Gescheiterte Pkw-Maut: Muss Ex-Minister Scheuer zahlen?
Verkehrsminister Volker Wissing würde seinen Vorgänger gerne für das 243-Millionen-Euro-Debakel regresspflichtig machen. Gibt die Rechtslage das her?
Dass Deutsche im Ausland Pkw-Maut zahlen müssen, während Ausländer in Deutschland kostenlos fahren, regt viele Autofahrer auf. Die CSU forderte deshalb eine Ausländer-Maut. 2015 beschloss die Große Koalition eine abgewandelte Fassung: Die Pkw-Maut wird für alle Autofahrer eingeführt, aber nur in Deutschland gemeldete Autofahrer bekommen eine finanzielle Kompensation.
Ende 2018 schloss Scheuer als damaliger Verkehrsminister einen Vertrag mit dem ausgewählten Betreiberkonsortium aus den Firmen CTS Eventim und Kapsch. Doch im Juni 2019 erklärte der Europäische Gerichtshof auf Klage von Österreich das deutsche Gesetz für rechtswidrig, weil es Bürger:innen aus anderen EU-Staaten diskriminiere. Scheuer kündigte die Verträge mit den Maut-Betreibern daraufhin sofort, angeblich hätten diese schlecht gearbeitet.
Das Konsortium verklagte daraufhin Deutschland auf 560 Millionen Euro Schadenersatz. Die Klage wurde in einem privaten Schiedsverfahren verhandelt. 2022 kam das Schiedsgericht zum Zwischenergebnis, dass die Vertragskündigung rechtswidrig war. 2023 einigte man sich auf einen reduzierten Schadenersatz von 243 Millionen Euro, die Deutschland an CTS Eventim und Kapsch zahlen muss.
Wissings Doppelmission
Verkehrsminister Volker Wissing will nun von der Berliner Kanzlei Müller-Wrede ergebnisoffen wissen, ob der Bund die 243 Millionen Euro von Ex-Minister Scheuer als Privatperson zurückverlangen kann. Auch wenn am Ende nichts dabei herauskommt, hat Wissing die CSU damit öffentlich an den Pranger gestellt und auch gezeigt, dass er nicht vorschnell aufgegeben hat. Die Kanzlei muss nun erstens prüfen, ob es eine Rechtsgrundlage für eine derartige Forderung gegenüber Scheuer gibt, und zweitens, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.
Wenn Amtsträger Bürger:innen schädigen, haben diese einen Schadenersatzanspruch gegenüber dem (leistungsfähigeren) Staat. Das steht in Artikel 34 Grundgesetz. Danach kann sich der Staat das Geld aber von den Amtsträgern zurückholen, wenn diese vorsätzlich oder grob fahrlässig handelten.
Da es um Eingriffe gegenüber den Amtsträgern geht, ist für einen solchen Regress ein Gesetz erforderlich. Eine gesetzliche Rechtsgrundlage besteht aber nur für Regresse gegenüber Beamten (Paragraf 75 Bundesbeamtengesetz). Dagegen gibt es im Bundesministergesetz keine Rechtsgrundlage für Regresse gegenüber Ministern. Diese sollen in ihrer Entschlussfreudigkeit nicht gehemmt werden.
Vorsatz oder Fahrlässigkeit
Es gibt zwar in der öffentlichen Debatte Versuche, doch noch eine Rechtsgrundlage zu finden. So argumentierte der Staatsrechtler Joachim Wieland auf Spiegel Online, Scheuer habe gegen seine „Vermögensbetreuungspflicht“ verstoßen, die aus seinem Amtsverhältnis folge. Es spricht aber viel dafür, dass das bewusste Schweigen des Ministergesetzes solche Umgehungskonstruktionen sperrt.
Sollte doch eine Rechtsgrundlage für tragbar gefunden werden, so wäre die Haftung Scheuers aber jedenfalls auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Dass Scheuer auf einen Erfolg beim EuGH hoffen konnte, ist nicht so abwegig, wie es heute oft dargestellt wird. Immerhin hielt der unabhängige Generalanwalt am EuGH das deutsche Gesetz im Februar 2019 für EU-rechtskonform.
Es gibt keine Frist, bis wann die Berliner Kanzlei ihr Gutachten fertigstellen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld