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Getir und Gorillas verlassen DeutschlandKoof doch einfach selber ein!

Marie Frank
Essay von Marie Frank

Die Lieferdienste Getir und Gorillas stehen vor dem Aus. Ein Abgesang auf ein sinnloses Geschäftsmodell auf dem Rücken migrantischer Arbeitskräfte.

Die Rider von Gorillas & Co waren von Anfang an die Verlierer dieses Systems Foto: Joerg Boethling/imago

K aum hatte das EU-Parlament für bessere Rechte für Beschäftigte bei Lieferdiensten gestimmt, kam prompt die Nachricht vom Aus für Getir und Gorillas in Europa: Anderthalb Jahre nach der milliardenschweren Übernahme des wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen in die Kritik geratenen Bringdienstes Gorillas, zieht sich Getir aus Deutschland zurück, steht möglicherweise sogar komplett vor dem Aus, vermeldete Business Insider am Mittwochnachmittag. Getir wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern.

Betroffen wären am Ende vor allem die etwa 1.400 Beschäftigten in Deutschland, die sich größtenteils in Berlin im Dienste der Dekadenz der Wohlstandsgesellschaft für einen Hungerlohn abstrampeln.

Es ist das erwartbare Ende eines Geschäfts, das rein auf Spekulation beruht und nie erfolgreich sein konnte

Es ist das erwartbare Ende eines Geschäftsmodells, das nicht nur niemals erfolgreich sein konnte, sondern auch gar nicht sein musste. Eines Geschäftes, das rein auf Spekulation beruht und im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Rücken der Ar­bei­te­r*in­nen Millionengewinne für In­ves­to­r*in­nen generierte.

Dass die Bringdienste, die für einen (zu) geringen Aufpreis Supermarkt-Lebensmittel zu ihren meist jungen Kun­d*in­nen in urbanen Zentren nach Hause liefern, eigentlich kei­ne*r braucht, interessierte dabei wenig. Es ging nie um eine sinnvolle Versorgung von alten oder körperlich eingeschränkten Menschen – das war weder die Zielgruppe, noch waren die Lieferdienste in abgelegenen Gegenden mit schlechter Versorgungsstruktur verfügbar.

Trotzdem entwickelte sich die Berliner Firma Gorillas, die dieses Modell vor vier Jahren begründete, schnell zum Vorzeige-Jungunternehmen. Nie zuvor war ein deutsches Start-Up so schnell so wertvoll.

Prekäre Arbeitsbedingungen und Union Busting

In Bezug auf Ar­bei­te­r*in­nen­rech­te und Union Busting entwickelte sich das derart gehypte Start-Up schnell zum leuchtenden Negativ-Beispiel. Mangelhafte Ausstattung mit wetterfester Arbeitskleidung und verkehrstauglichen Fahrrädern, zu schwere Rucksäcke, ausbleibende Zahlungen, prekärer Lohn, Vertragsbrüche – die Vorwürfe der Rider nahmen kein Ende.

Doch jeglicher Versuch, sich gewerkschaftlich zu organisieren, wurde gnadenlos vor Gericht gezerrt. Meist ohne Erfolg, doch es entstand der Eindruck einkalkulierter Rechtsbrüche. Nach dem Motto: Es ist profitabler im Nachhinein zu zahlen, als von vornherein für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Zumal die meist migrantischen Ku­rier­fah­re­r*in­nen sich entweder nicht trauten, gegen die Verstöße vorzugehen, weil ihr Visum von ihrem Arbeitsverhältnis abhängig war, oder sich mit deutschen Ar­beit­neh­me­r*in­nen­rech­ten nicht auskannten.

Ein Geschäftsmodell, das schnell Schule machte: Getir, Flink, Volt, Gorillas, Dropp und viele andere lieferten sich in der Stadt eine gnadenlose Schlacht um Marktanteile. Und das, obwohl in keinem Moment Profit generiert wurde. Im Gegenteil: Laut Recherchen von Panorama und Süddeutscher Zeitung machte Gorillas bei einer Durchschnittsbestellung von 27,20 Euro unterm Strich ein Minus von 5,30 Euro.

Denn das Versprechen, für eine Pauschale von 1,80 Euro in wenigen Minuten zur Haustür zu liefern, ist laut Ökonomen überhaupt nicht gewinnbringend umzusetzen. Da es sich im Gegensatz zu Lieferando nicht um reine Vermittlerdienste handelt und Kosten für Lager und Waren anfallen, müssten die Liefergebühren eher bei fünf bis sechs Euro liegen, um profitabel zu sein – und das sind die Kun­d*in­nen nicht bereit zu bezahlen.

Den letzten beißen die Hunde

Die Investoren schien das nicht zu interessieren. Auch nicht, als die Nachfrage nach dem Lockdown wieder abebbte und steigende Kosten das Geschäft noch unprofitabler machten. Warum auch, es war eine Spekulationsblase mit System: In Zeiten niedriger Zinsen waren die Lieferdienste als Risikoinvestment interessant. Die Anteile an den Firmen wurden von einem Investor zum nächsten weitergereicht. Die Preise orientieren sich dabei an Wachstumsraten, nicht an reellen Einnahmen.

Je mehr Kund*innen, desto wertvoller das Unternehmen. Ob am Ende Gewinn gemacht wurde, war letztlich egal. Dabei wurde mit jeder zusätzlichen Bestellung auch mehr Geld verbrannt. Zwischenzeitlich lagen die Verluste bei über 50 Millionen Euro im Monat.

Doch wie heißt es so schön: Den letzten beißen die Hunde. Und dieser letzte ist Getir, das sich nach der Übernahme seines Konkurrenten Gorillas auf dem Berliner Markt durchsetzte. Dass trotzdem weiterhin sowohl Getir- als auch Gorillas-Rider auf den Straßen zu sehen waren, war am Ende wohl Teil des Problems.

Der Großaktionär des zeitweise mit zwölf Milliarden Dollar bewerteten Unternehmens, ein Staatsfonds aus Abu Dhabi, soll laut Business Insider die Geduld mit dem Management verloren haben, weil dieses bislang kein tragfähiges Geschäftsmodell auf die Beine gestellt habe. Dazu gehört auch, dass Getir und Gorillas nicht zu einer Marke verschmolzen wurden, um Kosten zu sparen.

Den einzigen Mehrwert schufen die Ar­bei­te­r*in­nen

Der Aktionär dürfte den Verlust verkraften können. Bei den Hunderten Ridern aus Berlin sieht das anders aus: Nachdem Getir im Sommer 2023 bereits rund 2.500 Stellen gestrichen hatte, stehen jetzt auch die verbliebenen Fah­re­r*in­nen vor dem Nichts.

Ich fordere die Geschäftsführungen auf, unverzüglich Verhandlungen mit den Betriebsräten aufzunehmen

Cansel Kiziltepe, Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeit

Die Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeit, Cansel Kiziltepe, die in Berlin auch Senatorin für Arbeit und Soziales ist, verlangte am Donnerstag die Vorlage eines Sozialplans. „Ich fordere die Geschäftsführungen auf, unverzüglich Verhandlungen mit den Betriebsräten aufzunehmen. Getir und Gorillas sind dies den überwiegend migrantischen Beschäftigen schuldig“, so Kiziltepe zur taz.

Schließlich waren es die Rider, die in den vergangenen vier Jahren die Fahne hoch gehalten haben: Allen Widrigkeiten zum Trotz organisierten sie sich auch ohne die Unterstützung von Gewerkschaften gegen ihre Ausbeutung. Und entfachten mit dem ersten wilden Streik in Deutschland seit Jahrzehnten eine Diskussion um politische Streiks und das in Deutschland herrschende Streikrecht aus der NS-Zeit. Im Gegensatz zu den Bringdiensten schufen sie so einen wirklichen Mehrwert für diese Gesellschaft.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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10 Kommentare

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  • Im Prinzip sind Lieferdienste ja durchaus manchmal sinnvoll, aber so sicherlich nicht.

  • Zum Glück liefert "Flink" bei uns in Hamburg weiterhin.

    • @Tom Tailor:

      In Freiburg ist Flink verschwunden. Aber alle Fahrer mit denen ich sprach waren über die Arbeitsbedingungen sehr zufrieden, angeblich gab es 20€ Stundenlohn.

    • @Tom Tailor:

      Ja. Dienstbare Geister, die für ein Handgeld die eigene Faulheit unterstützen, sind doch was schönes 😉

  • Gut so, braucht's wirklich nicht.

    Und bei aller berechtigter Kapitalismuskritik: am Schluss war es dann doch 'der Markt', der dem ganzen ein Ende gesetzt hat. Hätte nur früher sein sollen.

    Dass das noch so lange gelaufen ist lag wohl an den irreal niedrigen (negativen) Zinsen, die viele Bonanza Business Cases möglich gemacht haben.

  • Auch bei uns im Haus (Kreuzberg) bestellen eher junge Leute regelmäßig bei diesen Ausbeuterfirmen.



    Der Abfall landet dann unsortiert komplett im Papiermüll.



    Ich frage mich schon, warum man als junger Mensch, der in Laufdistanz diverse Supermärkte und andere Läden hat, regelmäßig auf sowas zurückgreift. Ist das Dekadenz, Ignoranz oder eben Nach-mir-die Sintflut-Mentalität?

  • Sind die Kuriere, sorry, Rider nun endlich befreit aus einem ausbeuterischen Arbeitsverhältniss oder verlieren sie auf tragische Weise ihre Existenzgrundlage?

    Haben sich hier die Investoren ein goldenes Näschen verdient oder haben die Unternehmen bis zu 50 Mio Verlust im Monat gemacht (und schließen nun den Laden)?

    Ich kann mir nicht vorstellen, wie jeweils beides gleichzeitig zutreffen kann. Lasse mich aber wirklich gerne aufklären.

    • @rs1000:

      "Haben sich hier die Investoren ein goldenes Näschen verdient..."

      Den letzten Investor beißen die Hunde.

      Das Unternehmen wurde aber zu einem absurden Preis verkauft. Und dabei wurde tatsächlich eine goldene Nase verdient.

      Das ist genau das Geschäftsmodell vieler "Startups". Etwas gründen, einen Hype erzeugen und dann schnell verkaufen, bevor rauskommt, dass die Idee nichts taugt.

  • "...müssten die Liefergebühren eher bei fünf bis sechs Euro liegen, um profitabel zu sein – und das sind die Kun­d*in­nen nicht bereit zu bezahlen."

    Das sagt viel über Kunden und unsere Gesellschaft aus. Viel zu viel wolle haben, ohne bereit zu sein, auch den wahren Preis zu zahlen.

  • Und jetzt nur noch Amazon zum Zahlen von Steuern zwingen, dann löst sich dieses ausbeuterische System auch endlich auf.