Haushaltsverhandlungen der Regierung: Sparen an der Demokratie
Die AfD ist stark, und die Ampel will sparen – ausgerechnet dort, wo es um den Zusammenhalt in der Demokratie geht. Drei Beispiele.
Integration
Ob nun Unterstützung im Asylverfahren, beim Ankommen in Deutschland, auf dem Weg in den Arbeitsmarkt und an die Uni oder bei der Versorgung traumatisierter Kriegsflüchtlinge: Die Bundesregierung will Projekte für eingewanderte oder geflüchtete Menschen drastisch zusammenkürzen.
Dabei geht es um Kürzungen, die das Aus für viele Projekte bedeuten und erfolgreiche Integration auf Jahre erschweren könnte. Die Mi-grationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) etwa berät bei Fragen zu Spracherwerb, Wohnungssuche oder bei der Anerkennung von Abschlüssen. Weil der Bedarf so hoch ist, bekam die MBE 2023 eine Rekordsumme von 81,5 Millionen Euro. Jetzt soll diese Aufstockung nicht nur rückgängig gemacht werden, die Summe soll deutlich geringer werden: Nur noch 57,5 Millionen Euro soll es 2024 geben, ein Minus von 30 Prozent.
Ähnliches droht den 47 psychosozialen Zentren, eine Anlaufstelle für kriegstraumatisierte Geflüchtete. Deren Mittel wollte die Ampel laut Koalitionsvertrag verstetigen. Nun sollen sie gekürzt werden: von 17 auf 7 Millionen Euro. Dabei können die Zentren schon heute nach eigenen Angaben nur etwa 4 Prozent der potenziell Behandlungsbedürftigen helfen, und die Wartelisten sind lang: Mehr als sieben Monate warten Geflüchtete auf einen Therapieplatz. „Die Kürzung würde den Abbruch vieler Therapien für Folterüberlebende bedeuten“, warnt Sabrina Hackmann von der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum.
Die Liste lässt sich fortsetzen. Für die Erstorientierungskurse etwa, die für das Ankommen Geflüchteter eine fundamentale Rolle spielen, soll es fast 40 Prozent weniger Geld geben. Komplett gestrichen werden soll die „Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule“ (GFH), die junge Migrant*innen auf dem Weg in die akademische Bildung begleitet. Schon seit August werden keine Geflüchteten mehr in die Förderung aufgenommen, zu Ende des Jahres soll das Programm eingestellt werden.
Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege üben scharfe Kritik: Durch die Kürzungen sehe man die „Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten Menschen massiv gestört und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr“.
Politische Bildung
Eigentlich hatte die Bundesregierung versprochen, Projekte gegen Extremismus und für Toleranz zu stärken. Doch anstatt das Demokratiefördergesetz wie angekündigt vor dem Sommer zu verabschieden, und damit eine langfristige Finanzierung entsprechender Programme, hat die Ampel bei der politischen Bildung gekürzt.
Betroffen sind unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, die freie Jugendhilfe sowie Freiwilligendienste, die jeweils auf rund ein Fünftel ihres Budgets verzichten sollen. Andere Posten sind im Haushaltsentwurf ganz gestrichen. Darunter das Programm „Respekt Coaches“, das seit 2018 bundesweit an rund 600 Schulen läuft und das das Familienministerium in diesem Jahr noch mit 30 Millionen Euro fördert.
Respekt Coaches organisieren Workshops zu Themen wie Diskriminierung oder Vielfalt und beraten Schüler:innen und Lehrkräfte bei Konflikten. Das Familienministerium selbst stellt ihnen ein gutes Zeugnis aus. „Die positiven Bewertungen und die beobachteten Wirkungen sprechen für eine Fortführung des Präventionsprogramms“, heißt es in einem Gutachten. Nach den Silvesterkrawallen wies Familienministerin Lisa Paus die Respekt Coaches im Bundestag noch als „Erfolgsstory“ aus. Eigentlich sollte das Programm noch bis mindestens Ende 2024 laufen – nun soll der Bund die Finanzierung im Januar komplett einstellen. Die zuständige Staatssekretärin Margit Gottstein verweist auf die Möglichkeit, die gewonnene „Expertise“ in das geplante „Startchancenprogramm“ für Brennpunktschulen einzubringen.
Von einer „gravierenden Fehlentscheidung“ spricht die Präsidentin des Internationalen Bundes (IB), Petra Merkel. Der Bund verliere „fahrlässig“ ein wesentliches Instrument zur Demokratiebildung. Die Diakonie-Direktorin für Berlin und Brandenburg, Ursula Schoen, warnt vor einem „Vertrauensbruch“ gegenüber Schüler:innen und Lehrkräften. Mehrere Petitionen fordern die Regierung auf, die Respekt Coaches zu erhalten.
Kritik dürfte die Koalition kommende Woche auch im Bundestag hören, wenn ihr Haushaltsentwurf beraten wird. Auch viele Parlamentarier:innen halten es für ein gefährliches Signal, in Zeiten von AfD-Umfragehochs und vermehrten rechtsextremen Vorfällen an Schulen an der Demokratiebildung zu sparen.
Fake News
Seit Beginn der Pandemie haben sie Konjunktur: falsche Nachrichten über Impfschäden, Desinformationskampagnen von Putinversteher:innen, ausgedachte Geschichten über die angebliche Strippenzieherei von Politiker:innen. Das Ganze gespickt mit einer ordentlichen Ladung Hass in sozialen Medien.
Die Bundesregierung hat die Gefahr aus dem digitalen Raum erkannt, eigentlich. Bei ihrer im Juni vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie benannte sie Fake News als potenzielle Bedrohung und bezeichnete den Kampf gegen Desinformation und Hate Speech als wichtige Instrumente der Demokratieförderung. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bekräftigt immer wieder diesen Kurs – vor allem im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Seit Kriegsbeginn hätten auch Desinformationskampagnen von russischer Seite zugenommen.
Trotzdem sollen relevante Initiativen, die Aufklärungs- und Präventivarbeit leisten, künftig weniger Geld bekommen oder ganz gestrichen werden. Ein Beispiel ist das vom Bundesjustizministerium geförderte Projekt „Firewall“ der Amadeu-Antonio-Stiftung. Vor allem Expert:innen aus der Sozialarbeit wurden darüber gecoacht und ausgebildet, um sich Wissen darüber anzueignen, wie man nicht auf Fake News hereinfällt, wie man sich gegen Hass im Netz stellt, wie Desinformation begegnet werden kann. Ihre Zielgruppe: Junge Menschen bis Mitte zwanzig. Also genau der Personenkreis, der sich laut Umfragen am meisten im digitalen Raum aufhält. Weit über die Hälfte gibt laut Amadeu-Antonio-Stiftung an, regelmäßig auf Falschinformationen zu stoßen. „Firewall“ wird im kommenden Jahr nicht weiter vom Ministerium gefördert.
Mit deutlichen finanziellen Einbußen muss auch die Organisation Hate Aid rechnen. Sie berät und unterstützt Personen, die von digitaler Gewalt betroffen sind. Bereits 2023 musste die Initiative um ihre Förderung aus dem Bundesjustizministerium bangen und die finanzielle Unterstützung wurde in Frage gestellt. Nur dank eines Beschlusses des Haushaltsausschusses des Bundestags konnte die Kürzung noch abgewendet werden. Für 2024 und auch 2025 sieht es allerdings schlecht aus. Laut Hate Aid handelt es sich um Einbußen von rund 600.000 Euro. Ohne die staatliche Förderung können beide Projekte nur sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr weitergeführt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern