Grünen-Duo über seine Kandidatur: „Vielfältiger als unser Ruf“
Ricarda Lang und Omid Nouripour wollen Grünen-Chefs werden. Ein Gespräch über Streit, sozial verträgliche Klimapolitik – und den vermasselten Wahlkampf.
taz: Frau Lang, Herr Nouripour, gibt es in Zukunft endlich wieder Streit an der Grünen-Spitze?
Omid Nouripour: Warum?
Bevor das Traumduo Baerbock und Habeck kam, waren bei den Grünen Konflikte in der Doppelspitze an der Tagesordnung.
Ricarda Lang: Die Geschlossenheit der letzten Jahre war genau das, was uns stark gemacht hat. Klar: Sollten wir gewählt werden, wird es auch mal ruckeln. Es wird Dinge geben, wo wir unterschiedlicher Meinungen sind. Alles andere wäre gruselig in einer lebendigen Partei. Aber am Ende werden wir geschlossen agieren, weil wir es nur alle gemeinsam schaffen, unsere Ziele zu erreichen und den Koalitionsvertrag umzusetzen.
28, ist neues Mitglied im Bundestag, aber bereits seit 2019 stellvertretende Vorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen
Die alte Spitze bestand aus zwei Realos. Nun soll mit Ihnen, Frau Lang, auch wieder eine Vertreterin des linken Flügels in die Parteiführung. Gibt es da nicht automatisch mehr Spannungen?
Lang: Wir kandidieren beide nicht für Teile der Partei, sondern für Bündnis 90/Die Grünen. Zudem wird die Vorstellung, dass sich innerparteiliche Diskussionen einfach nur in zwei Lager unterteilen lassen, den Debatten überhaupt nicht gerecht.
46, sitzt seit 2006 für die Grünen im Bundestag und war zuletzt außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Nouripour: So ist es.
Als es um die Verteilung der Posten in der Regierung ging, waren die Flügel zuletzt aber doch sehr deutlich wahrnehmbar. Anton Hofreiter, der Frontmann der Linken, wurde in letzter Minute ausgebootet. Wie tief sitzt der Stachel?
Nouripour: Es ist ja nicht nur Hofreiter nicht zum Zuge gekommen, sondern auch seine Co-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Das ist so, wenn man mehr gute Leute hat, als Jobs zu vergeben sind. Entscheidend wird sein, dass wir jetzt geschlossen weitermachen. Es gab Verletzungen und wir werden alle miteinander dafür sorgen, dass wir jetzt wieder vertrauensvoll miteinander arbeiten.
Lang: Am Ende sind wir alle Profis. Was wir jetzt politisch erreichen können, steht über individuellen Fragen.
Unabhängig von Flügelfragen: Doppelspitzen sind eine besondere Konstellation, sie bergen immer Risiken. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Nouripour: Ich danke für diese Erfahrungsteilung seitens einer Zeitungsredaktion, die diese Strukturen auch innehat. Wir reden schon jetzt sehr viel miteinander und werden noch mehr miteinander sprechen, sollten wir gewählt werden. Wenn wir dann Meinungsverschiedenheiten haben, werden wir sie gemeinschaftlich lösen. Hinterher rufen wir dann vielleicht auch die taz an.
Gerne schon vorher.
Lang: Den Anruf wird es nicht geben. Da müssen wir jetzt schon enttäuschen.
Baerbock und Habeck hatten ihre Büros in der Parteizentrale zusammengelegt und einen gemeinsamen Büroleiter engagiert. Werden Sie das beibehalten?
Lang: Die Aufstellung des Teams klären wir nach der Wahl. Aber wir werden darauf schauen, dass wir dauerhaft in Kontakt sind. Omid, du bist gerade die oberste Person in meiner Anrufliste. Wahrscheinlich wird sich daran in den nächsten Monaten wenig ändern.
Nouripour: Ich habe diese Anruf-Priorität vorab mit meiner Frau diskutiert und das ist völlig okay.
Wie oft am Tag telefonieren Sie denn miteinander?
Nouripour: Minimum fünf Mal.
Und worüber reden Sie dann?
Lang: Gewählt ist man erst, wenn man gewählt ist. Aber wir müssen uns jetzt schon vorbereiten. Wir sind nach 16 Jahren Opposition in einer komplett neuen Rolle mit neuen Kabinettsmitgliedern, mit einer Fraktion und mit einer Partei, die sich alle neu definieren müssen. Und natürlich besprechen wir jetzt schon, wie wir das angehen wollen.
Frau Lang, Sie betonen, dass Sie erst noch gewählt werden müssen – obwohl es eigentlich keine aussichtsreichen Gegenkandidaturen gibt. Könnten Sie noch über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Sie stolpern, die letzte Woche publik wurden? Als Teil des bisherigen Bundesvorstands hatten Sie sich selbst einen Coronabonus genehmigt. Es steht der Verdacht der Untreue im Raum.
Lang: Der Sachverhalt ist ja bereits länger bekannt und die Boni zurückgezahlt. Nun wird das noch einmal von der Staatsanwaltschaft durchleuchtet, mit der wir selbstverständlich vollumfänglich kooperieren. Und dann, denke ich, wird das Thema auch abgeschlossen.
Sie haben selbst angesprochen, dass sich durch den Regierungseintritt der Grünen etwas verändert. Die Macht hat sich in Richtung der Ministerien verschoben. Wie stellen Sie sicher, dass Sie als Parteivorsitzenden auch noch etwas zu sagen haben?
Lang: Wir werden in Zukunft mehr Machtzentren haben als in der Vergangenheit. Das ist gut so. Ich habe ein Interesse daran, dass wir ein starkes Kabinett haben, dass unsere Leute da gute Arbeit machen. Ich habe auch ein Interesse an einer starken Fraktion. Wir werden alle gemeinsam im Team spielen müssen und die Partei hat dabei eine ganz zentrale Rolle. Sie wird auch über die Legislatur hinausdenken. Und sie isch das Scharnier – oh, jetzt fange ich an, schwäbisch zu reden – zwischen der Regierung und den Mitgliedern.
Sind Sie auch dafür verantwortlich, den Finger in Wunden zu legen und Fehler aufzuarbeiten? Stichwort: Wahlanalyse. Winfried Kretschmann spricht von einer „krachenden Niederlage“, die aufgearbeitet werden muss.
Nouripour: Als Hesse muss ich jetzt erst mal den Dialektwettbewerb aufnehmen und die Antwort ist: Ei, logisch! Wir haben ein historisches Ergebnis, sind aber unter unserem Potenzial geblieben. Alle, die Verantwortung für diesen Wahlkampf getragen haben, stehen bereit, um das zusammen aufzuarbeiten. Es ist bisher nicht passiert, weil niemand dafür Zeit hatte. Wir waren ab dem Wahlabend in der Regierungsbildung. Jetzt wollen wir aber die Lehren ziehen.
Lang: Genau. Es wäre ja auch ziemlich blöd von der Partei, das nicht zu tun. Das Ziel, die führende Kraft der linken Mitte zu werden und das Kanzleramt zu beanspruchen, war richtig und bleibt es auch für 2025. Um dahin zu kommen, müssen wir schauen: Wo müssen wir besser werden? Worauf können wir aufbauen? Wie stellen wir uns auf für die nächsten Jahre?
Sie haben jetzt lauter Fragen gestellt. Haben Sie auch schon Antworten? Was lief aus Ihrer Sicht schief?
Nouripour: Ich habe eine präzise Vorstellung über die Inklusivität des Verfahrens. Deswegen gehe ich hier nicht mit zehn Thesen voran, sondern will erst mal die Erfahrungen breit einsammeln – auch von denen, die ehrenamtlich an vorderster Front an den Wahlkampfständen standen. Am Ende müssen wir einhellig aus allem die Lehren ziehen. Die Struktur der Geschäftsstelle und die der Partei sind ja gebaut worden für eine Partei von 45.000 Mitgliedern. Jetzt sind wir bei 125.000. Das muss alles zusammengedacht werden.
Die Parteizentrale war personell überfordert?
Lang: Unsere Leute haben einen Wahnsinns-Job gemacht und die Partei in kürzester Zeit auf ein vollkommen neues Level gehoben. Das war ein Beschleunigungsprozess, den selten eine Partei in der Form erlebt hat – allein schon, was das Mitgliederwachstum angeht. Jetzt gilt es, das Fundament zu stärken.
In Zukunft sollte also auch jemand Zeit haben, den Lebenslauf der Kandidatin zu prüfen?
Nouripour: Wir können jetzt einzelne Fehler hoch- und runtergehen. Das bringt aber nichts, wir müssen es gebündelt machen und daraus Konsequenzen ziehen. Und um die Folgefrage vorwegzunehmen: Nein, sie war die richtige Kandidatin. Das ist überhaupt keine Frage. Ich habe erfolglos Literaturwissenschaften studiert. Es gibt da ein Genre, das heißt „What-if“-Roman. Das sind meist ganz tolle Bücher, die haben aber keinerlei Mehrwert für Politik.
Haben Sie für die Aufarbeitung denn schon einen genauen Zeitplan?
Nouripour: Das muss der neue Bundesvorstand einheitlich mit den Landesverbänden entscheiden. Wenn ich mir aber eins erlauben darf: Das sollte nach Möglichkeit schon dieses Jahr fertig werden und nicht die nächsten Jahre die gesamte Partei beschäftigen. Das wäre nicht hilfreich und würde langfristig von der politischen Arbeit ablenken.
Nach den Koalitionsverhandlungen waren Teile Ihrer Basis enttäuscht, dass man sich bei wichtigen Fragen nicht durchgesetzt hat. Wie wollen Sie verhindern, dass die Sachzwänge und Kompromisse überhandnehmen und die Zufriedenheit der Basis immer weiter nachlässt?
Lang: Diese hohen Erwartungen sind doch erst mal gut. Aber wir haben in den Koalitionsverhandlungen eben nicht nur auf symbolische Gewinne gesetzt, sondern darauf, die Instrumente zu schaffen, die wir brauchen, um langfristig Erfolge zu erzielen und vor allem endlich Kurs auf den Pfad des Pariser Klimaabkommens zu nehmen. Und das ist uns gelungen.
Das sehen große Teile der Klimabewegung anders. Die meinen, schon das grüne Wahlprogramm habe nicht fürs 1,5-Grad-Ziel gereicht – und der Koalitionsvertrag erst recht nicht.
Lang: Es ist die Aufgabe der Klimabewegung, weiter Druck zu machen. Und wir werden da weiterhin ein offenes Ohr haben. Das ist für mich eine wichtige Aufgabe des Parteivorstands: den Kontakt halten, auch da, wo es Kritik oder Unzufriedenheit gibt. Weiter zusammenzuarbeiten, weil man weiß, dass man ein gemeinsames Ziel hat. Ich kann jedenfalls gut vertreten, dass wir diesen Koalitionsvertrag eingegangen sind. Wir sorgen dafür, dass sich die Klimapolitik als roter Faden durch alle Bereiche zieht.
Und Sie glauben, das überzeugt die Bewegung?
Lang: Mein Eindruck ist, dass die Klimabewegung durchaus die Fortschritte sieht – gerade auch im Vergleich zur Großen Koalition. Wesentlich für den Dialog ist, dass wir ehrlich kommunizieren und nicht jeden Kompromiss schönreden. Sondern klar sagen: Das wollten wir, das haben wir erreicht und das haben wir nicht erreicht. Und dann auch selbstbewusst dazu zu stehen, dass es aus unserer Sicht richtig ist, die Chancen, die wir jetzt haben, auch zu nutzen. Vier weitere Jahre Stillstand können wir uns nicht leisten.
Das heißt, Ihr Job als Parteichefin und Parteichef ist es künftig weniger, die Regierung anzutreiben, als die Basis und die Bewegung zu beschwichtigen?
Nouripour: Nein. Es geht um Kommunikation, darum, ihre Kritik ernst zu nehmen und in die Regierungsarbeit zu tragen. Aber auch zu vermitteln, warum wir bestimmte Kompromisse gemacht haben und was die Perspektive ist.
Während der Klimabewegung alles zu langsam geht, finden viele Menschen, vor allem auf dem Land, die Energiewende zu schnell und zu einseitig: Sie sind es, die Windräder und Strommasten angucken müssen, sie brauchen neue Elektroautos, um zur Arbeit zu pendeln, sie müssen ihre Häuser dämmen. Welche Kritik fürchten Sie mehr?
Lang: Das wird die große Kunst sein, mit beidem umzugehen. Also den Handlungsspielraum zu erweitern und gleichzeitig die Menschen mitzunehmen, die von dieser Politik konkret tangiert werden. Zentral ist, dass die Menschen merken, dass sie von mehr Klimaschutz auch profitieren. Wenn ich den Bürgermeistern in meinem Wahlkreis in der Nähe von Stuttgart, in dem noch wenig Windräder stehen, sagen kann: Ihr bekommt dadurch Geld für eure Schwimmbäder, für die Rathaus-Renovierung, für eine gute wirtschaftliche Anbindung – dann wird die Energiewende zum Gemeinschaftsprojekt, auf das man am Ende stolz ist.
Nouripour: Dazu kommt: Der Ausbau der Erneuerbaren ist der einzige Weg, die Energiepreise runterzubekommen. Denn der Hunger nach fossiler Energie schafft größere Abhängigkeit und höhere Preise.
Im Moment gilt die Energiewende bei den Menschen eher als Grund für die hohen Preise.
Nouripour: Das stimmt aber nicht. Wir haben mit der Abschaffung der EEG-Umlage die größte Energiepreis-Entlastung der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen. Wir wissen, dass wir das Soziale mit dem Ökologischen verbinden müssen – nicht nur, um die Akzeptanz für den Klimaschutz zu erhalten, sondern auch, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Und wir tun noch mehr – vom Heizkostenzuschuss bis zum höheren Mindestlohn.
Parteitag 2022Am 28. und 29. Januar treffen sich die Grünen auf einem digitalen Parteitag. Sie wollen über die Wahl im vergangenen September beraten und einen neuen Bundesvorstand wählen.
Parteivorsitz
Einziger Gegenkandidat von Lang und Nouripour ist Mathias Ilka, Klimaaktivist und Basismitglied. Er bezeichnet sich selbst als „absoluten Außenseiter“ im Wettbewerb um die Parteispitze. Die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner hatte ebenfalls mit einer Kandidatur geliebäugelt, wechselte aber stattdessen als Parlamentarische Staatssekretärin ins Wirtschaftsministerium.
Wahlergebnis Bundestag
Mit 14,8 Prozent haben die Grünen bei den Bundestagswahlen 2021 zwar ihr historisch bestes Ergebnis eingefahren, landeten aber hinter SPD und Union nur auf Platz 3 und verfehlten damit ihr Ziel, die Bundeskanzlerin zu stellen.
Versprochen hatten Sie im Wahlkampf aber etwas anderes: ein Energiegeld, das pro Kopf ausgezahlt wird und die Belastung durch den CO2-Preis komplett ausgleicht. Das hätte jeder bemerkt. Dass jetzt der Strompreis ein bisschen sinkt – oder sogar nur weniger stark steigt –, dürfte dagegen vielen gar nicht auffallen. Verspielen Sie da nicht Ihre Glaubwürdigkeit?
Nouripour: Die Leute, bei denen das Geld knapp ist, schauen schon sehr genau auf ihre Rechnungen. Und die Senkung der EEG-Umlage lässt sich sehr kurzfristig umsetzen.
Lang: Es ist ja nicht so, dass wir von einem Rückerstattungsmechanismus Abstand genommen haben – er findet sich unter dem geeinten Begriff Klimageld im Koalitionsvertrag wieder.
Aber nur als Stichwort ohne Eckpunkte und Zeitplan.
Lang: Das Vorhaben steht und die Regierung wird sich an eine wirkungsvolle Umsetzung machen. Klar ist aber: Am Ende kommt es nicht nur darauf an, ob etwas kommunikativ funktioniert, sondern was wirklich bei den Menschen ankommt. Zusätzlich soll der CO2-Preis beim Heizen gerecht zwischen Mietern und Vermietern aufgeteilt werden und es wird einen Sofortzuschlag für Familien geben, den unsere Familienministerin Anne Spiegel im Moment vorbereitet.
Aber wir dürfen auch nicht Ursache und Wirkung verwechseln: Dass die aktuell hohen Energiepreise oder auch steigende Lebensmittelpreise für manche Menschen ein Problem sind, liegt zunächst mal daran, dass die Menschen zu wenig verdienen und die Grundsicherung zu gering ist. Das ändern wir nicht mit weniger Klimaschutz, sondern mit guter Sozialpolitik.
Aber gerade bei diesem Thema gibt es ein gewisses Misstrauen gegenüber den Grünen.
Nouripour: Es gibt diesen alten Ruf, dass Ökologie etwas Postmaterielles sei. Das war noch nie so absurd wie heute, wo die materiellen Folgeschäden der Klimakrise täglich sichtbar sind, etwa weil wir einen „Jahrhundertsommer“ mit Hitzerekorden nach dem anderen haben.
Lang: Glaubwürdige Sozialpolitik ist für mich ein Kernanliegen. Ich kenne das aus meiner eigenen Geschichte: Ich bin bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, die als Sozialarbeiterin gearbeitet hat. Ich weiß, wie es ist, wenn man 40 Stunden und mehr arbeitet und trotzdem schwer über die Runden kommt. Und ich bin gerade wegen dieser Gerechtigkeitsthemen zu den Grünen gekommen – und dort geblieben.
Aber fühlen Sie sich mit dieser Biografie bei den Grünen, die ja doch eine Mittelschicht-Partei sind, nicht ein bisschen fremd?
Lang: Nein. Wir sind vielfältiger, als unser Ruf vermuten lässt. Ich war in den Koalitionsverhandlungen dabei und kann Ihnen sagen, dass es die Grünen waren, die für höhere Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger gekämpft haben.
Nouripour: Meine Eltern waren obere Mittelschicht im Iran, aber nach der Migration waren sie ganz unten auf der sozialen Leiter. Wir haben jahrelang zu viert in zwei Zimmern gewohnt. Unsere gemeinsame Kandidatur ist eine klare Botschaft, dass wir Politik für alle machen wollen.
Aber die Grünen waren auch diejenigen, die Hartz IV einst eingeführt haben. Warum haben Sie damals mitgemacht, Herr Nouripour?
Nouripour: Weil die Absicht an sich nicht falsch war. Und auch die Dynamisierung des Niedriglohnsektors war grundsätzlich eine richtige Idee. Es ist die Umsetzung, die über die Jahre viele Probleme verschärft hat. Und dann gab es Dinge wie die Zumutbarkeitsregeln, auf die die Union immer bestanden hat, die haben die Situation noch mal verschlimmert.
Schuld waren also nur die anderen?
Nouripour: Nein. Es war eine gut gemeinte Idee, die in der Breite einfach schlecht umgesetzt worden ist.
Lang: Ich bin erst lange nach den Hartz-IV-Beschlüssen bei den Grünen eingetreten – und zwar als ich 18 war und meine Mutter ihren Job im Frauenhaus verloren hat. Das war ein Moment der sehr unmittelbar wahrgenommenen Ungerechtigkeit. Für mich ist darum klar, dass die Hartz-IV-Reformen eine große Hypothek für unsere Partei sind. Aber mit unserem Konzept der Garantiesicherung haben wir gezeigt, wie wir uns ein soziales Sicherheitssystem für die Zukunft vorstellen und Hartz IV überwinden können. Das gehört auch zu einer Partei dazu: Parteien lernen und entwickeln sich weiter.
Wir wollen noch mal zu unserer Einstiegsfrage zurückkommen, ob es in Zukunft wieder mehr Streit in der Grünen-Spitze gibt. Sie haben sich auch in diesem Gespräch mehr ergänzt als widersprochen. Können Sie uns einen Punkt nennen, in dem Sie doch etwas trennt?
Lang: Das größte Konfliktpotenzial gibt es bisher bei der Frage, wie viel Raum Fußball einnehmen sollte. Omid redet sehr gerne über Eintracht Frankfurt.
Bei Baerbock und Habeck traten Konflikte am Schluss auf, als es um die Folgejobs ging. Wo sehen Sie sich in vier Jahren?
Nouripour: Das wichtigste Ziel ist, dass wir durch gute Arbeit in der Regierung, Fraktion und Partei die führende Kraft der linken Mitte werden und die K-Frage erneut stellen können. Jetzt müssen wir aber erst mal vom Parteitag gewählt werden. Dann müssen wir liefern und dann …
… müssen Sie sich einigen, wer von Ihnen kandidiert?
Nouripour: Wofür kandidiert?
Sie haben doch gerade die K-Frage angesprochen.
Nouripour: Meine persönliche K-Frage lautet: Wie werde ich Kapitän bei der Eintracht, ohne die Leistung der Mannschaft zu ruinieren?
Lang: Wir kandidieren als Parteivorsitzende. Die Partei ist weder Sprungbrett noch Wartestand für irgendwas anderes, sondern ein unfassbar spannender Ort in den nächsten Jahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin