Grüner Zoff um Ministerposten: Abstreifen von Vorsitzenden
Cem Özdemir wird Minister, Toni Hofreiter muss weichen. Viele Parteilinke werden das nur schwer verzeihen. Die Grünen Flügel schlagen wieder.
E s gibt in der Politik wenige Floskeln, die so geradezu provokant gelogen sind, wie die Behauptung: „Wir reden erst über die Inhalte, dann über Personal“. Die Grünen können das besonders weihevoll sagen.
Erstaunlicherweise haben die Grünen seit der Bundestagswahl aber offenbar wirklich nicht übers Personal geredet – jedenfalls nicht abschließend. Der außerordentliche Krach, den es am Donnerstag über die grünen Ministersessel in der künftigen Ampel-Regierung gab, lässt nun mehrere Deutungen zu.
Möglicherweise wollten sich die Grünen im ritterlichen Kampf um die Inhalte des Koalitionsvertrags ja tatsächlich nicht mit persönlichen Ressortvorlieben einiger weniger belasten. Ein klein wenig wahrscheinlicher ist allerdings, dass der Stunt zugunsten von Cem Özdemir durchaus geplant war. Ziemlich wahrscheinlich ist, dass zwar pausenlos über Personen gesprochen wurde, nur eben nicht offen, nicht mit allen – und ganz sicher nicht ehrlich mit den beiden Fraktionsvorsitzenden.
Toni Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt müssen weichen, damit Cem Özdemir ins Kabinett einrücken kann. Das heißt nicht, dass Özdemir so viel wiegt wie zwei Grüne. Mit der Bitte um Entschuldigung für verkürzte Zuschreibungen: Die Logik dahinter lautet, dass ein Mann vom rechten Flügel nicht einen Mann vom linken Flügel ersetzen kann, ohne dass eine rechte Frau durch eine linke Frau ersetzt wird. Weil also Özdemir statt Hofreiter Landwirtschaftsminister werden soll, muss Anne Spiegel, Vize-Ministerpräsientin in Mainz, statt Göring-Eckardt Familienministerin werden.
Konflikt mit Folgen
Und wenn Sie jetzt meinen: Gut, die Grünen haben es geschafft, einen Deutschtürken in die ansonsten rein kartoffeldeutsche Regierung zu schicken – aber wo bleibt jetzt die Ostfrau? Nun, deshalb bekommt Steffi Lemke, die frühere Bundesgeschäftsführerin aus Sachsen-Anhalt, das Umweltministerium.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Lemke war 2013 nach der mies gelaufenen Bundestagswahl zusammen mit Jürgen Trittin – „die Parteilinken sind an allem schuld!“ – vom grünen Hof gejagt worden. Um nun gleich beide Fraktionsvorsitzende abzustreifen, scheint sie aber wohl geeignet genug.
Wenn Sie all dies verwirrend finden: Das ist verständlich. Aber in diesen Tagen werden nicht nur die Positionen, sondern auch die Gefühle und Erwartungen definiert, mit denen die Grünen in eine neue Regierung starten. So ein Konflikt hat Folgen. Für Göring-Eckardt wird sich zwar keine Trauergemeinde einfinden. Doch die Art, wie Hofreiter weggeschoben wird, dürften viele Parteilinke schwer verzeihen – schon allein, weil sie sich jahrelang so tapfer um ihn geschart haben. Durchaus möglich, dass die Parteiflügel, die angeblich ja immer längst ausgedient hatten, zur Organisation von Vergeltungsaktionen wieder in Betrieb genommen werden.
Im vorläufigen Ergebnis aber wird Özdemir, ein pointenstarker Redner in Fragen der Außen- und Verkehrspolitik, ein kiffender Vegetarier und echter Stadtmensch, jetzt Landwirtschaftsminister. Die Traditionsfraktion der Bauernlobby wird nicht fassen können, dass nach Renate Künast, Agrarministerin von 2001 bis 2005, nun jemand noch Schlimmeres kommt und ihnen in die Schweinemast reinreden will. Beziehungsweise reinschwätzen will – der Mann ist schließlich Schwabe.
Eigentlich könnte das ziemlich interessant werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen