Getir und Gorillas verlassen Deutschland: Koof doch einfach selber ein!
Die Lieferdienste Getir und Gorillas stehen vor dem Aus. Ein Abgesang auf ein sinnloses Geschäftsmodell auf dem Rücken migrantischer Arbeitskräfte.
K aum hatte das EU-Parlament für bessere Rechte für Beschäftigte bei Lieferdiensten gestimmt, kam prompt die Nachricht vom Aus für Getir und Gorillas in Europa: Anderthalb Jahre nach der milliardenschweren Übernahme des wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen in die Kritik geratenen Bringdienstes Gorillas, zieht sich Getir aus Deutschland zurück, steht möglicherweise sogar komplett vor dem Aus, vermeldete Business Insider am Mittwochnachmittag. Getir wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern.
Betroffen wären am Ende vor allem die etwa 1.400 Beschäftigten in Deutschland, die sich größtenteils in Berlin im Dienste der Dekadenz der Wohlstandsgesellschaft für einen Hungerlohn abstrampeln.
Es ist das erwartbare Ende eines Geschäftsmodells, das nicht nur niemals erfolgreich sein konnte, sondern auch gar nicht sein musste. Eines Geschäftes, das rein auf Spekulation beruht und im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Rücken der Arbeiter*innen Millionengewinne für Investor*innen generierte.
Dass die Bringdienste, die für einen (zu) geringen Aufpreis Supermarkt-Lebensmittel zu ihren meist jungen Kund*innen in urbanen Zentren nach Hause liefern, eigentlich keine*r braucht, interessierte dabei wenig. Es ging nie um eine sinnvolle Versorgung von alten oder körperlich eingeschränkten Menschen – das war weder die Zielgruppe, noch waren die Lieferdienste in abgelegenen Gegenden mit schlechter Versorgungsstruktur verfügbar.
Trotzdem entwickelte sich die Berliner Firma Gorillas, die dieses Modell vor vier Jahren begründete, schnell zum Vorzeige-Jungunternehmen. Nie zuvor war ein deutsches Start-Up so schnell so wertvoll.
Prekäre Arbeitsbedingungen und Union Busting
In Bezug auf Arbeiter*innenrechte und Union Busting entwickelte sich das derart gehypte Start-Up schnell zum leuchtenden Negativ-Beispiel. Mangelhafte Ausstattung mit wetterfester Arbeitskleidung und verkehrstauglichen Fahrrädern, zu schwere Rucksäcke, ausbleibende Zahlungen, prekärer Lohn, Vertragsbrüche – die Vorwürfe der Rider nahmen kein Ende.
Doch jeglicher Versuch, sich gewerkschaftlich zu organisieren, wurde gnadenlos vor Gericht gezerrt. Meist ohne Erfolg, doch es entstand der Eindruck einkalkulierter Rechtsbrüche. Nach dem Motto: Es ist profitabler im Nachhinein zu zahlen, als von vornherein für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Zumal die meist migrantischen Kurierfahrer*innen sich entweder nicht trauten, gegen die Verstöße vorzugehen, weil ihr Visum von ihrem Arbeitsverhältnis abhängig war, oder sich mit deutschen Arbeitnehmer*innenrechten nicht auskannten.
Ein Geschäftsmodell, das schnell Schule machte: Getir, Flink, Volt, Gorillas, Dropp und viele andere lieferten sich in der Stadt eine gnadenlose Schlacht um Marktanteile. Und das, obwohl in keinem Moment Profit generiert wurde. Im Gegenteil: Laut Recherchen von Panorama und Süddeutscher Zeitung machte Gorillas bei einer Durchschnittsbestellung von 27,20 Euro unterm Strich ein Minus von 5,30 Euro.
Denn das Versprechen, für eine Pauschale von 1,80 Euro in wenigen Minuten zur Haustür zu liefern, ist laut Ökonomen überhaupt nicht gewinnbringend umzusetzen. Da es sich im Gegensatz zu Lieferando nicht um reine Vermittlerdienste handelt und Kosten für Lager und Waren anfallen, müssten die Liefergebühren eher bei fünf bis sechs Euro liegen, um profitabel zu sein – und das sind die Kund*innen nicht bereit zu bezahlen.
Den letzten beißen die Hunde
Die Investoren schien das nicht zu interessieren. Auch nicht, als die Nachfrage nach dem Lockdown wieder abebbte und steigende Kosten das Geschäft noch unprofitabler machten. Warum auch, es war eine Spekulationsblase mit System: In Zeiten niedriger Zinsen waren die Lieferdienste als Risikoinvestment interessant. Die Anteile an den Firmen wurden von einem Investor zum nächsten weitergereicht. Die Preise orientieren sich dabei an Wachstumsraten, nicht an reellen Einnahmen.
Je mehr Kund*innen, desto wertvoller das Unternehmen. Ob am Ende Gewinn gemacht wurde, war letztlich egal. Dabei wurde mit jeder zusätzlichen Bestellung auch mehr Geld verbrannt. Zwischenzeitlich lagen die Verluste bei über 50 Millionen Euro im Monat.
Doch wie heißt es so schön: Den letzten beißen die Hunde. Und dieser letzte ist Getir, das sich nach der Übernahme seines Konkurrenten Gorillas auf dem Berliner Markt durchsetzte. Dass trotzdem weiterhin sowohl Getir- als auch Gorillas-Rider auf den Straßen zu sehen waren, war am Ende wohl Teil des Problems.
Der Großaktionär des zeitweise mit zwölf Milliarden Dollar bewerteten Unternehmens, ein Staatsfonds aus Abu Dhabi, soll laut Business Insider die Geduld mit dem Management verloren haben, weil dieses bislang kein tragfähiges Geschäftsmodell auf die Beine gestellt habe. Dazu gehört auch, dass Getir und Gorillas nicht zu einer Marke verschmolzen wurden, um Kosten zu sparen.
Den einzigen Mehrwert schufen die Arbeiter*innen
Der Aktionär dürfte den Verlust verkraften können. Bei den Hunderten Ridern aus Berlin sieht das anders aus: Nachdem Getir im Sommer 2023 bereits rund 2.500 Stellen gestrichen hatte, stehen jetzt auch die verbliebenen Fahrer*innen vor dem Nichts.
Cansel Kiziltepe, Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeit
Die Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeit, Cansel Kiziltepe, die in Berlin auch Senatorin für Arbeit und Soziales ist, verlangte am Donnerstag die Vorlage eines Sozialplans. „Ich fordere die Geschäftsführungen auf, unverzüglich Verhandlungen mit den Betriebsräten aufzunehmen. Getir und Gorillas sind dies den überwiegend migrantischen Beschäftigen schuldig“, so Kiziltepe zur taz.
Schließlich waren es die Rider, die in den vergangenen vier Jahren die Fahne hoch gehalten haben: Allen Widrigkeiten zum Trotz organisierten sie sich auch ohne die Unterstützung von Gewerkschaften gegen ihre Ausbeutung. Und entfachten mit dem ersten wilden Streik in Deutschland seit Jahrzehnten eine Diskussion um politische Streiks und das in Deutschland herrschende Streikrecht aus der NS-Zeit. Im Gegensatz zu den Bringdiensten schufen sie so einen wirklichen Mehrwert für diese Gesellschaft.
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