Parteitag der Grünen: Ganz oben wirds prekär

Interessant, wie persönliche Armutserfahrungen vom neuen Grünen-Vorstand thematisiert wurden. Aufschlussreich auch, dass es kaum um Boni ging.

Nouripour mit Strauß Blumen, wird beglückwünscht von Muhterem Aras

Farbenfroh ins Amt: Der neue Co-Vorstand Omid Nouripour, hier mit Muhterem Aras Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der neue Grünen-Vorstand hat Ahnung von Armut. Die neue Vorsitzende Ricarda Lang erzählte auf ihrer Bewerbungstour bei jeder Gelegenheit von ihrer alleinerziehenden und zwischendurch arbeitslosen Mutter. Die Eltern ihres Co-Vorsitzenden Omid Nouripour haben nach ihrer Flucht aus dem Iran einen sozialen Abstieg erlebt. Und der neue Parteivize Heiko Knopf aus Jena sprach auf dem Parteitag am Wochenende von seiner Kindheit in der Nachwendezeit, als seine Mutter 50 Bewerbungen pro Woche schrieb und trotzdem höchstens prekäre Jobs fand.

Solche Perspektiven sind weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für engagierte Sozialpolitik; die Geschichte der Bundesrepublik kennt schließlich sowohl Sozialrevolutionäre aus reichem Haus als auch Aufsteiger, die den Sozialstaat zersägt haben. Interessant war aber doch, welchen Raum die Armutserfahrungen rund um die Neuwahl des Vorstands einnahmen. Ob sie in den nächsten Jahren dazu beitragen können, dass die Grünen dort neue Anhängerinnen finden, wo sie bislang kaum punkten – unter Arbeiter*innen, Arbeitslosen und gering Qualifizierten?

Nun, es wird schwierig. Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht in Verteilungsfragen punktuell durchaus Fortschritte vor. Aber nachdem die SPD in Großen Koalitionen jahrelang zusehen musste, wie sozialpolitische Erfolge bei Angela Merkel einzahlten, wird jetzt wohl erst mal sie profitieren.

Mit dem Sozialstaat als Markenkern kann die SPD fast 20 Jahre nach der Agenda-Politik wieder Wahlen gewinnen. Programmatisch bleibt sie nicht hinter Forderungen der Grünen. Und Vorhaben wie die Mindestlohnerhöhung darf der sozialdemokratische Minister für Arbeit und Soziales verkünden. Manchmal, etwa bei der Kindergrundsicherung, wird wohl die grüne Familienministerin Anne Spiegel neben ihm stehen. Zum sozialen Gesicht der Ampel wird sie damit allein aber nicht werden.

Und dann ist da ja auch noch die Klimapolitik, die durchaus den Grünen zugeschrieben wird, das aber oft in Verbindung mit kurzfristig steigenden Preisen. Was Ricarda Lang am Samstag in ihrer Bewerbungsrede sagte, stimmt zwar: Klima- und Sozialpolitik müssen nicht im Widerspruch zueinander stehen. Können sie aber. Der soziale Kompensationsmechanismus namens Klimageld ist im Koalitionsvertrag nur angedeutet.

Die Grünen müssten die SPD im Regierungshandeln und in der Programmatik schon übertrumpfen, um das Gutverdiener-Image hinter sich zu lassen. Das wiederum würde aber bei denen auf Widerstand stoßen, die die Partei in eine andere Richtung vergrößern wollen. „Wir müssen wirtschaftsfreundlich sein“, erinnerte Winfried Kretschmann auf dem Parteitag. Dank seiner Wahlergebnisse steht er dabei nicht ohne Argumente da. Wie gesagt: Es wird schwierig.

Eine notwendige Bedingung gibt es dann aber doch, die vergleichsweise einfach zu erfüllen ist: Nebenverdienste nicht angeben und Boni kassieren – das sollte sich der neue Grünen-Vorstand nicht leisten, wenn er sozialpolitische Glaubwürdigkeit aufbauen will. Auf dem Parteitag war wenig Raum für die Aufarbeitung von Fehlern des letzten Jahres. Wichtiger waren gut inszenierte Abschieds- und Einführungsrituale, weitgehend frei von Selbstkritik. Hinter den Kulissen muss sich der neue Vorstand mit der angekündigten Aufarbeitung aber beeilen.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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