Gentechnik für Artenvielfalt: Korallen retten im Labor
Ein „gentechnischer Werkzeugkasten“ soll Korallen retten? Ein kontroverses Thema für die Weltnaturschutzkonferenz am Freitag.
Am Samstag präsentiert ein Team von Wissenschaftlern aus Großbritannien, Israel und den USA auf dem großen Weltnaturschutzkongress in Marseille ihren Lösungsansatz für das Problem: einen „gentechnischen Werkzeugkasten“ zur Rettung der Korallen. Sie haben viele Zuhörer. In Marseille treffen sich, vor Ort und virtuell, die Vertreter der Mitgliedsorganisationen der Weltnaturschutzorganisation IUCN. Das sind über 1.200 Umweltverbände, Behörden und Institutionen – aus Deutschland sind 22 Organisationen dabei, vom Nabu über den Leipziger Zoo bis zum Anglerverband – sowie 160 Regierungen.
Sie treffen sich, um über eines der beiden großen Probleme unserer Zeit zu sprechen, den Verlust biologischer Vielfalt. Die IUCN führt Buch über das weltweite Artensterben. Rund 135.000 Tier- und Pflanzenarten hat sie in den vergangenen Jahren untersucht, etwa ein Drittel von ihnen als bedroht eingeschätzt und auf ihre Rote Liste gesetzt.
Zum Beispiel sind die weltweiten Großkatzenbestände um gut 90 Prozent geschrumpft. In freier Wildbahn leben noch rund 20.000 Löwen, 7.000 Geparden und 4.000 Tiger. Auch die Korallen sind eine Zeile auf der Roten Liste. Ihre Situation ist so dramatisch, weil der Klimawandel ihren Lebensraum für sie unbewohnbar macht.
Radikale Antwort
Die Antwort des internationalen Wissenschaftlerteams mit ihrem gentechnischen Werkzeugkasten ist entsprechend radikal: Die Meeresbiologen und Biotechnologen erforschen, ob sich die Eier von Korallen so gefrieren lassen, dass sie eingelagert und zumindest ihre genetischen Informationen gerettet werden können; zudem wollen sie wissen, ob sich aus erwachsenen Korallen Stammzellen isolieren lassen, mit denen widerstandsfähige Riffe erzeugt und regeneriert werden können. Ihr Vortrag ist ein Beispiel für einen der derzeit umstrittensten Ansätze im Naturschutz: gentechnische Methoden.
Sie könnten etwa dazu dienen, um invasive Arten auszurotten, die heimische Vögel oder Pflanzen verdrängen. „Gene Drive“ lautet das Stichwort. Exemplare einer unerwünschten Art, etwa Ratten auf einer Insel, würden gentechnisch so verändert, dass sie sich innerhalb weniger Generationen selbst ausrotten. Oder bedrohte Arten – etwa Korallen – würden widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse gemacht. Auf dem Kongress in Marseille werden die Delegierten also auch über die Position der IUCN zu gentechnischen Verfahren streiten.
Mareike Imken von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft befürchtet, dass die Delegierten der IUCN konkrete Maßnahmen zur Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen beschließen. Damit würde Gentechnik als anerkannte Methode in den Naturschutz einziehen. „Das wäre ein fatales Signal an die Verhandlungen zur Regulierung und Risikobewertung auf Ebene der UN Biodiversitätskonvention“, sagt Imken. Sie fordert, der IUCN müsse in seiner Abschlussresolution Gentechnik für den Artenschutz ablehnen.
Immer neue Hochglanzprospekte
Allerdings sei die Biotechnologielobby stark und dränge mit Macht in den Artenschutz. Das sieht auch Christoph Then von der gentechnikkritischen Organisation Testbiotech so. Er beobachtet „immer mehr Literatur, Hochglanzbroschüren und aufwendige Websites, um gentechnische Verfahren im Naturschutz als machbar und lukrativ darzustellen“. Dabei handele es bei vielen Anwendungen, etwa der Stammzellenforschung für Korallen, noch um Grundlagenforschung. „Wann diese Verfahren einsetzbar sind und ob sie dann wirklich so wirken werden wie gedacht, ist völlig unklar“, sagt Then.
Der Biologe Christian Voolstra von der Universität Konstanz hält gentechnische Verfahren für sinnvoll – wenn sie für die Diagnose von Problemen eingesetzt werden. Mit Kolleg:innen hat er einen Schnelltest für Korallen entwickelt, der der Entwicklung von Antigen-Schnelltests dienen soll, ähnlich wie für die Diagnose von Covid-19.
Mit seinem koffergroßen Test versucht er dieser Tage im Roten Meer, besonders hitzebeständige Korallen zu identifizieren. Perspektivisch möchte er von diesen Exemplaren Bakterien isolieren, die mit ihnen zusammen in Symbiose leben. Die Bakterien der widerständigen Korallen will er auf gestresste, weniger resiliente Korallen übertragen. „So können wir sicher nicht alle Korallen retten“, sagt Voolstra, „aber vielleicht einige“. Auch die Arbeit mit Bakterien ist Biotechnologie, aber eine, die anerkennt, dass „die Natur sich selbst immer noch am besten helfen kann, wenn wir sie lassen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut