Gerhard Schröders Altkanzlerbüro: Neurotisches Verhältnis zu Status
Schröder klebt an seinen Privilegien, die ihm auch Anerkennung verschaffen. Ist doch keine Schande, Rentner zu sein.
D ie Häme in den sozialen Netzwerken war erwartbar groß: In Moskau bekommt Gerhard Schröder bestimmt ein neues Büro, so der Tenor. Auch die taz machte auf mit Putins absurd langem Tisch. Dabei ging es vor dem Berliner Verwaltungsgericht nicht um Schröders Lobbyismus für Putin, sondern um die Frage: Ist der Staat dafür zuständig, den Verlustschmerz von AltkanzlerInnen zeitlich unbegrenzt zu kompensieren durch üppig ausgestattete Büros? Die Antwort: Nein, es gibt kein Gewohnheitsrecht.
Auch Angela Merkel dürfte jetzt klar sein: Ihr großes Altkanzlerinnenbüro (mit neun MitarbeiterInnen) wird nicht von Dauer sein. Es ist bitter, dass es erst einen Krieg brauchte – der Haushaltsausschuss des Bundestags strich Schröder nach dem Überfall auf die Ukraine das Büro, aber Schröders Russlandconnection durfte nicht die offizielle Begründung sein –, um die fragwürdigen Altkanzlerprivilegien zu streichen. Man muss Schröder dankbar sein, weil sich endlich ein Gericht mit dieser merkwürdigen Praxis befassen musste.
Der verbissene Kampf um ein Büro wirft ein Schlaglicht auf gesellschaftliche Realitäten. Dieses Land hat ein neurotisches Verhältnis zu Status und ein Problem mit einem ziemlich häufigen Vorgang namens Statusverlust. Vorstandsvorsitzende werden Aufsichtsratsvorsitzende, damit sie sich weiter wichtig fühlen dürfen. Gescheiterte Parteichefs werden Vorsitzende ihrer parteinahen Stiftung.
Wer mal zufällig auf einem Empfang sogenannter höherer Kreise war, bekommt ungefragt Visitenkarten zugesteckt mit ziemlich viel „a. D.“: Meistens sind es ältere Herren, die sich als „Flottillenadmiral a. D.“ oder „Büroleiter a. D. der Bundesministerin XY“ vorstellen. Es ist offenbar eine Schande, nicht mehr der zu sein, der man einst war, also muss der Titel der Vergangenheit betont werden.
Das Leben ist eine Achterbahn, keine Treppe
Andere Kreise gehen mit Statusverlust lockerer um: Ehemalige Heizungsbauer verteilen eher nicht Visitenkarten, sondern sagen freudig: Ich bin jetzt Rentner. Das Leben ist eine Achterbahn und keine Treppe, die stets nach oben geht, es besteht aus Phasen, und es ist immer besser, die eigene Identität nicht an Bedeutung und Status festzumachen.
Ehemals wichtige Leute sollten sich frei machen von der Geißel Status und das tun, was auch in ihnen steckt: etwa ein Käsespezialitätengeschäft aufmachen oder sich als Vorleser im Schulhort nützlich machen. Oder wie Jimmy Carter eine NGO gründen. Ein Vorbild ist auch Ann-Sofie Hermansson, die Ex-Bürgermeisterin der schwedischen Stadt Göteborg. Nachdem sie ihr Amt verlor, fing sie bei der städtischen Müllabfuhr an. Für sie stand das Positive im Vordergrund: Sie verärgere in ihrem neuen Job nicht mehr die Leute, sagte sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau