Grüner Kapitalismus: Im Öko-Paradies
In Finnland wird am nachhaltigeren Leben gearbeitet. Auch Profitgier steckt dahinter. Die Frage lautet: Ist das schlecht?
Suutarinens Hof liegt in Mittelfinnland, in der Region Jyväskylä, nur etwa drei Stunden mit dem Zug von Helsinki entfernt, aber weit genug weg, um eine völlig andere Welt zu eröffnen. Entlang der Bahngleise erstrecken sich scheinbar endlose Birken- und Kiefernwälder, im finnischen Spätsommer schimmern hier erste Schattierungen von Gelb durchs tiefe Grün. Diese Wälder sind von seltsam glatten Felsen durchzogen, poliert und gerundet von der Eiszeit sind sie, außerdem gibt es viel Weißmoos und absurd blaue Seen.
Der Hof selbst hat etwas Astrid-Lindgren-haftes mit seinen traditionellen, dunkelroten Holzhäusern und weißen Fensterrahmen. Seltene Hühner wuseln durch die Beete, 170 Schafe grasen auf der Weide. Suutarinen steht am Gatter, ihre Tiere fressen Gras, kein Getreide, kein Kraftfutter.
„Wir geben ihnen die Zeit, die sie brauchen. Zuallererst kümmern wir uns um die Schafe.“ Sie betont das Wort „kümmern“ und strahlt dabei Kraft und Begeisterung aus.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Farmerin zeigt auf den Stall, den haben sie selbst gebaut, mit Lücken im Dach für die Ventilation. „Dadurch haben die Tiere keine Atemwegserkrankungen mehr.“ Auf den Weiden lässt sie die Tiere rotieren, mal die Ponys hier und die Schafe dort, dann wieder umgekehrt. Diese alte Vorgehensweise mindere den Parasitenbefall, sie brauchen zudem weniger Medikamente.
„Wir haben seit zwei Jahren kein Antibiotikum genutzt.“ Und wann sie rausgehen, wann sie grasen, das entscheiden die Schafe selbst. „Auch Tiere haben das Recht, zu wählen.“ Neue Wege mit traditionellen Mitteln, Revolution und Wärme in einem.
Doch Hakamaa ist kein Streichelzoo. Die Böcke werden größtenteils geschlachtet, ihr Fleisch wird vom Hof weg verkauft. „Die Leute sollen wissen, woher es kommt.“ Auch, wenn Suutarinen, das Stadtkind, immer noch heult, wenn sie ein Tier zum Schlachter bringt. So erzählt sie es.
TouristInnen packen mit an
Und TouristInnen machen hier keinen Urlaub auf dem Bauernhof, sondern erleben einen „Tag auf der Farm“, wo mit angepackt wird. Oder sie essen in dem neu eröffneten Restaurant, wo es abgesehen von lokalen Fleischgerichten vor allem vegetarische Kost gibt: selbst angebautes Gemüse, Beeren aus dem Wald, frische Kräuter oder Güter von anderen lokalen HerstellerInnen. Fragt man Suutarinen, die Ökologie studiert hat, woher sie all ihre Ideen nimmt, antwortet sie: „Ich lese viel, ich habe tolle TierärztInnen, und weil ich nicht vom Land komme, ist es einfacher für mich, dumme Fragen zu stellen.“
Fragt man sie, warum so wenige Menschen dasselbe tun, sagt sie, für die Bauernkinder auf den konventionellen Farmen im Umland sei der Druck sehr groß. „Dann heißt es: Das hat schon Opa so gemacht.“ Und darüber sei in Vergessenheit geraten, was Ur-Opa viel besser gemacht habe. Vielleicht ist Hakamaa auch deshalb ein überregionaler Magnet geworden, die Menschen kommen jetzt selbst aus Helsinki, Familien und junge Paare vor allem.
Von einem Boom will Maija Suutarinen zwar nicht sprechen, aber es sei spürbar, dass TouristInnen Nachhaltigkeit heute mehr wertschätzten. Und sie ist selbst baff, dass in Zeiten, wo ein Hof vor allem als finanzielle Belastung gilt, so ein Konzept dermaßen gut funktioniert.
So etwas wie die Hakamaa-Farm, ist das die Zukunft für nachhaltigen Tourismus auf dem Land? In ganz Finnland wird auch von Seiten des Staates an der Nachhaltigkeit gearbeitet. Mit der „Agenda 2030“ soll Finnland schon 2035 klimaneutral sein, ein Vorreiter. Und im Jahr 2020 hat die Organisation „Visit Finland“ ein neues Label auf den Markt gebracht, „Sustainable Travel Finland“ (STF).
Wer es haben will, muss einen Sieben-Punkte-Plan durchlaufen, inklusive Entwicklungsplan und regelmäßiger Überprüfung. Damit eine ganze Region als nachhaltig gilt, müssen über die Hälfte der Tourismusbetriebe, inklusive derer mit dem größten Umsatz, das Label erwerben. Jyväskylä ist eine Pilotregion. Johanna Maasola, Tourismus-Koordinatorin bei Visit Jyväskylä Region, sagt: „Viele Zertifikate schauen vor allem aufs Ökologische, das STF-Label schaut auch auf kulturelle und sozioökonomische Aspekte. Wie werden die Leute in der Region eingebunden, wie sind die Arbeitsbedingungen?“
Ein ambitioniertes Vorhaben. Ironischerweise hat dabei der Vorzeigebetrieb Hakamaa das Label noch nicht erworben. Maija Suutarinen fehlte bisher die Zeit.
Nachhaltigkeit und Marketing eng verwoben
Und doch bewegt sich dieser grüne Kapitalismus auch auf einem schmalen Grat. In einem Café einer regionalen Kette in der Stadt Jyväskylä, das Bio-Lebensmittel nutzt und von lokalen LieferantInnen bestellt, lässt die Managerin keine Minute aus, zu erzählen, wie „super inspirierend“ ihr Unternehmen, ihr Chef, ihr Handeln und überhaupt alles sei. In unserer Gegenwart, wo verkaufte Ware immer einen Mehrwert haben muss, vermengen sich Marketing und Nachhaltigkeit oft bis zur Unkenntlichkeit.
Das merkt man auch in der Säynätsalo Town Hall, einem modernen Ensemble aus roten Ziegeln, vor vielen Jahren entworfen von dem berühmten Architekten Alvar Aalto. Nach der Eingemeindung Säynätsalos in Jyväskylä 1993 hatte es seine Funktion verloren, schließlich hat es der Unternehmer Harri Taskinen für TouristInnen geöffnet, mit Führungen und ein paar kleinen Gästezimmern. Man habe die „We Speak Gay“-Plakette, weil man hoffe, dass es in der Zielgruppe gut ankomme, erklärt Taskinen freimütig, es gebe ja viele schwule Architekten. Die queere Community nennt er „LB-was weiß ich“. Nicht immer erzählen die bunten Aufkleber die ganze Geschichte.
Dass Nachhaltigkeit und Liberalismus sich jetzt verkaufen, lässt sich aber auch als Fortschritt betrachten. Das Beispiel von Harri Taskinen ist interessant. Ein Unternehmer, der einräumt, sich vorher nie für Alvar Aalto interessiert zu haben, bewahrt ein Bauwerk für die breite Masse und muss dabei auf die AnwohnerInnen zugehen. „Die Leute vor Ort machen sich Sorgen: Werden die Preise teurer, wenn so viele TouristInnen kommen? Gibt es keine Parkplätze mehr?“
Also richtete er ein Wochenende pro Jahr ein, wo die Säynätsalo Town Hall nur den AnwohnerInnen gehört, ohne Eintrittsgeld. Außerdem bietet er lokalen KünstlerInnen eine Ausstellungsfläche an und es gibt Werkzeuge für Fahrräder, Ladestationen für E-Bikes und auf der Website einen CO2-Rechner für die Anreise. Das STF-Label hat er jetzt übrigens auch.
Die Magie von Beeren, Pilzen, Pferden
Und dann gibt es die, die sich ohnehin ihren ökologischen Traum erfüllen. Wie das Ehepaar Pipsa und Fränz Wagner auf der Purola Farm, einem Biohof mit Islandpferden. Wieder so ein entlegenes Gehöft an einer Schotterpiste, wieder liebevoll restaurierte dunkelrote Holzbauten. Eineinhalb Jahre lang haben die Wagners das verfallene Gebäude instandgesetzt, umgeben von Wald, an einem tiefblauen See. Hierher lädt Pipsa Wagner zum Ausritt.
Die geduldigen Islandpferde bewegen sich trittsicher über die Halbinsel, und Wagner sagt, sie kenne nichts Schöneres, als diesen Wald zu Pferd zu entdecken. Sie mag recht haben. Hier ist der finnische Spätsommer mit allen Sinnen zu spüren: Riesige Pilze säumen den Weg, überall hängen reife Beeren an den Büschen, und in der Luft hängt noch etwas warme Feuchtigkeit, die sich mit der Kühle des herannahenden Herbstes mischt. „Wir wussten sofort, das ist unser Ort“, sagt sie. „Für mich ist das Magie.“
Die Wagners wussten früh, dass sie nachhaltigen Tourismus machen wollen. Seit sieben Jahren ist ihr Hof ein zertifizierter Biohof. Geheizt wird mit eigenem Holz, für warmes Duschwasser sorgen Solarplatten, gekocht wird vorwiegend lokal und bio. Es ist vielleicht kein Zufall, dass auch sie Zugezogene sind, Fränz ist Luxemburger, Pipsa zwar Finnin, aber nicht aus der Region. Sie seien dennoch herzlich empfangen worden.
Jedoch: Unterschiede beim Lebensstil gebe es. „Die Region ist nicht wohlhabend“, sagt Fränz Wagner. „Bio-Essen ist für Leute eine Kostenfrage.“ Sie wollen der Region etwas zurückgeben, mit Angeboten, die es vorher hier nicht gab. Pipsa Wagner unterrichtet therapeutisches Reiten, etwa für Kinder mit emotionalen Problemen, ADHS oder Essstörungen. Und dieses Programm richtet sich explizit auch an die Mädchen und Jungen aus den ärmeren Familien.
Transparenzhinweis: Diese Geschichte entstand mit der Unterstützung von Visit Finland und dem Solo Sokos Hotel Paviljonki, das sich ebenfalls der Nachhaltigkeit verschrieben hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?