Greenpeace-Aktivist über russische Haft: „Heute wäre so eine Aktion dumm“
Der Greenpeace-Aktivist Dima Litvinov wollte gegen Gazprom demonstrieren. Er landete im Gefängnis. Hat er die russische Regierung unterschätzt?
taz: Herr Litvinov, vor einem Jahr lief eine von Ihnen geleitete Aktion spektakulär aus dem Ruder: Ihr Boot wurde geentert und beschlagnahmt, Sie und 29 Mitstreiter wurden verhaftet. War die Aktion ein Fehler?
Dima Litvinov: Unsere Kampagne gegen die Ölbohrungen läuft ja schon seit sechs Jahren. Wir hatten geklagt, weil der umstrittenen Bohrinsel „Prirazlomnaya“ die Genehmigungen fehlen und es praktisch keine Maßnahmen gegen eine Ölpest gibt. Das hatte alles keinen Effekt.
Ihre Aktion offenbar auch nicht, denn inzwischen wird dort Öl gefördert. Ist die Kampagne gescheitert?
Wir versuchen, die größte Industrie der Welt, die Ölindustrie, daran zu hindern, in eine Gegend zu gehen, die für sie strategisch sehr wertvoll ist. Zu glauben, dass wir das mit einer einzigen Aktion stoppen können, wäre absurd. Das ist Teil einer viel größeren Kampagne. Russland hat etwas für uns getan: Heute redet man selbst in Südamerika darüber, dass die Ölsuche in der Arktis problematisch ist, denn mit uns saßen auch zwei Argentinier in Russland im Gefängnis. Das Ganze hat auch gezeigt, wozu Ölfirmen und Regierungen fähig sind, um Protest zu stoppen.
Hatten Sie die russische Regierung unterschätzt?
52, ist seit den achtziger Jahren Campaigner bei Greenpeace. Er baute Greenpeace Russland auf, hat zu den Themen Meere, Gentech oder Atomenergie gearbeitet und betreut nun aus Stockholm die Arktis-Kampagne der Organisation. Litinov war verantwortlicher Campaigner für den Protest im Nordmeer im September 2013. Der Widerstand gegen die Obrigkeit hat in seiner Familie Tradition: Sein Vater Pavel Litvinov wurde wegen einer Demo gegen den sowjetischen Einmarsch in Prag 1968 nach Sibirien verbannt, sein Großvater war der russische Dissident Lew Kopelew und sein Urgroßvater, Maxim Litvinov, der erste Außenminister der Sowjetunion, saß unter Josef Stalin im gleichen Gefängnis in St. Petersburg, in dem unter Wladimir Putin sein Urenkel inhaftiert war.
Als wir die gleiche Aktion ein Jahr vorher machten, gab es von den Behörden keine Reaktion. Im Gegenteil: Eines der russischen Küstenwachschiffe hat der Bohrinsel mitgeteilt: Wir können uns nicht einmischen, weil sich das alles außerhalb unserer Hoheitsgewässer abspielt. Es gab keine Anzeichen, dass Russland dabei war, sich in einen Schurkenstaat zu verwandeln. Wenn jemand gesagt hätte, in einem Jahr ist die Krim annektiert und bewaffnete Aufständische werden in die Ukraine geschickt, hätten wir gesagt: Mach dich nicht lächerlich!
Was war 2013 anders?
Es war das dritte Mal, dass ich in diesen Gewässern von der russischen Marine verhaftet wurde. Das erste Mal fuhren wir 1990, mitten ins geheime, total gesperrte Atombombentestgebiet auf Nowaja Semlja. Wir haben jede mögliche Regel verletzt, wurden verhaftet, nach Murmansk gebracht – und nach einer Woche entlassen. 1992 haben wir die Versenkung von Atommüll dokumentiert. Auch da sind wir in verbotenen Gewässern unterwegs gewesen, haben Warnschüsse ignoriert, wurden verhaftet – und freigelassen. 2012: keine Reaktion. Als wir also 2013 planten, wussten wir, das würde angespannter werden, die Pussy-Riot-Leute waren verhaftet worden. Aber wir dachten: Wir sind ja in internationalen Gewässern.
Aktion: Am 18. September 2013 versuchten 30 Greenpeace-Aktivisten, vom Eisbrecher „Arctic Sunrise“ aus die Ölplattform „Priraslomnaja“ des Staatskonzerns Gazprom zu besetzen.
Angriff: Am 19. September stürmten russische Sicherheitskräfte das unter niederländischer Flagge fahrende Schiff, das sich laut Greenpeace in internationalen Gewässern befand. Sie zwangen die Besatzung, den Hafen Murmansk anzusteuern.
Strafandrohung: Am 24. September wurden Verfahren wegen „Seeräuberei“ gegen die Besatzungsmitglieder eröffnet, Höchststrafe: 15 Jahre. Die meisten wurden gegen Kaution freigelassen, das Schiff aber durfte Russland erst Ende Juli 2014 verlassen. (rr)
Wann haben Sie realisiert, dass es diesmal ernst wurde?
Als die Soldaten aus dem Helikopter mit Masken und Gewehren auf unserem Schiff landeten. Sie sahen aus wie Ninja Turtles.
Was war vorher passiert?
Die Küstenwache hatte unsere zwei Kletterer brutal von der Bohrinsel geschüttelt und als Geiseln genommen. Wir hatten die Insel umkreist und ihre Freilassung gefordert. Dann begannen sie, mit ihrer Kanone Salven vor unseren Bug zu schießen: ein kriegerischer Akt russischer Streitkräfte gegen ein Schiff unter niederländischer Flagge.
Wie erlebten Sie das Entern?
Ich saß in der Messe und aß ein Sandwich, da schrie jemand: Ein Helikopter kommt. Als ich rauskam, hing der über uns, wie in einem Kriegsfilm. Sie warfen einen Draht runter, um sich abzuseilen, wir schmissen ihn über Bord. Trotzdem kam der erste Soldat runter, bedrohte uns mit einem Maschinengewehr und schrie rum. Dann kamen seine Kameraden. Ich habe versucht, zu lächeln und freundlich zu sagen: Sie dürfen hier nicht sein, das ist niederländisches Hoheitsgebiet, ohne Visum dürfen Sie nicht hier zu sein, doch es kamen immer mehr. Ich rannte zur Brücke, wurde zu Boden geworfen, schaffte es schließlich hinein. Da rissen die Soldaten alle Kameras und Kommunikationseinrichtungen aus Steckern und Wänden. Dann wurden wir eingesperrt. Die Soldaten tranken all unseren Alkohol, und am nächsten Tag waren viele von ihnen seekrank und hatten einen Kater.
Ihre Besatzung wurde ins Gefängnis gebracht. Was warfen Ihnen die Behörden vor?
Schwere Piraterie. Dafür gibt es mindestens zehn Jahre, das wurde uns immer wieder gesagt.
Wie wurden Sie behandelt?
Nicht sehr gut. Wir wurden getrennt, es war dreckig und sehr kalt, das Essen war schrecklich. Wir hatten das Recht auf 15 Minuten warmes Wasser pro Woche, für Duschen und Kleiderwäsche. Das Schlimmste war die Isolation von den anderen und der Außenwelt und die Unsicherheit: Werden es zwei Monate, ein Jahr oder wirklich zehn Jahre? Und dann denkst du: Das habe ich nicht verdient. Mein Zellennachbar Sascha wurde auch nicht nett behandelt, aber er hat seiner Frau den Schädel eingeschlagen. Und wir? Wir waren in internationalen Gewässern eine Stahlwand hochgeklettert, um ein Transparent hochzuhalten.
Gab es psychischen Druck?
Ja, vom Geheimdienst und vom Gefängnischef. Das war Teil einer Einschüchterungsstrategie: Sie wollten, dass ich ohne Anwalt Aussagen mache, und drohten, mein Leben noch viel härter zu machen. Der Gefängnischef war ein Psychopath oder hat einen gespielt, er hat lange Monologe geführt und zwischen Drohung und Beschwichtigung geschwankt. Das hat mir echt Angst gemacht: So ein Kerl hat totale Macht über dich! Einmal wurde ich für zwei Tage in eine Strafzelle gebracht, ein dreckiges Loch, wie eine öffentliche Toilette.
Wurden Sie auch körperlich misshandelt?
Die Transporte innerhalb von Murmansk waren schrecklich: Die Wächter schüchtern dich ein, du wirst nicht geschlagen, aber rumgeschubst, du bekommst Handschellen, und dann wirst du im Lastwagen in eine Metallbox gequetscht, die ist wie ein enger Spind, wenn deine Beine zu lang sind, kannst du nicht richtig sitzen. Du musst auf die Toilette? Dein Pech. Ich war da nie länger als eine Viertelstunde, aber andere von uns saßen da stundenlang. Das war wirklich übel.
War es die Sache wert?
Wenn ich wüsste, ich bekomme das, was wir erreicht haben, für zwei Monate, natürlich. Aber die Frage ist viel schwerer zu beantworten, wenn du nicht weißt, ob es zehn Jahre bedeutet. Wäre es das wert gewesen, für meine Frau und meine Kinder?
Würden Sie es wieder tun?
Ich kann ja nicht einfach aufhören und die Zukunft des Planeten an Gazprom und Exxon übergeben. Aber heute wären wir sehr dumm und verantwortungslos, wenn wir noch einmal eine solche Aktion in Russland planen würden – vor dem Hintergrund, wie sich die russische Regierung in der Ukraine verhält.
Greenpeace-Aktionen wirken nur dort, wo es freie Presse und Rechtsstaat gibt. Wie gehen Sie mit dem Fehlen von Zivilgesellschaft Russland, Indonesien, China oder Indien um?
Direkte Aktionen sind nicht überall richtig. Auch in den USA bekommst du sehr harte juristische Reaktionen. Aber in einer Kampagne gibt es viele Instrumente. Du suchst dir die effektivsten raus – und die, die kein inakzeptables Risiko beinhalten.
Müssen Aktionsformen in diesen Ländern weicher werden?
Schlauer und flexibler. Wir können nicht überall die gleiche Taktik anwenden. Vor 30 Jahren haben wir in Indonesien noch keine Kampagnen gemacht. In China haben wir zuerst eine Zehn-Sekunden-Aktion auf dem Tiananmen-Platz gemacht, danach war das Land jahrelang für uns gesperrt. Dann haben wir eine Bibliothek mit Umweltvideos eröffnet, dann ein kleines Büro, dann mit Pandas und Eisbären demonstriert, dann gegen eine US-Firma in China. Inzwischen sagen uns manche NGOs, dass wir zu den Vorkämpfern der Demokratisierung gehören. Wir verschieben die Grenzen Millimeter um Millimeter. In Russland nützt oft der Gang zu den Gerichten, weil viele Umweltprobleme gegen Gesetze verstoßen.
Sie loben die russische Justiz? Nach Ihren Erfahrungen?
Die Justiz dort wird von der Politik benutzt. In der Arktis geht es nicht nur um Öl, sondern wir haben Russland als Ausländer auf einem geopolitisch wichtigen Gebiet herausgefordert. Da geht es um Territorium. Die Reaktion war: Leg dich nicht mit uns an! Das ist nicht so anders als das, was in der Ukraine passiert.
Eine schlechte Nachricht für eine Umweltorganisation mit internationalem Aktionsradius?
Ja, eine schlechte Nachricht für die ganze Welt, für Stabilität und Sicherheit. In Kriegsgebieten kann man keine Umweltaktionen machen. Wir gehen nicht zwischen die Kämpfer und rufen: Hört auf zu schießen! oder: Nur über unsere Leichen! Denn dann machen sie darüber weiter. Dieses Opfer werde ich nicht bringen. Und ich werde es auch von niemandem verlangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind