen fast jede Woche sichergestellte Welpen. Diese seien oft kaum überlebensfähig und müssten „24 Stunden am Tag“ medizinisch versorgt werden. Für Cujic und ihre Kol­le­g*in­nen bedeutet das: durcharbeiten. „Wir machen zig Überstunden und fahren nur noch zum Schlafen nach Hause.“

Das Tierheim München schreibt, dass ein Drittel ihrer aktuellen Aufnahmen sogenannte „Corona-Hunde“ seien – also solche, die im Lockdown unüberlegt angeschafft wurden. Viele Menschen hätten schlicht unterschätzt, wie viel Zeit ein junger Hund in Anspruch nehme. Andere kämen mit dem Verhalten der Hunde nicht klar. „Hier macht sich bemerkbar, dass die Hundeschulen während der Lockdowns geschlossen hatten.“

Besonders besorgniserregend ist die Situation im Berliner Tierheim, mit 16 Hektar Fläche einem der größten Europas. Wenn man über das Gelände schlendert, an den mit Efeu bewachsenen Betonmauern vorbei, ahnt man nicht, dass hier knapp 250 Hunde leben. Ab und zu hört man vereinzelt ein Bellen, ansonsten ist es ruhig. Erst wenn man eines der runden Hundehäuser betritt, beginnen die Hunde zu kläffen. „Da sich die meisten Hunde nicht mit ihren Artgenossen vertragen, müssen sie einzeln untergebracht werden“ erklärt Beate Kaminski, die hier seit zehn Jahren arbeitet. „Das kostet Platz.“ Daher könne das Tierheim eigentlich keine Hunde mehr aufnehmen. Auch die Welpenstation sei komplett voll. „Allein in diesem Jahr haben wir 80 Welpen aufgenommen“, sagt Kaminski. Im Vorjahreszeitraum seien es deutlich weniger gewesen.

Beschlagnahmte Welpen oft schwer krank

Weil illegal gehandelte Welpen in der Regel nicht gegen Tollwut geimpft sind, müssen sie zunächst in Quarantäne, teilweise monatelang. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. „Für Welpen, die einzeln sichergestellt werden, ist das eine Katastrophe“, sagt Kaminski. Schließlich bräuchten sie eine Familie – entweder eine Hunde- oder eine Menschenfamilie. Dann erzählt sie von dem hohen Pflegebedarf der beschlagnahmten Welpen. Oft hätten sie Parvovirose, eine hochansteckende Infektionskrankheit, die tödlich verlaufen kann. Betroffene Tiere litten unter starkem Erbrechen, Fieber und Durchfall. „Bevor Tier­pfle­ge­r*in­nen eine Box mit infizierten Welpen betreten, müssen sie Schuh-Überzieher, Schutzanzüge und Handschuhe anziehen.“

Trotz medizinischer Versorgung würden immer wieder Welpen an Parvovirose sterben, häufig nach wochenlangem Kampf. Manchmal gehe es aber auch ganz schnell. Im Dezember etwa brachten Be­sit­ze­r*in­nen ihren todkranken Malteser-Welpen vorbei, auch er stammte vermutlich aus illegalem Handel. „Oben und unten lief braune Flüssigkeit heraus, der Hund hat am ganzen Körper gezittert.“ Drei Stunden später war er tot. Seinen Besitzer*innen, so vermutet es Kaminski, wollten wohl die hohen Tierarztkosten nicht zahlen.

„Welpen aus illegalem Handel bekommen vor der Übergabe an die Käu­fe­r*in­nen oft einen Cocktail aus Adrenalin und verschiedenen Aufbaupräparaten gespritzt und wirken dadurch gesund“, erklärt Kaminski. Wenige Stunden später merkten die Be­sit­ze­r*in­nen dann, dass ihr Hund krank sei. Kaminski warnt davor, Hunde auf Internetportalen zu kaufen, denn illegale Händ­le­r*in­nen gingen immer geschickter vor. „Sie tarnen sich als Züchter*innen, Auslandstierschutzverein oder geben vor, ihren Job verloren und nun kein Geld mehr für ihren Hund zu haben.“ Sobald jemand vorschiebe, die Übergabe müsse zum Beispiel wegen Renovierungsarbeiten auf einem Parkplatz stattfinden, solle man die Polizei informieren. „Inzwischen mieten sich aber auch immer mehr Händ­le­r*in­nen eine Wohnung für die Übergabe an.“

Wie lässt sich der illegale Welpenhandel eindämmen?

Um den illegalen Handel mit Tieren einzuschränken, hat das Internetportal Ebay-Kleinanzeigen im Herbst 2020 seine Tierschutz-Grundsätze verschärft. Seither ist es zum Beispiel verboten, Qualzuchtrassen wie Möpse oder Französische Bulldogen anzubieten sowie Tiere, die sich im Ausland befinden. Ebenfalls untersagt sind Wurfankündigungen und der Verleih von Tieren. Gewerbliche Züch­te­r*in­nen dürfen höchstens drei Würfe von zwei Rassen innerhalb von 365 Tagen anbieten, private Nut­ze­r*in­nen lediglich ein Tier. Welpen dürfen nur dann vermittelt werden, wenn das Muttertier vorgestellt werden kann. Außerdem hat Ebay-Kleinanzeigen das Mindestalter für den Abgabezeitpunkt von Welpen von acht auf zwölf Wochen erhöht.

Andreas Ackenheil, Anwalt für Hunderecht in Mainz, begrüßt diese Änderungen. „Damit setzt Ebay ein klares Zeichen.“ Allerdings fragt sich Ackenheil, wie Ebay Kleinanzeigen die Einhaltung dieser Regeln überprüfen möchte – und welche Sanktionen bei Verstoßen folgen. „Reicht es, diejenigen Nut­ze­r*in­nen zu sperren?“ Der Anwalt ist überzeugt: Illegale Händ­le­r*in­nen werden immer einen Weg finden, ihre Welpen zu verkaufen. „Wenn ich eine Anzeige für einen Welpen hochlade, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt, und sich ein Interessent bei mir meldet, dann kann ich ihm schreiben: ‚Leider ist der Hund schon vermittelt, aber ich habe noch einen Mops im Angebot.‘“ Damit hätte der Händler unbemerkt einen Hund aus einer Qualzucht verkauft.

Was tun, um den illegalen Welpenhandel einzudämmen? Der Tierschutzbund fordert schärfere Kontrollen und härtere Strafen für Händler*innen. Die Bußgelder seien viel zu niedrig, je nach Anzahl der illegal transportierten Hunde müssten Händ­le­r*in­nen ein paar Hundert, nur gelegentlich auch bis zu 2.000 Euro zahlen. Selten würden auch die Transportfahrzeuge der Händ­le­r*in­nen einbehalten, sagt Sprecherin Pommerening. „Solche Strafen stellen für Groß­händ­le­r*in­nen kein finanzielles Risiko dar.“ Um Wirkung zu erzielen, müssten die Bußgelder im fünfstelligen Bereich liegen.

Zudem sollten Tierschutzthemen in das Ausbildungsprogramm der Polizei aufgenommen und Po­li­zis­t*in­nen geschult werden. Darüber hinaus fordert der Tierschutzbund von der Regierung, den Online-Handel mit Tieren zu verbieten. „Ausgenommen werden können Tierheime und Auffangstationen, die ihre Tiere im Internet präsentieren“, sagt die Sprecherin.

Reform der Tierschutz-Hundeverordnung

Immerhin: Die vom Landwirtschaftsministerium geplante Reform der Tierschutz-Hundeverordnung hat der Bundesrat im Juni nur unter der Bedingung weiterer Änderungen zugestimmt. Der Bundesrat fordert die Regierung unter anderem dazu auf, den Online-Handel von Welpen zu beschränken. Nur Züchter*innen, die eine Erlaubnis vom Veterinäramt haben und damit regelmäßigen Kontrollen unterliegen, sollten ihre Welpen im Internet verkaufen dürfen.

Pauline, der ausgesetzten Bulldogge, geht es von Tag zu Tag besser. In einem Facebookvideo, das die Hündin fünf Tage nach ihrer Ankunft im Koblenzer Tierheim zeigt, springt sie Leiterin Kirstin Höfer auf den Schoß und schleckt sie vor Freude im Gesicht ab. „Als Pauline zu uns kam, war sie sehr ängstlich, sie hatte zuvor noch nie einen Bezug zu einem Menschen“, sagt Höfer. „Jetzt ist sie total verschmust.“ Die ersten Adoptionsanfragen hat die Hündin schon bekommen.

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