Giorgia Meloni als Mutter der Nation: Girl Boss Fascism

Frauen in rechten Parteien sollen menschenverachtenden Ideologien ein menschelndes Antlitz verleihen. Die Strategie funktioniert hervorragend.

Giorgia Meloni hebt ihre Hand bei einer Rede

Frau oder Faschistin – oder wie hätten Sie es gern? Premierministerin Giorgia Meloni spricht

Im Feminismus ist man sich selten einig. Wie auch? Schließlich treffen im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und Erwartungen aufeinander – und den Feminismus hat es eh noch nie gegeben.

Grundsätzlich ist das kein Problem, Streit und Debatten sind wichtig für gesellschaftlichen Fortschritt. Doch ein gewisser Konsens sollte im gemeinsamen Kampf doch bestehen. Beispielsweise, dass eine politische Überzeugung, die menschenverachtend ist, nicht mehr feministisch sein kann. Doch immer wieder zeigt die Realität, dass es diesen Konsens nicht gibt – zuletzt bei der Wahl in Italien.

Vergangenen Sonntag erlangte das Rechts-Mitte-Bündnis in beiden Parlamentskammern die absolute Mehrheit, die Fratelli d’Italia wurden stärkste Kraft, die rechtsradikale Giorgia Meloni wird wohl Italiens erste Ministerpräsidentin. Kein überraschendes, aber trotz allem ein erschreckendes Ergebnis. Erschreckend deshalb, weil klar ist, dass unter einer demokratisch legitimierten neofaschistischen Regierung Italien ein noch schlechterer und gefährlicherer Ort für migrantische und behinderte Menschen, für Arme und Flüchtende, für Queers und Frauen wird.

Doch vor dieser Gefahr verschließen noch immer einige die Augen. Als die ehemalige US-amerikanische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton Anfang September von einem Journalisten auf Meloni angesprochen wurde, sagte sie: „Jedes Mal, wenn eine Frau an die Spitze eines Staates oder einer Regierung gewählt wird, ist das ein Schritt nach vorne.“

Schwerpunkt Geschlecht

Im besten Fall wusste Clinton bei ihrer Aussage nicht, wer Meloni ist. Doch mit ihrer Annahme, Meloni als Ministerpräsidentin sei ein gesellschaftlicher Fortschritt, ist sie nicht allein. Unzählige Überschriften internationaler und nationaler Medien legten am Anfang der Woche ihren Schwerpunkt auf das Geschlecht Melonis statt auf ihre politische Gesinnung.

Der Nachrichtendienst Reuters schrieb: „Die Nationalistin Meloni will Italiens gläserne Decke eingeschlagen.“ Eine Metapher dafür, dass Frauen nicht in Führungspositionen aufsteigen.Und auch Politico nutzt das Narrativ der Frau, die sich gegen alle Widerstände durchgesetzt hat. Meloni als Girl Boss. Auf Spiegel.de schreibt Anna Clauß unter der Überschrift „Die neue starke Frau“ zwar, dass sie sich nicht über den Wahlsieg Melonis freut, kommt aber zu dem Schluss, dass die es als Frau vielleicht besser machen werde. Sie schreibt, dass Meloni eine Vertrauenskrise in Italien verhindern müsse und weiter: „Wer weiß, vielleicht ist eine Frau – auch wenn es eine zuweilen aggressiv auftretende Populistin ist – besser dafür geeignet als ein Mann.“ Wieso eine Frau dazu besser geeignet sei, bleibt in dem Text offen.

Die Liste ließe sich noch verlängern. Einen feministischen Erfolg sieht so konkret kaum ei­ne*r in Melonis Wahlsieg, doch oft wird im Sieg der Neofaschistin ein gesellschaftlicher Fortschritt statt einer Bedrohung gesehen – und das ist brandgefährlich.

Wahr ist, dass nur ein Bruchteil der Staats- und Re­gie­rungs­che­f*in­nen weiblich ist. Und wahr ist auch, dass Repräsentation eine hohe Relevanz hat. Doch Repräsentation ist eben nicht alles. Gerade in der Politik ist es deutlich relevanter, wie queer- und frauenfreundlich eine Politik ist. Dass Meloni von vielen aber gar nicht als Bedrohung wahrgenommen wird, ist ein Gewinn für sie. Und zwar einer, der auch etwas mit ihrem Geschlecht zu tun hat. Denken wir an Rechtsradikale, ist bei vielen im Kopf noch immer das Bild eines bulligen Mannes mit Glatze und Springerstiefeln.

Beate Zschäpe – schon vergessen?

Und das kommt nicht von ungefähr: Lange Zeit waren Frauen in extrem rechten Sphären eher unsichtbar. Die Frau steht dort hierarchisch unter dem Mann, im völkischen Bild dominiert die Vorstellung einer Frau, die zu Hause bleibt, um sich um Haushalt und Familie zu kümmern. Dieser Zustand hat sich in den vergangenen Jahren in mancherlei Hinsicht verändert. Dass auch Frauen Neonazis sein können, sollte spätestens seit Beate Zschäpe klar sein – auch sie wurde lange von Behörden und Medien unterschätzt.

Mittlerweile sind Frauen in rechtsextremen Bewegungen sichtbarer, in sozialen Medien zeigen sich rechte Frauen öffentlichkeitswirksam, inszenieren sich als fürsorgliche Mütter der Bewegung mit nationalistischen Symbolen, proklamieren Heimatschutz und hassen die von ihnen ernannten „Feinde des Volkes“. Und auch in rechten und rechtsextremen Parteien drängen sie nach oben: So ist es kein Wunder, dass neben Meloni Frauen wie Marine Le Pen (Rassemblement National) in Frankreich und Alice Weidel (AfD) in Deutschland an der Spitze ihrer Partei stehen.

Doch wie kommt das? Auch rechtsextreme Parteien sind in der Moderne angekommen, der Kampf für Gleichstellung treibt auch dort seine Blüten. Den Widerspruch, dass eine Frau in einer Spitzenposition ein rückwärtsgewandtes Frauenbild ohne körperliche Selbstbestimmung propagiert, wissen die Rechten für sich zu nutzen. Sie suggerieren Gleichstellung, obwohl ihre Politik misogyn und queerfeindlich ist. So wollen sie zeigen, dass linker Feminismus mit seinen Quoten und dem „Gender-Gaga“ übertrieben und unnütz sei. Ihre Frauen seien ja der lebende Beweis dafür, dass man scheinbar auch ohne politisch-emanzipatorische Werkzeuge gleichzeitig Mutter und Spitzenpolitikerin sein kann.

Mutterschaft ist dabei ein wichtiger Aspekt. Meloni hatte sich im Wahlkampf stets als fürsorgliche Mutter inszeniert, die die Nöte und Sorgen der Mütter der Nation kenne. Daraus zog sie zwar keine politischen Konsequenzen – doch sie pochte auf „Solidarität unter Mamas“.

Rassistische Inhalte

Immer wieder widmen sich Meloni und Co sogenannten Frauenthemen, wie dem Schutz von Frauen. Doch in der Regel werden diese Narrative lediglich dazu genutzt, um trans- und queerfeindliche sowie rassistische Inhalte zu propagieren. Ein Beispiel dafür ist das Video einer Vergewaltigung auf offener Straße, das Meloni im Wahlkampf im Netz weiterverbreitet hatte. Ihr ging es dabei nicht um fehlende Schutzräume für Frauen, sondern lediglich darum, das Bild des „kriminellen Ausländers“ zu pushen.

Und obwohl die Aktionen von Meloni, Le Pen und Weidel häufig so einfach zu durchschauen sind, profitieren sie noch immer von dem Stereotyp, dass Frauen bessere und friedfertigere Menschen seien als Männer. Sie sollen der menschenverachtenden Ideologie ein freundliches Gesicht geben. Und die Berichterstattung zur Wahl in Italien zeigt: Es gelingt ihnen. Wenn Medien sich in ihrer Berichterstattung darauf konzentrieren, wie gläserne Decken durchbrochen und Männerbünde hinter sich gelassen werden, fallen sie auf die Erzählung der Politikerinnen rein.

Doch das sollte in einer demokratischen Gesellschaft nicht passieren. Fe­mi­nis­t*in­nen sollten sich darauf einigen, dass Neofaschismus und rechtsradikale Ideologien niemals mit dem Wunsch nach Gleichberechtigung vereinbar sind, sondern immer eine Gefahr sind, die es zu bekämpfen gilt.

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