Grünen-Fraktionschef über grüne Politik: „Wohlstand schafft Ruhe“
Für Schleswig-Holsteins Grüne läuft gerade vieles nicht gut. Fraktionschef Lasse Petersdotter über CO2-Verpressung und wirtschaftliche Perspektiven.
taz: Herr Petersdotter, Umweltminister Tobias Goldschmidt geht mit seinem Ostsee-Nationalpark baden, Sozialministerin Aminata Touré ist unter Druck wegen gelöschter Chats in Zusammenhang mit der Entlassung ihrer Staatssekretärin Marjam Samadzade. Läuft gerade nicht so super für die Grünen in Schleswig-Holstein, oder?
Lasse Petersdotter: Wir haben im vergangenen Jahr viele Erfolge erzielt und haben keinen Grund zu verzagen. Gerade beim Nationalpark ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Den Park zu fordern, war richtig. Wir kämpfen weiter dafür.
Frau Samadzade wurde entlassen, weil sie einen israelkritischen Post über den Krieg in Nahost geteilt hatte. War das aus heutiger Sicht überzogen?
Der Wechsel der Staatssekretärin war bereits vorher geplant und kommuniziert, er wurde nur um einen Monat vorgezogen. Der Landtag und die Landesregierung hatten sich gerade zum furchtbaren Angriff der Hamas auf Israel positioniert, und der genannte Post entsprach nicht der Haltung der Regierung, der Frau Samadzade zu diesem Zeitpunkt angehörte.
Und war das Löschen von Chats ein Fehler?
Das Löschen von nicht aktenrelevanten Chatnachrichten ist üblich und sinnvoll. Ich sehe nicht, dass Aminata Touré einen Fehler gemacht hätte.
Jetzt wollen die Grünen auch noch dem Verpressen von Klimagasen im Untergrund, dem so genannten CCS-Verfahren, zustimmen. Warum die Kehrtwende?
Fast jede Studie bezieht CCS ein, um die Klimaziele zu erreichen. Deswegen haben wir uns als Fraktion in internen Fachgesprächen, einer Anhörung im Landtag und Besuchen in Norwegen intensiv mit dem Thema befasst und am Ende eine Neupositionierung vorgenommen: Wir sollten CCS für unvermeidbare Restemissionen nicht ausschließen, aber mit klaren Standards. Unter anderem sind wir für ein Verbot der Verpressung unter dem Nationalpark Wattenmeer.
33, ist in Preetz geboren und hat in Kiel Politik- und Islamwissenschaft studiert. Er sitzt seit 2017 im Landtag und ist seit 2022 Fraktionschef der Grünen. Im Wahlkreis Kiel-Nord errang er ein Direktmandat.
Trotzdem dürften Naturschützer:innen dagegen Sturm laufen. Auf der anderen Seite wächst der Druck von rechts. Was tun Sie dagegen?
Drei Dinge müssen wir tun: auf Warnungen potenzieller Opfer von Rechtsextremismus hören und Faschismus, Sexismus und Rassismus an jeder Stelle widersprechen, nicht nur im Parlament, auch in der Umkleide im Sportverein. Wir müssen sicherheitspolitisch gegen die rechte Szene vorgehen. Und wir müssen die Probleme der Menschen lösen, das bedeutet auch, wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen.
Auch für die Bauernschaft, die heftig protestiert – bis zu dem Vorfall, bei dem Demonstrierende in Schlüttsiel Robert Habeck am Verlassen einer Fähre gehindert haben?
Meine Gespräche mit den demonstrierenden Bäuer:innen und Handwerker:innen waren sehr konstruktiv und ernsthaft. Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen ihre Sorgen auf die Straße tragen, und fand es teilweise verkürzt, dass vor allem darüber diskutiert wurde, wie sehr die Proteste von rechts unterwandert seien. Die Kürzung für den Agrardiesel kam sehr abrupt – da hat die Politik manchmal blinde Flecken für die Menschen mit mittlerem Einkommen. Auffallend war, dass die Gespräche auf den Demos mit Diesel begannen, dann aber schnell auf andere Dinge kamen, von Entwicklungszusammenarbeit bis Bürgergeld. Die Anliegen sind also sehr unterschiedlich und der Frust ist groß. Wer glaubt, dass nur andere profitieren und damit das Gefühl verliert, selbst Teil der Gesellschaft zu sein, sucht sich irgendwann ein Ventil. Das kann gefährlich werden, daher müssen wir den Zusammenhalt stärken.
Wie geht das?
Nicht über Appelle, sondern über Handeln. Dazu gehört auch, dass gerade wir Grünen anders an einige Themen rangehen. Beispielweise reden wir gerne über Aufstieg, machen dann aber die Symbole des Aufstiegs verächtlich. Mich nervt die Erwartung, dass alle einen Dinkel-Aufstieg in irgendeine Kulturelite erleben sollen. Ich finde es völlig okay, sich lieber einen großen Fernseher oder eine schöne Uhr zu kaufen. Ich habe auch viele Streaming-Abos und keins für das Theater.
Um Probleme zu lösen, braucht es Geld – Schleswig-Holstein ist klamm, und durch das Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse wird es nicht einfacher. Was tun?
Wir müssen die Schuldenbremse reformieren, das ist auch die Position von Finanzministerin Monika Heinold. Es braucht langfristige Investitionen für Klimaschutz und Bildung. Aber die Transformation schaffen wir nicht nur mit Krediten.
Genau, es braucht Einnahmen. Warum nicht die Steuern erhöhen, etwa die Erbschaftssteuer?
Es gibt kein Momentum dafür, es gibt nicht einmal eine Debatte. Dabei wären die Erbschaftssteuer und die Vermögenssteuer die demokratischsten Formen der Umverteilung. Mein Vorschlag wäre, dass die Einnahmen aus einer Vermögenssteuer in den Ländern bleiben und zu 100 Prozent für Bildung ausgegeben werden müssten. Dass die Fachkräfte von morgen gut ausgebildet sind, müsste auch im Interesse der Reichen liegen. Aber bisher sind alle meine Versuche versandet.
Einen wirtschaftlichen Erfolg gibt es: Northvolt wird seine Batteriefabrik in Dithmarschen bauen. Sind Sie erleichtert?
Ich bin sehr froh, das ist ein Mammutprojekt für Schleswig-Holstein. Um das erste klimaneutrale Industrieland zu werden, sind solche Ansiedlungen zentral, weil sie ein Zukunftsmodell mit guten Arbeitsplätzen verbinden. Der Schlüssel ist hier ausreichend Windenergie.
Aber mehr Energie aus Wind und Sonne führt zu mehr Flächenverbrauch, auch zulasten von Naturschutz – eine Zerreißprobe für die Grünen?
Nicht nur für uns. Wir haben ein Riesendilemma mit Flächenkonkurrenz und -verbrauch, und ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, wie wir das auflösen. Wir brauchen eine neue Diskussion darüber, wie alte Flächen entsiegelt werden.
Die Nordsee soll durch Offshore-Windkraft in ein Giga-Kraftwerk umgewandelt werden. Führt das am Ende zu einem riesigen Industriepark von Sylt bis Brunsbüttel?
Natürlich werden sich an der Nordseeküste mehr Firmen ansiedeln, aber heutige Industriegebiete sehen anders aus als Fabriken mit rauchenden Schornsteinen. Schleswig-Holstein hat das niedrigste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, es besteht Bedarf an Arbeitsplätzen mit gutem Lohn. Das hilft vielen Menschen ganz konkret: Wohlstand schafft Ruhe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut