Bauernprotest wird fortgesetzt: Fährblockierer könnten davonkommen

Die Ermittlungen zur Blockade der Urlaubsfähre von Habeck sind schwierig. Die Polizei nahm keine Personalien auf. Der Bauernprotest geht weiter.

Szene von Protest gegen Habeck am Fährhafen Schlüttsiel

Dutzende Personen bedrängten die Fähre mit Habeck am Fährhafen Schlüttsiel Screenshot: NEWS5/dpa

BERLIN taz | Der Vorfall sorgte für breite politische Empörung. Kanzler Olaf Scholz ließ seinen Sprecher erklären, es sei „beschämend“, dass Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor wenigen Tagen durch eine Blockade protestierender Landwirte in Schlüttsiel (Schleswig-Holstein) daran gehindert wurde, eine Fähre zu verlassen, mit der er gerade aus dem Urlaub zurückkehrte. „Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein.“

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einer „massiven und inakzeptablen Grenzüberschreitung“. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) erklärte, „Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen“. Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erklärte, Protest habe klare Grenzen. Diese seien hier „weit überschritten worden“.

Allerdings: Für die Protestierenden, die Habeck bedrängten, könnte die Aktion folgenlos bleiben. Und damit auch die Frage ungeklärt, inwieweit Rechtsextreme den Protest anstachelten. Denn ein Sprecher der Polizei Flensburg sagte der taz, dass aufgrund der unübersichtlichen Situation am vorherigen Donnerstag keine Personalien von möglichen Straftätern aufgenommen werden konnten.

Bisher keine Tatverdächtigen ermittelt

Auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Flensburg sagte der taz am Montagabend: „Stand heute Abend ist es noch nicht gelungen, einzelne Personen namhaft zu machen, die als Beschuldigte geführt werden können.“ Die Ermittlungen dauerten aber an. Noch am Freitag sei ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nötigung eingeleitet worden, so der Sprecher. Auch weitere Tatbestände wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch würden geprüft.

Unterdessen setzten Bäue­r*in­nen ihre bundesweite Protestwoche am Dienstag fort. So gab es etwa in Sachsen, Hessen oder Baden-Württemberg Blockadeaktionen an Autobahnauffahrten oder Straßenkreuzungen. In anderen Bundesländern gab es Kolonnenfahrten oder Kundgebungen.

Am Montag noch hatten sich zehntausende Landwirte am Protestauftakt beteiligt. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, sprach von rund 100.000 Traktoren, die bundesweit teilgenommen hätten. Die Demos seien „geordnet“ abgelaufen. Auch ein Sprecher des Bundeskriminalamts sagte der taz, der Auftakt sei „westgehend störungsfrei“ gewesen. Rukwied erklärte, der Protest sei ein „deutliches Zeichen in Richtung Bundesregierung, die Steuererhöhungspläne gänzlich zurückzuziehen“.

Die Bundesregierung hatte wegen der Haushaltskrise geplant, die KfZ-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge und einen Steuerrabatt beim Agrardiesel zu streichen. Ersteres hatte die Ampel zuletzt zurückgenommen, die Subvention beim Agrardiesel soll nun schrittweise bis 2026 fallen. Kanzler Olaf Scholz hatte am Montag bekräftigt, trotz der Proteste daran festhalten. „Die Bundesregierung steht dazu.“ Das Vorhaben solle „in sehr kurzer Zeit“ im Bundestag zur Abstimmung kommen.

SPD-Regierungschefs stellen sich gegen die Ampel

Am Montag hatten sich indes auch SPD-MinisterpräsidentInnen in den Ländern gegen die Ampel und auf Seiten der Bauern gestellt und gefordert, die geplanten Kürzungen gänzlich zurückzunehmen. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte am Dienstag, wenn jetzt aus den Reihen der SPD-Regierungschefs gegen den Ampel-Beschluss argumentiert werde, „dann ist das ein Problem, dass die SPD intern bei sich klären sollte, um nicht zur Verunsicherung im Land beizutragen“.

Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) dagegen hat wenig Sympathie für den Protest. Er könne gut verstehen, dass sich die Bauern gegen die ursprünglich geplanten Subventionskürzungen gewandt hätten, sagte er am Dienstag. „Das hätte die Bauern überproportional belastet.“ Bei der Abmilderung habe er den Landwirtschaftsminister auch tatkräftig unterstützt. „Wir haben das besprochen, lange bevor die ersten Traktoren gerollt sind.“ Aber jetzt seien die Belastungen zurückgenommen und da wundere er sich, „dass das die Bauern so gar nicht zur Kenntnis nehmen“.

Baden-Württemberg hatte bereits vergangenes Jahr einen groß angelegten Strategiedialog Landwirtschaft ins Leben gerufen, bei dem Verbraucher, Handel und Landwirte an einem Tisch sitzen und versuchen, Probleme zu lösen. Kretschmann wollte sich noch am Dienstag in einer Sprechstunde zusammen mit Landwirtschaftsminister Özdemir den Fragen der Bevölkerung stellen. Zuvor war Özdemir von einer Brauerei in Aalen zu einem lang geplanten Besuch wieder ausgeladen worden. Am Mittwoch wird sich der Grüne auf einem Landwirtschaftsfest in Ellwangen den organisierten Landwirten stellen.

Kretschmann kann den Zorn der Bauern speziell auf grüne Politiker nicht verstehen. Er selbst habe sich immer in Berlin und vor allem Brüssel für die Belange der Bauern eingesetzt, beteuerte er. Beim Thema Glyphosat auch gegen grüne Überzeugungen, weil es Betriebe gefährden würde. Kretschmann erinnerte aber daran, dass in Deutschland die meiste Zeit CDU-Politiker für Landwirtschaft verantwortlich waren und sich auch die CDU im Dezember noch im Landwirtschaftsausschuss für ein Ende des Steuerprivilegs für landwirtschaftliche Fahrzeuge ausgesprochen habe. „Jetzt rudert die Union zurück“, sagt Kretschmann.

Der Grüne kritisierte auch den polarisierenden Ton mancher Debattenbeiträge scharf. Verschwörungsthesen eines Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, welcher der Ampel unterstellt, den ländlichen Raum planvoll zu ruinieren, liessen ihn erschaudern, sagte Kretschmann. Und nur weil etwas von der Meinungsfreiheit gedeckt sei, müsse man nicht alles machen. Bei allen Nöten, findet Kretschmann: „Die Bauern sollten auch mal nachdenken, bevor sie Galgen aufstellen.“

Regierung lobt Distanzierung von Rechtsextremen

Zu den Bauerprotesten hatten auch Rechtsextreme aufgerufen und in der Dresdner Innenstadt auch eine Kundgebung zu dem Thema abgehalten. Andererorts hatten Schilder an Traktoren oder Banner rechtsextreme Bezüge. Die Innenminister von Sachsen und Brandenburg, Armin Schuster (CDU) und Michael Stübgen (CDU), sahen dennoch keine Unterwanderung des Protests. Beide verwiesen auf Erklärungen des Bauernverbands, die sich von Rechtsextremen distanziert hatten.

Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) dankte dem Bauernverband und anderen Organisator*innen, die sich von einer rechtsextremen Instrumentalisierung distanziert hätten. „Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Die Mehrheit der Landwirte hat damit nichts zu tun.“ Der Protest sei ein demokratisches Recht, dem die Politik zuzuhören habe. „Und das machen wir ja auch.“

Innenministerin Faeser betonte, die Distanzierungen könnten nur ein Anfang sein. Nun müssten die Pro­test­or­ga­ni­sa­to­r*in­nen auch dafür sorgen, dass auf den Kundgebungen keine extremistischen Parolen gebrüllt oder Transparente gezeigt würden. „Nur wenn es eine glasklare und deutlich sichtbare Abgrenzung gibt, können Instrumentalisierungsversuche durch Extremisten nicht verfangen.“

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