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Gestiegene EnergiekostenHeizen als Schuldenfalle

Immer mehr Menschen erhalten horrende Neben­kostenforderungen. Die Linke in Berlin fordert einen Heizkostenfonds, der Mieterverein rät zur Prüfung.

Wegen der hohen Energiekosten bleiben die Heizungen bei vielen auch im Winter aus Foto: Fabian Sommer/dpa

Berlin taz | In dem kleinen Raum im Abgeordnetenhaus ist es am Dienstag recht kühl – die Heizung wurde offensichtlich nicht eingeschaltet. Damit geht es den Abgeordneten der Linksfraktion, die dort eine Pressekonferenz abhalten, nicht anders als vielen Mie­te­r*in­nen: Sie frieren.

Doch dass immer mehr Menschen wegen massiv gestiegener Energiekosten ihre Heizung im Winter ausschalten, hilft offenbar wenig: Laut Berliner Mieterverein gibt es trotz gesunkenen Energieverbrauchs horrende Nachforderungen für Betriebskosten für das Jahr 2022. „Für viele Mieter ist das nicht zu stemmen“, sagt Geschäftsführerin Wibke Werner der taz.

Mit fatalen Konsequenzen: Im schlimmsten Fall führt das zum Verlust der Wohnung. „Es braucht dringend einen Topf für die Energieschulden von Haushalten, die diese nicht bezahlen können“, fordert daher die Mieterschützerin.

Ein Konzept für einen solchen Heizkostenfonds stellte die Linksfraktion am Dienstag vor: „Die hohen Nachzahlungen treffen vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen, die kaum Rücklagen für solche Situationen bilden konnten, besonders hart“, sagt Fraktionsvorsitzende Anne Helm.

Zu den hohen Mieten kommen nun hohe Nebenkosten

Forderungen von bis zu 9.000 Euro, wie sie etwa von der Vonovia – teils unzulässigerweise – verschickt werden, bringen diese Menschen in ernste Schwierigkeiten. Doch nicht nur die privaten Vermieter, auch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften verschicken massenhaft Nachzahlungsforderungen: 146.000 sind es laut Linke bei den Landeseigenen – über 41 Prozent der Haushalte.

Zwar beträgt die durchschnittliche Nachzahlung „nur“ rund 317 Euro, in einigen Fällen liegt der Betrag jedoch deutlich höher: In Tegel etwa verlangte die Gewobag bis zu 7.000 Euro.

Da der Härtefallfonds Energieschulden nur in Fällen abdeckt, wo eine Strom- oder Gassperre droht, fordert die Linksfraktion einen unbürokratischen Heizkostenfonds. Mieter*innen, deren Betriebskostennachforderung eine monatliche Nettokaltmiete übersteigt und die nicht in der Lage sind, diese zu bezahlen, sollen einen Antrag auf Kostenübernahme stellen können.

Zwar gibt es bislang keine konkreten Zahlen, wie viele Menschen in Berlin davon betroffen sind, laut Statistischem Bundesamt können jedoch bundesweit 5,5 Millionen Haushalte ihre Wohnungen aus Geldmangel nicht angemessen heizen. Aus Gesprächen mit Mie­te­r*in­nen geht der mietenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schenker, von einem „systematischen Problem“ aus: „Das Thema hohe Heizkosten löst das Thema hohe Mieten ab.“

Senat sieht die Verantwortung bei den Mie­te­r*in­nen

Der Fonds soll sich an Haushalte richten, deren Einkommen bis zu 180 Prozent über den Einkommensgrenzen für einen Wohnberechtigungsschein 280 liegt – das seien rund 75 Prozent der Berliner*innen. Das Gesamtvolumen wird mit 10 Millionen Euro veranschlagt und soll aus Mitteln der Eigentumsförderung finanziert werden.

Die rot-grün-rote Vorgängerregierung hätte bereits Rücklagen dafür eingeplant, sagt Helm, die seien aber vom schwarz-roten Senat „geplündert“ worden.

Schenker sieht bei den Regierungsverantwortlichen eine „Problemverweigerung“. Obwohl es sich um „sehr, sehr viele Fälle“ handle, würden diese als Einzelschicksale abgetan. Dass der Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Christian Gaebler (SPD), die Schuld bei den Mie­te­r*in­nen sucht, wenn er dem Tagesspiegel sagt, dass diese auch eine Eigenverantwortung hätten und man „die Temperatur nicht mit ‚Fenster auf, Fenster zu‘ regulieren“ könne, helfe da wenig. Auf taz-Anfrage wollte sich die Senatsverwaltung nicht dazu äußern.

Immer mehr Zwangsräumungen

Zusätzlich fordert die Linksfraktion ein Kündigungsmoratorium. „Der Senat sieht der drohenden Räumungswelle tatenlos zu“, kritisiert Schenker. Dabei sind die Zahlen von Zwangsräumungen in den vergangenen Jahren wieder stark angestiegen, wie aus einer aktuellen Antwort des Senats auf eine Grünen-Anfrage hervorgeht.

Demnach wurden 2023 insgesamt 3.821 Räumungsklagen eingereicht – rund 60 mehr als im Jahr zuvor und sogar 1.621 mehr als 2021 und 1.105 mehr als 2020. Tatsächlich geräumt wurden rund 2.400 Haushalte, im vergangenen Jahr waren es noch 1.931 und im Jahr davor 1.668.

„Die meisten Räumungsklagen gab es in Marzahn-Hellersdorf und Mitte, wo besonders viele von Armut betroffene Menschen leben“, sagt Taylan Kurt (Grüne). Wegen der unzureichenden Daten des Senats geht er jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus.

„Was mich beunruhigt, ist die massive Zunahme der Räumungen von Se­nio­r*in­nen und Familien.“ So wurden in Steglitz-Zehlendorf 101 Familien mit Kind geräumt, in Mitte 43 Bedarfsgemeinschaften mit Kindern, davon eine mit sechs Kindern. Dort wurden 2023 zudem 51 Personen über 60 Jahren geräumt.

Nachforderungen teils unberechtigt

„Eine soziale Katastrophe“, findet Kurt. „Alte Menschen werden entwurzelt und aus ihrem Versorgungsnetzwerk gerissen.“ Ähnliches gelte für Familien, zumal die große Schwierigkeiten auf dem Immobilienmarkt hätten. „Finden Sie mal eine Wohnung für eine Familie mit sechs Kindern.“ Dass die dann in einer Wohnungsloseneinrichtung lande, könne nicht die Lösung sein.

Kurt fordert daher, Zwangsräumungen bei vulnerablen Gruppen ganz auszusetzen. „Eigentum geht nicht über alles“, sagt der Grünen-Politiker. Auch brauche es mehr Informationen über die Ursachen und was mit den Menschen nach der Räumung passiert, um Räumungen in Zukunft zu verhindern.

Damit Menschen wegen ihrer Nebenkostenabrechnungen ihre Wohnung nicht verlieren, rät der Mieterverein, die Nachforderungen gründlich zu prüfen und Belegeinsicht zu fordern. „Teilweise sind diese nicht gerechtfertigt, teilweise sehr intransparent“, kritisiert Geschäftsführerin Wibke Werner. Insbesondere die Preisgestaltung bei Fernwärmeverträgen sei „ein Buch mit sieben Siegeln“.

Werner fordert auch die Vermieter auf, Preissteigerungen nicht einfach weiterzugeben, sondern zu prüfen. Hat alles seine Richtigkeit, bleibe den Mie­te­r*in­nen nichts übrig, als um Ratenzahlungen zu bitten – auch wenn die Gefahr der Verschuldung droht.

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13 Kommentare

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  • Die gestiegenen Energiepreise waren frühzeitig bekannt. Wer da nicht selbst Vorsorge betrieben hat und vielleicht noch die Temperatur über das Fenster regelt ist selbst Schuld. Ich habe einfach nur noch jeden zweiten Tag geduscht und davon einen Tag kalt die Woche und ich habe innerhalb der Wohnung die Türen geschlossen und nur einen Raum beheizt und dazu noch 2 Grad weniger wie sonst. Die anderen Räume habe ich auf 15 Grad gehalten. Das reichte völlig aus. Aufgefallen ist mir, das man dadurch nach kurzer Zeit Kälteunempfindlicher wurde und weniger anfällig für Erkältungskrankheiten war.

    • @Arno Dittmer:

      Eben.

      Monatelang waren die gestiegenen Heizkosten Thema. Ständig wurde damit von links- und rechtsaußen Politik gemacht ("Frieren für die Ukraine"). Alle Zeitungen berichteten täglich darüber. Es wurden Modellrechnungen angestellt, Anbieterwechsel empfohlen, die Tagespreise in Grafiken dargestellt, und nicht zuletzt tischt die russische Presse ihren Konsumenten bis heute die Lüge auf, in Deutschland könne man sich das heizen nicht mehr leisten und deutsche Rentner erfrören zuhauf.

      Wie kann man das nicht mitbekommen haben?

  • Bei einem Einfamilienhaus, bj 1980 146m2, kommen wir auf 5000 Euro gesamte Kosten für Gas Strom und Wasser. Wie man dann für eine Mietwohnung auf Nachforderung von 7000 bis 9000 Euro kommt ist mir rätselhaft .

    • @Stoffel:

      Mich hätten die Details zu den beiden genannten Fällen auch interessiert. Um auf so hohe Nachforderungen zu kommen, muss man ja in einem halben Schloß wohnen ... und dürfte somit keine Schwierigkeiten haben, die Nachforderungen zu bezahlen.

      Oder es handelt sich vielleicht um Turnvereine o.ä., aber die haben ja üblicherweise einen Kassenwart, der auf die Ausgaben schaut.

  • Kurzversion: Für viele die heizen wird das heizen teurer, weil sie für die mitbezahlen werden, welche die Rechnung nicht zahlen (können).



    Habe ich das richtig verstanden?

    Oder anders gesagt: Wer eh nicht zahlen kann, kann auch seine Heizung immer voll aufdrehen.

    • @Rudi Hamm:

      Ja, das ist so wie sich einige das auch beim



      Schwarzfahren vorstellen: Soll es halt ein anderer zahlen.

  • Nachforderungen über tausende von Euro, die sachlich korrekt sind, bedeuten aber nun mal auch, dass derjenige wirklich SEHR viel geheizt hat, und das, obwohl die Warnungen vor gestiegenen Kosten nun wirklich monatelang in allen Medien kamen. Ich selbst sowie viele Menschen, die ich kenne, haben sogar weniger bezahlt als für 2021. Und nein, keiner hat gefroren. Es wurden halt nur nicht sämtliche Zimmer auf 25 Grad gehalten, sondern auch mal auf 18 Grad runtergedreht oder das Schlafzimmer tagsüber gar nicht beheizt.

    Und bevor ich jetzt der Arroganz geziehen werde:

    Leute wirklich ernstzunehmen, bedeutet auch, dass man ihnen ihre eigenverantwortlichen Entscheidungen zurechnet. Dahingegen ist es paternalistisch und arrogant, so zu tun, als seien Niedrigverdiener_innen alles kleine Dummchen, denen man es eben nicht vorwerfen kann, wenn sie wider besseres Wissen die Heizung aufdrehen und dann von einem Anstieg der Heizkosten, vor dem überall und über Monate massiv gewarnt wurde, betroffen sind.

  • Es braucht beides: Selbstverständlich Unterstützung für die Betroffenen, ergänzend dazu aber auch Aufklärung, wie so geheizt werden kann, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Auch in dieser Hinsicht wird noch zu wenig getan.

  • 0G
    09399 (Profil gelöscht)

    Warum sollte das Heizkostenproblem das Mietenproblem "ablösen", wie Schenker laut Zitat meint? Das kommt sicher noch obendrauf, aber die Mieten sind ja dadurch nicht bezahlbarer geworden oder sogar gesunken. Oder habe ich da was verpasst? Es wäre fatal das gegeneinander zu setzen. Umgekehrt wird ja ein Schuh draus: Auch die oft kaum mehr bezahlbaren Mieten sind Schuld daran, dass die Leute keine Reserven haben, um die Ausnahmenebenkosten zu zahlen. Vonovia hat zum Beispiel in den letzten Jahren Milliardengewinne eingefahren. Ein guter Teil davon stammt aus überteuerten Mieten. Was wäre, wenn diese Überteuerung nicht wäre? Dann bräuchte es womöglich auch keinen Hilfsfonds, um Mieter*innen vor der Kälte zu retten. Nichts gegen diesen Hilfsfonds, der muss kommen. Ist aber leider auch ein Beispiel, wie Gewinne privatisiert und Kosten sozialisiert werden. Über die Mieten und ihr Nebenkostengeschäftsmodell wirtschaftet Vonovia das Geld der Mieter*innen in die Taschen der Shareholder. Mieter*innen, denen deshalb nix zum Leben bleibt, werden vielleicht durch einen Hilfsfonds gerettet. Den zahlt aber nicht Vonovia, sondern der Staat. Ein Ausweg aus dieser Ungerechtigkeit ist längst vorgezeichnet, demokratisch entschieden und von einer vom Berliner Senat eingesetzten Expert*innenrunde für gut und machbar befunden: Mietshäuser vergesellschaften.

    • @09399 (Profil gelöscht):

      Wer hat nochmal den Anstieg auf die europaweit höchsten Energiekosten zu verantworten? Putin? Oder vielleicht doch unsere ach so effiziente Regierung mit ihrer ach so effizienten Sanktionspolitik und dem "Die Sonne schickt keine Rechnung"-Mantra?

      Diese wunderbare Regierung soll dann das selbst verursachte Elend wieder richten: "Mietshäuser vergesellschaften". Die bekommen es ja noch nicht mal hin, neuen Wohnraum in der erforderlichen Menge zu bauen bzw. bauen zu lassen.

      Wie wir vor kurzem in der TAZ lesen konnte, ist das ja sogar gut, denn die Menschen ziehen dann ja in kleinere Wohneinheiten und rücken wieder zusammen, das ist gut für den Klimaschutz und den sozialen Zusammenhalt.







      Und wohin "vergesellschafteter Wohnraum" führt, konnte man vor 30 Jahren in der DDR und heute in Kuba sich gerne ansehen.

      Aber nein, die bösen Kapitalisten sind schuld. Und Putin.

      • @EIN MANN:

        Volle Zustimmung

  • Wie schafft man es, wegen Heizkosten mehrere Tausend Euro nachzahlen zu müssen? Entweder geht die Wärme zum Fenster raus oder die Nachzahlungen sind völlig überzogen. Hier könnten die Verbraucherzentrale helfen und die Abrechnungen überprüfen. Und wenn ein Konzern massenhaft falsche Nebenkostenabrechnungen verschickt, ist das ein Fall für die Betrugsabteilung der Polizei und für den Staatsanwalt.

    • @Offebacher:

      Man konnte nach dem russischen Überfall auf die Ukraine tatsächlich in sozialen Medien viele trotzige Kommentare von Russlandverstehern lesen à la "Ich friere nicht für die Ukraine!" Oder auch: "Die Grünen wollen, dass wir frieren! Das könnte ihnen so passen!"

      Ich fürchte, es gab tatsächlich ein paar Leute, die die Heizung dann noch extra aufgedreht haben.

      Trotz ist teuer. Dummheit auch.