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Hamburger Ringvorlesung AntisemitismusDraußen Protest, drinnen Anspannung

Handgreiflich wurde es bei der letzten Ausgabe der Vortragsreihe an der Hamburger Uni nicht, aber die Atmosphäre ist auch diesmal bedrückend.

Nur unter Polizeischutz möglich: Antisemitismus-Vorlesung an der Hamburger Uni Foto: Marta Ahmedov

Hamburg taz | Drei Streifenwagen stehen am späten Mittwochnachmittag vor der Universität Hamburg, hinter ihnen schwingt eine Palästina-Fahne durch die Luft. Es ist der letzte Termin der Ringvorlesung gegen Antisemitismus, von der in den vergangenen Wochen regelmäßig berichtet wurde: Es gab Störaktionen, Gegenproteste und sogar eine körperliche Attacke gegen eine Teilnehmerin. Auch heute ist die Stimmung angespannt.

Etwa 150 Menschen aus dem pro-palästinensischen Spektrum sind gekommen, um unter dem Motto „Wissenschaft muss sachlich bleiben“ vor dem Hauptgebäude zu protestieren. Aufgerufen haben die Gruppen Thawra und Students for Palestine. In ihrem Aufruf über Instagram bezeichnet Thawra die Ringvorlesung als „propagandistisch-rassistische Hetzkampagne“ und unterstellt ihr „beabsichtigten Geschichtsrevisionismus“.

Es ist schwer, jemanden zu finden, der darüber sprechen möchte. Eine junge Frau, die zum Organisationsteam zu gehören scheint, lässt sich auf ein kurzes Gespräch ein und betont, dass es vor allem die Ungleichbehandlung von pro-palästinensischen und israel-solidarischen Veranstaltungen sei, die sie wütend mache: Während die Ringvorlesung gegen Antisemitismus mit dem Schutz der Uni stattfinde, sei Thawra in der vergangenen Woche der Raum für eine Veranstaltung entzogen worden.

Rechts um die Ecke, wenige Meter weiter, findet eine zweite Kundgebung statt. Vor dem Eingang des Asien-Afrika-Instituts stehen etwa 60 Menschen aus dem Umfeld der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, die die Vorlesung solidarisch begleitet. Die Teilnehmenden bilden eine geschlossene Reihe und halten neben einem Banner Israel-Fahnen und Schilder in die Höhe, ein junger Mann verliest eine Rede. Zehn Minuten vor Beginn der Vorlesung ist der Saal schon beinahe voll besetzt. Alle, die reinwollen, müssen durch eine Taschenkontrolle. Einige Besucher werden abgewiesen, weil es keine freien Plätze mehr gibt.

Ein Handy schrillt, wird immer lauter

Zwei Gäste sind heute Abend auf dem Bühne: Die in Baku geborene jüdische Schriftstellerin Olga Grjasnowa spricht unter dem Titel „Angst“ über Antisemitismus seit dem 7. Oktober. Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion, Hanna Veiler, über junges jüdisches Leben in Deutschland und Antisemitismus an Unis.

Gerade als Olga Grjasnowa über das Leid der Menschen in Gaza spricht, klingelt das Handy einer Person mit Kufiya, den meisten wahrscheinlich eher unter dem Begriff „Palästinensertuch“ bekannt. Der schrille Ton wird immer lauter, sie schaltet ihn nicht aus und verlässt schließlich mit einer Begleitperson den Saal. „Ich werde jetzt davon ausgehen, dass einfach nur jemand angerufen wurde, und weitermachen“, sagt Grjasnowa dazu.

Auf der Straße vor dem Gebäude ertönt ein minutenlanges, lautes Hupen. Wahrscheinlich ein Zufall, doch die Stimmung im Raum ist merklich angespannt. Die letzten Wochen haben ihre Spuren hinterlassen. Die Veranstaltung geht aber ohne Störungen zu Ende, die sonst übliche Diskussionsrunde mit dem Publikum bleibt allerdings aus.

Hanna Veiler ist Störungen bei Veranstaltungen dieser Art gewöhnt. „Ich wurde von Security-Personal von meinem Hotel abge­holt und werde gleich auch von Security zurück­gebracht“, sagt sie. „Das ist für mich belastend. Ich bin 26 Jahre alt, rede einfach nur über die Perspektive jüdischer Studierender – und das geht an dieser Universität nicht ohne Sicherheitsschutz. Trotz allem werden wir nicht aufgeben und weitermachen.“

Beim Verlassen des Gebäudes ist sofort die pro-palästinensische Gegenkundgebung zu hören, offenbar ­haben sie die ganze Zeit über ein paralleles Programm veranstaltet. Sie skandieren laut einen Spruch, der sich mutmaßlich an die Besucher der Vorlesung richtet: „Shame on you.“

Anmerkung der Redaktion: Wir haben das Zitat von Hanna Veiler um einen Satz ergänzt.

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23 Kommentare

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  • Der Zentralrat der Juden in Deutschland sowie die Deutsch-israelische Freundschaftsgesellschaft verteidigen permanent die Politik der rechtsextremen Regierung Netanjahu. Die Trennung zwischen Israel und den offiziellen jüdischen Organisationen in Deutschland ist daher oft nicht auszumachen. Eine ähnliche Situation besteht zwischen türkischen Organisationen in Deutschlandund der Türkei. Genauso wie von muslimischen Kreisen die Verurteilung des 7. Oktober gefordert wurde, genauso kann von jüdischen Organisationen gefordert werden, sich gegen den Krieg in Gaza auszusprechen, so wie es linke Israelis und Juden in Deutschland tun. Wenn dies nicht geschieht, kann von einer stillschweigenden oder lauten Zustimmung zu Netanhahus Politik ausgegangen werden. Die Proteste richten sich also gegen die Unterstützer der israelischen Politik und nicht gegen Juden weil sie Juden sind. Der Vorwurf des Antisemitismus ist in diesem Zusammenhang ein Missbrauch des Wortes.

    • @Rinaldo:

      Das ist doch unlogisch. Dies ist eine Vorlesungsreihe der Uni, die Referentinnen thematisieren Leben als Jüdin und antisemitische Erfahrungen in Deutschland. Und Sie argumentieren, den Protestierenden ginge es um die Israelfreundlichkeit der großen deutsch- jüdischen Organisationen.



      Sollte es so sein, würde ich sagen, jeglichen Judentum und Antisemitismus thematisierenden Veranstaltungen und Redner:innen wird von den propalästinensischen Protestierenden Netanjahu-Unterstützung unterstellt und sie deshalb gestört und angegriffen. Das ist wiederum vorverurteilend und auf alle Juden bezogen, also antisemitisch.

    • @Rinaldo:

      Wann hat hier wer von deutschen muslimischen Organisationen die Verurteilung des 7.10. Oder der Hamas gefordert?

      Man wäre ja schon zufrieden gewesen, wenn das Massacker nicht noch bejubelt worden wäre.

      Wie können Sie von einer stillschweigenden Zustimmung zu Netanjahu ausgehen, wo seit geraumer Zeit in Israel Zehntausende gegen ihn demonstrieren?

      Wenn soviel Palästinenser gegen die Hamas demonstrieren würden, wäre die Welt einen Schritt weiter.

      Was sagt uns Ihr unterschiedlicher Maßstab?

    • @Rinaldo:

      Können Sie belegen, wo beide die Politik Netanjahus verteidigen?

    • @Rinaldo:

      Ich habe es weiter unten schon mal erläutert, dass viele Jüdinnen und Juden eine enge - oft familiär bedingte - Beziehung zu Israel habe und sich daher mit Israel - insbesondere dessen Bevölkerung- solidarisch fühlen, aber deshalb trotzdem nicht verantwortlich für die israelische Politik gemacht werden können. Genauso wenig wie übrigens auch die israelische Bevölkerung per se . In Israel demonstrieren ja nun auch sehr viele Menschen gegen Netanyahu. (Wo sind die pro palästinensischen und palästinensischen Demonstrationen gegen die Hamas und gegen Iran?)

    • @Rinaldo:

      Verteidigen Sie jetzt ernsthaft damit diese Störaktionen? Es war eine Ringvorlesung zum Thema Antisemitismus. Die Vortragenden haben über ihre persönlichen Erfahrungen gesprochen.

  • Von einer Verurteilung der israelischen Kriegsführung in Faza und seiner Besatzungspolitik ist in den Ringvorlesungen leider nichts zu hören oder lesen. Ist der Protest daher nicht eher ein Antikriegsprotest als Antisemitismus?

    • @Rinaldo:

      Zum Wesen von Antisemitismus gehört es, Juden zu unterstellen, sie seien selbst schuld daran, verfolgt zu werden. Der nächste folgerichtige Schritt ist es dann, Juden zu unterstellen, sie zwängen den Antisemiten nahezu, antisemitisch zu sein, weil sie es z. B. wagen, bei einer Ringvorlesung zum Thema Antisemitismus über antisemitische Erfahrungen zu sprechen, statt über den Krieg in Gaza.

    • @Rinaldo:

      Ich sage es mal ganz direkt: Zu fordern, eine Ringvorlesung über Antisemitismus und antijüdische Gewalt solle sich erst einmal von der israelischen Kriegsführung in Gaza distanzieren, ist reiner Antisemitismus, da Sie keinerlei Unterschied zwischen jüdischen Menschen in Deutschland und der Regierungspolitik Israels machen. Sie sollten sich schämen.

      • @Agarack:

        Man kann Proteste gegen Kriegsverbrechen nicht ohne den Antisemitismus sehen. Das ist richtig.

        Man kann umgekehrt auch Antisemitismus nicht ohne Betrachtung der israelischen Kriegsverbrechen korrekt einordnen.

        • @Rudolf Fissner:

          Doch, beides ist absolut möglich. Wenn Proteste gegen Kriegsverbrechen ohne Antisemitismus stattfinden, kann ich die als solche ohne Antisemitismus sehen. Und Antisemitismus ist sehr wohl ohne Betrachtung von israelischen Kriegsverbrechen korrekt einzuordnen, da Antisemtismus nicht die Schuld von Juden oder Israelis ist. Eine solche Sicht wäre selbst schon antisemitisch.

      • @Agarack:

        Danke. Anschließe mich.

  • Vorlesungen mit Polizeischutz - soweit sind wir schon.

  • „propagandistisch-rassistische Hetzkampagne“....Geschichtsrevisionismus“.



    Was genau wurde denn auf der Ringvorlesung vorgelesen, was Anlass zu dieser Behauptung gibt?



    www.igdj-hh.de/fil...sitaet_Hamburg.pdf

    • @Jutta57:

      Sehr interessantes Programm. Wissen Sie, ob die Vorlesungen als Skripte zu haben sind?

  • Das Problem ist nicht die Religion, sondern Menschen, die Religionen korrumpieren, um sich Macht zu sichern.

  • Weniger inbrünstiger Glauben an die eigene Richtigkeit würde beiden womöglich guttun.



    Bei Ringvorlesung und Hamburg dachte ich an Lessing und die von ihm genutzte Ringparabel im 'Nathan'.

    Wissenschaft heißt u.a. Offenheit, Datenbasiertheit, Diskurs, um eine noch genauere Wahrheit zu finden, auf die die meisten sich eine Weile einigen können. Niemand weiß, dass er den Ring der Wahrheit "hat". Niemand hat ihn eigentlich.

    Gut, man muss nicht so tun, als wäre etwa bräunliche Abwertung anderer gleichwertig im Diskurs. Ist sie recht sicher nicht, von einem universalistischen Standpunkt.







    Aber dass man den Diskurs auch mit israelischen Universitäten aufrechterhält,



    dass man gleichzeitig dem Leid und den Stimmen aus Palästina bei seiner Realitätskonstruktion eben auch Raum gibt,



    dass man Israel und Judentum nicht einfach zusammenwirft, von welcher Seite auch immer,



    dass man einander zumindest kurz zuhört und das widerspiegelt und doch nicht 1:1 die andere Meinung übernehmen muss.



    Ist das so utopisch oder doch machbar?

    • @Janix:

      Merkwürdig dass Sie offenbar denken - das fiel mir auch schon bei einem anderen Post auf - dass solange man "Israel und Judentum nicht zusammenwirft" man irgendwie auf der sicheren Seite sei, nicht antisemitisch zu agieren. Oder verstehe ich sie falsch? Israel und Judentum hängen doch aber nunmal zusammen, da in Israel zu ca. 70% Menschen leben, die sich kulturell und/oder religiös als Juden identifizieren. Viele hier in Deutschland lebende Juden und Jüdinnen fühlen sich daher Israel verbunden, weil sie meistens auch familiäre Verbindungen dorthin haben, und weil ein jüdisch geprägter Staat Israel für sie einen hohen symbolischen Wert hat. Daran ist doch überhaupt nichts verwerfliches, es sei denn man fängt an, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Oder wenn man hier lebende Juden und Jüdinnen für die israelischen Politik in Verantwortung nehmen will. Oder Israelinnen und Israelis generell für Netanyahu und seine Politik verantwortlich macht, obwohl ein großer Teil der israelischen Gesellschaft auch schon vor dem 7.10. gegen ihn protestierte.

  • Ich bemerke eine allgemeine Tendenz, weniger ergebnisoffen zu diskutieren und vielmehr seine eigene Position aggressiv zu verteidigen.

    Vielleicht liegt es auch an der Corona-Zeit, das wir andere Positionen nicht mehr respektieren.

    Ich persönlich finde inhaltliche Auseinandersetzungen außerhalb meiner Bubble wieder zunehmend interessant, weil mir innerhalb derselben kontroverse Input fehlt.

    Surprise: Es soll ja auch Menschen mit anderen Meinungen und Zielen geben als meinen eigenen.

  • Weniger Religion würde beiden gut tun.

    • @pablo:

      Sind es doch letztlich die Religionen, die das Thema überhaupt definieren.

      • @Gorch:

        Antisemitismus wird letztlich von Religion definiert?

    • @pablo:

      Über den (erfahrenen) Antisemtismus und die Angst seit dem 7. Oktober zu referieren - und Sie empfehlen weniger Religion? Schräg.