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Grünen-Abgeordnete über Steuerpolitik„Wer mehr als 300 Wohnungen erbt, muss keine Steuer zahlen“

Reiche stärker zu besteuern, sei eine Frage der Gerechtigkeit, sagt Katharina Beck. Was Merz und Söder fordern, hält sie für „Unfug“.

Katharina Beck, MdB, Wirtschaftsexpertin und Sprecherin für Finanzpolitik Foto: Stefan Boness/Ipon
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Die Regierung debattiert über Streichungen beim Bürgergeld und weitere Kürzungen. Ist der deutsche Sozialstaat zu teuer?

Katharina Beck: CDU-Kanzler Friedrich Merz liegt mit seiner Abbau-Rhetorik falsch. Ja, es muss sich etwas ändern, aber anderes. Die Sozialsysteme sind hochbürokratisch, häufig völlig ineffizient, verschiedene Ämter machen Dinge doppelt und dreifach, Familien verzweifeln. Da kann man Geld sparen und als Land besser funktionieren. Es braucht in der Tat Reformen, aber die richtigen, genau wie in der Rente.

taz: Was würden Sie bei der Rente ändern?

Beck: Zum Beispiel war das Generationenkapital in der Ampelregierung eine gute Idee, die die Lage für jüngere Generationen verbessert hätte. Schwarz-Rot macht hier nichts und bleibt einfach bei der reinen Steuer­querfinanzierung – enttäuschend. Riester ist gescheitert, aber die Kapitalmärkte klug zu nutzen, bleibt wichtig gerade bei der privaten Altersvorsorge. Etwa über einen Bürgerfonds oder ein Altersvorsorgedepot.

Im Interview: Katharina Beck

43, ist finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Ihr Wahlkreis ist Hamburg-Nord. Ins Parlament zog sie über die Landesliste ein.

taz: Die derzeitige Koalition hat so viel Geld zur Verfügung wie keine andere Regierung zuvor. Trotzdem kämpft sie schon wieder mit riesigen Löchern in den Bundeshaushalten ab 2027. Wie würden Sie die stopfen?

Beck: Wir richten den Scheinwerfer auf die großen Gerechtigkeitslücken im Steuersystem. Da verliert der Staat jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge. Nehmen Sie zum Beispiel Ausnahmen bei riesigen Erbschaften oder den organisierten Steuerbetrug nach dem CumEx- oder CumCum-Modell.

taz: Wie funktioniert der noch mal?

Beck: Vereinfacht erklärt: Stellen Sie sich vor, Sie haben digital ein Kino-Ticket gekauft. Weil Sie plötzlich verhindert sind, bitten Sie den Kinobetreiber, das Geld zurückzuerstatten, was der freundlicherweise auch tut. Dann schicken Sie die digitale Kopie an diverse Freunde, die sich alle den Preis ebenfalls auszahlen lassen. Das ist Betrug. So ähnlich erstatten Finanzämter bei CumEx einmal entrichtete Steuern an Betrüger, die sie nie gezahlt haben. Bei CumCum kommen noch interna­tio­nale Kniffe hinzu. Der Unterschied zum Kinobetrug: Es geht um viel höhere Beträge und um Geld, das uns allen gehört.

taz: Was wollen sie dagegen tun?

Beck: Immerhin haben wir SPD-Finanzminister Lars Klingbeil schon überzeugt, dass die Belege im Finanzsektor auch nach Ende 2025 weiter länger aufgehoben werden müssen, nämlich zehn Jahre. Dadurch hat man mehr Zeit, verdächtige Fälle zu entdecken. Nun müssen die Betriebsprüfung, die Abteilungen für Wirtschaftskriminalität bei den Staatsanwaltschaften und die Steuerfahndung diese großen Fälle priorisiert angehen und ihre Kapazitäten in diesem Bereich stärken. Der vermutete Schaden allein der CumCum-Steuerhinterziehung beläuft sich auf circa 28,5 Milliarden Euro.

taz: Sie argumentieren, es gebe ungerechte Ausnahmen bei der Besteuerung von Erbschaften und Immobilien. Zum Beispiel?

Beck: Wer mehr als 300 Wohnungen erbt, muss heute keine Steuer zahlen. Diese Regelung hat null Sinn. Es gibt keine plausible Begründung dafür. Die Grenze von 300 Wohnungen muss weg.

taz: Will der Gesetzgeber größere Unternehmen vielleicht nicht durch zu hohe Zahlungen gefährden?

Beck: Ich nehme an, da hat sich eine Lobby durchgesetzt. Warum sollen Erben von 299 Wohnungen Erbschaftsteuer abführen, solche ab 300 aber nicht? Das ist doch verrückt. Übrigens kann die Steuer auch gestundet und in Raten überwiesen werden. Das wollen wir stärken, so bringt sie Erben auch von Betriebsvermögen nicht in Schwierigkeiten. Wohlgemerkt: Das Familienheim zu erben ist steuerfrei, und das soll auch so bleiben. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) behauptet da Unfug. Bei kleineren Erbschaften könnte man die Freibeträge sogar erhöhen, wenn die ungerechten Ausnahmen für sehr große Erbschaften abgeschafft werden.

taz: Sie waren drei Jahre an der Regierung. Punkte wie diesen aber konnten Sie gegen SPD und FDP nicht durchsetzen?

Beck: Leider nein. Anfangs zeigte sich FDP-Finanzminister Christian Lindner offen. Denn steuerliche Ausnahmen kann man auch als Subventionen beschreiben. Sie abzuschaffen, ist keine Steuererhöhung. Später aber drehte sich der Wind.

taz: Der Ruf, Steuern anheben zu wollen, hat den Grünen in der Vergangenheit eher nicht zu Wahlerfolgen verholfen.

Beck: Es geht ja nicht um Steuersatz-Erhöhungen, sondern um die Beseitigung ungerechter Ausnahmen für sehr hohe Vermögen, die selbst in konservativen Kreisen für Kopfschütteln sorgen. In Deutschland zahlt großes Kapital deutlich weniger Steuern und Abgaben als die Mitte. Es handelt sich um eine Aushöhlung des Steuersystems, die wir glattziehen wollen.

taz: Ist Steuergerechtigkeit jetzt so etwas wie die finanzpolitische Hauptforderung der Grünen?

Beck: Gerechtigkeitslücken im Steuersystem zu schließen, ist eines unserer zentralen Anliegen.

taz: Nach dem Ende der Ampel sucht Ihre Partei nach einer neuen Positionierung. Ordnet sich das Thema in den Versuch ein, ein schärferes Mitte-links-Profil zu gewinnen?

Beck: Das betrifft die gesamte Gesellschaft. Mit dem binären Links-rechts-Gegensatz kann ich nicht viel anfangen.

taz: Der grüne Co-Parteivorsitzende Felix Banaszak definierte die Partei kürzlich als Mitte-links.

Beck: Diese Diskussion lenkt uns ab. Von dem, was ich vorschlage, würden der Mittelstand und die Breite der Bevölkerung profitieren. Die Demokratie muss faire Beiträge von allen einfordern. Warum sollten extrem reiche Personen weniger beitragen als die Mitte? Es geht um Gerechtigkeit und darum, gute öffentliche Leistungen wie Kitas, Bildung und Sicherheit für alle anbieten zu können. Dann nimmt hoffentlich auch die Zufriedenheit wieder zu.

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