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Gesundheit im GazastreifenMüll – die stille Bedrohung

Die hygienische Lage im Gazastreifen ist katastrophal. Besonders unter Kindern breiten sich Infektionskrankheiten aus.

Sorgt sich um die Gesundheit ihrer Kinder: Fatma Muhammad in Deir al-Balah Foto: Abdel Qadr Hassouna

KAIRO/DEIR AL-BALAH taz | Am Strand von Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen bereitet Fatma Muhammad eine Mahlzeit für ihre Familie, in einem rostigen Topf auf offenem Feuer. Neben ihrem Zeltlager hat sich ein Müllberg aufgetürmt. Weil der Abfall nicht abgeholt wird, wächst der Berg jeden Tag weiter in den Himmel. Dort kreist hörbar eine israelische Drohne.

Der Gestank sei kaum auszuhalten, sagt Fatma Muhammad. „Mit dem Wenigen, das ich zu Verfügung habe, koche ich, und dann essen wir in dem Gestank und die Fliegen setzen sich aufs Essen“, erzählt sie. „Neben der Angst vor dem Krieg und der Angst zu sterben werden jetzt die Kinder auch noch wegen des Mülls krank“.

Denkt man an Krieg, dann denkt man zunächst an Tote, Verletzte und zerstörte Häuser. Aber Krieg ist auch eine hygienische Katastrophe. Fatma Muhammad gehört zu der rund einen Million Menschen, die nach UN-Angaben wegen der israelischen Offensive im südlichen Gazastreifen aus Rafah in den mittleren Gazastreifen geflüchtet sind. Die meisten von ihnen leben am Strand in improvisierten Verschlägen und Zelten.

Weil es weder Infrastruktur für so viele Menschen noch irgendwelche kommunalen Dienstleistungen gibt, herrschen furchtbare hygienische Verhältnisse. Neben den Müllbergen entstehen immer mehr Abwasser-Seen, Kinder spielen rund um stinkende Kloaken. Eine ihrer Beschäftigungen ist es, das Abwasser mit Steinwürfen zum Platschen zu bringen. Mitten durch die Zeltlager fließen offene Rinnsale.

Vor dem Al-Aksa-Krankenhaus, dem letzten großen Spital im zentralen Gazastreifen, das noch halbwegs funktioniert, schaufeln Arbeiter Müll in Container. Blutige Beutel mit Infusionen quellen heraus, im Container liegen Spritzen und alte Mullbinden, über die bereits Maden krabbeln. Und überall sind Fliegen. „Wir haben immer wieder versucht, mit der Verwaltung darüber zu sprechen. Wir riskieren hier unser Leben“, beschwert sich Mahmud al-Degran, einer der Arbeiter.

Drinnen im Krankenhaus würden nicht mehr nur Kriegsverletzte eingeliefert, sondern auch immer mehr Menschen mit Krankheiten, die auf die hygienischen Verhältnisse zurückzuführen seien, sagt der Arzt Muhammad Qandil. „Infektiöse Krankheiten verbreiten sich immer mehr. Hautkrankheiten wie Krätze oder Darminfektionen gerade bei Kindern.“

Viele Mülllaster sind zerstört

Das Hilfswerk UNRWA, die UN-Organisation, die für palästinensische Flüchtlinge zuständig ist und im Gazastreifen in normalen Zeiten auch die Müllabfuhr organisiert, ist praktisch handlungsunfähig. Im Mai warnte sie vor schweren gesundheitlichen Auswirkungen für die Menschen. „Wohin man auch schaut, sieht man einen Abfallhaufen“, schrieb die Organisation auf X.

„Uns wurde von israelischer Seite wiederholt der Zugang zu den Mülldeponien verwehrt“, sagt die UNRWA-Sprecherin Louise Watridge per Telefon gegenüber der taz. Watridge ist gerade nach London zurückgekehrt, bis vor wenigen Tagen war sie im Gazastreifen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Fast täglich, sagt sie, frage man bei den israelischen Behörden an, ob der Müll abgeholt und zu den entlegenen Deponien gebracht werden könne, zu denen auch israelische Checkpoints überquert werden müssten. Aber das werde immer wieder verweigert.

„Dazu kommt, dass viele der Mülllaster zerstört oder beschädigt sind. Und wir bekommen keine Ersatzteile, um sie zu reparieren.“ Ähnliches gelte für zerstörte und beschädigte Abwassersysteme. An manchen Orten sei es zu gefährlich, überhaupt an die Reparatur der Systeme zu denken. Ein weiteres Problem sei der fehlende Treibstoff, der für die Abwasserpumpen benötigt werde.

Verschärft wird die Lage durch die steigenden Temperaturen. „Moskitos, Ratten und Mäuse leben zwischen den Müllbergen und den Zelten und Verschlägen und verbreiten Krankheiten“, sagt Watridge. Anders als die täglichen Luftangriffe und das Artillerie-Feuer ist die Müllkrise im Gazastreifen eine stille Bedrohung. Die Menschen atmen die Krankheiten ein, trinken und essen die Erreger, jeden Tag.

Anmerkung: Dieser Text basiert in Teilen auf Material eines vom Autor beauftragten Kameramanns im Gazastreifen.

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Das Hilfswerk UNRWA, die UN-Organisation, die für palästinensische Flüchtlinge zuständig ist und im Gazastreifen in normalen Zeiten auch die Müllabfuhr organisiert, ist praktisch handlungsunfähig."

    In diesem Satz wird doch ein Kernproblem deutlich. Warum ist eine UN Organisation für die Müllabfuhr zuständig? Warum konnte das nicht die letzten 20 Jahre von den Bewohnern von Gaza selbst organisiert werden? Können die das nicht? Wollen sie nicht? Immerhin haben sie es geschafft, ganz Gaza zu untertunneln und tausende von Raketen zu bauen. Aber Müll entsorgen muss eine UN Organisation? Und die UN machen diesen Schwachsinn auch noch mit?

    • @BrendanB:

      Den Elephant im Raum ignorieren Sie natürlich; man kann den Palästinensern kaum einen eigenen Staat verweigern und ihnen im Gegenzug dysfuntionale Staatlichkeit vorwerfen. Sie müssen Ihre Kritik also zumindest auch an die israelische Regierung und ihre Besatzungspolitik richten (und falls Sie nun einwenden, Gaza wäre nicht besetzt gewesen: recherchieren Sie einmal, was das AA dazu sagt...).

      • @O.F.:

        Natürlich können wir das. Seit 17 Jahren hat Hamas bessere Möglichkeiten gehabt eigene Infrastruktur aufzubauen als viele Länder des Südens und hat dies nicht genutzt. Tunnel für Kader und Terror, statt Schutzbunker, Kanäle, Wasserversorgung und Müllabfuhr.

        Alles Dinge die der Wirtschaft gut tun würden und Arbeitslosigkeit verringern würden. Eine UN Organisation sollte das nicht machen. Eine UN sollte allerdings die Hamas anklagen, dass sie einen Angriffskrieg begonnen hat und die PA dafür, dass sie keine Internationale Hilfe beantragt um die Hamas aus Gaza zu vertreiben.

      • 2G
        2422 (Profil gelöscht)
        @O.F.:

        Danke für Ihren kenntnisreiche Antwort auf den Kommentar von BRENDANB. Die fühllose und die Menschen zu Objekten degradierende Art, wie in einigen Kommentaren die fürchterliche Situation der Zivilbevölkerung in Gaza gerechtfertigt wird, erschreckt mich immer wieder.Dabei scheinen diese Kommentatoren nicht zu verstehen, dass die Allgemeinen Menschenrechte kein Luxusartikel sind, der nur in bestimmten Situationen oder für artiges Verhalten gilt und was sie selbst dieser allgemeinen Geltung der Menschenrechte verdanken. Diese Menschenrechte gelten universal und können durch NICHTS relativiert werden.

  • Danke für den Artikel über die Lage der Menschen in Gaza. In letzter Zeit war zu viel von Politikern zu hören, die mehr reden und wenig tun. Das hat leider dafür gesorgt, dass in den Medien oft nur noch am Rande die Lage in Gaza in Bezug auf medizinische Hilfsgüter/ Nahrungsmittelversorgung erwähnt wurde. Stephane Dujarric von der UN sagte, dass seit dem 07. Mai als der Grenzübergang in Rafah geschlossen wurde, die Hilfslieferungen um 67% zurück gegangen sind. Angesichts der auch schon davor katastrophalen Lage verschlimmert dies die Situation nun noch. WHO seit Kriegsausbruch: über 800.000 Fälle von schweren Atemwegserkrankungen + über 800.000 Fälle von Darmerkrankungen über 100.000 davon Kinder unter 5 Jahre, fast 80.000 Fälle von Gelbsucht um nur einiges zu nennen. Hinzu kommen über 80.000 Verletzte von denen zumindest ein Teil längere Betreuung und Pflege bräuchte was nicht möglich ist, da nur noch ein Drittel der Krankenhäuser teilweise funktionstüchtig sind, um Rafah keines mehr. Zudem gibt es beim medizinischen Personal auch über 700 Tote und über 900 Verletzte zu beklagen und über 100 die inhaftiert sind www.emro.who.int/i...ep_-_issue_32c.pdf

    • @Momo Bar:

      " Stephane Dujarric von der UN sagte, dass seit dem 07. Mai als der Grenzübergang in Rafah geschlossen wurde, die Hilfslieferungen um 67% zurück gegangen"

      Das ist ein falsches Zitat und nicht korrekt, die Hilfslieferungen sind sogar kurz danach auf wesentlich mehr als den Ursprungswert gestiegen, weil Israel verschiedene Wege hat um Hilfsgüter nach Gaza zu bringen. Richtig ist, dass El Sisi und Ägypten, wie auch Hamas, die Zufuhr von Hilfsgütern durch von ihnen kontrollierte Grenzposten verunmöglichen.

      Hamas u.a. mit Raketenangriffen auf die Checkposten oder den Pier der Seelieferungen aus Zypern ermöglicht hat.

      Ägypten weil ihnen die Bevölkerung Gazas nur als politischer Spielball wichtig ist.

  • Alle Hilfsorganisationen sind handlungsunfähig und die Menschen vor Ort werden entweder durch Bomben sterben oder durch Krankheiten. Hierzulande wird immer noch von Selbstverteidigung gesprochen. Wenn das kein klarer Bruch gegen das humanitäre Völkerrecht ist was dann?

    • @Sara D:

      Was erwarten Sie, solange die Hamas weiter existiert, kämpft, Raketen abfeuert, Geiseln hält? Und die Architekten des 7. Oktober immer noch weiter machen? Aufgeben, Waffen niederlegen, Geiseln frei lassen, Sinwar und co ausliefern. Dann wäre der Krieg beendet.

  • Es wäre so einfach für Netanyahu gewesen, versöhnlich und verlässlich gegenüber der Zivilbevölkerung die Hand auszustrecken und sich so als besser als die Hamas darzustellen. Autorität durch Güte.



    Hat er gerade eher die Methode Assad im Kopf? Autorität durch schiere Gewaltdemonstration? Ist das Vertreiben der Menschen doch nicht ausgeschlossen bzw. wird das Fortgehen sehr billigend hingenommen?

    Da läuft etwas schief, Netanyahu muss weg.

    • @Janix:

      "Autorität durch Güte" oder Güte braucht keine Radikalität. "Alles, was ich weiß, ist, daß man das Leben nicht verstehen kann ohne viel Güte, daß man es nicht leben kann ohne viel Güte".

      Oscar Wilde (1854 - 1900)



      Wo findet sich heute noch in diesen machtploitischen Konstellationen Güte?