Generationen: Der Mythos vom Konflikt
Boomer konservativ, Millennials Weicheier, Gen Z faul – ständig wird Streit zwischen den Generationen heraufbeschworen. Doch das ist zu einfach und überdeckt die tatsächlichen Konflikte.
Gerne werden Generationen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben: „Boomer sind konservativ“. „Die Gen Z ist faul.“ „Millennials sind nicht belastbar.“ Kaum ein gesellschaftlicher Diskurs kommt heute ohne solche Zuschreibungen aus. Glaubt man diesen Narrativen, gibt es große Generationenkonflikte. Doch laut der Forschung sind Generationen nichts mehr als ein Mythos.
Die Unterteilung in verschiedene Generationen ergibt nämlich keinen Sinn. Und über verschiedene politische Einstellungen sagt sie auch nichts aus. Die Grenzen sind willkürlich gezogen, und die Zuschreibungen basieren auf Stereotypen.
„So viel wert wie ein Horoskop“
Mit Generationen setzte sich kürzlich auch die Doku „X, Y, Z – Die Generationenlüge“ auseinander. Der Soziologe Martin Schröder bringt es darin auf den Punkt: „Die Generationenforschung und auch die ganzen Ratgeber zu Generationen sind so viel wert wie ein Horoskop.“
Die Datenlage gibt ihm recht. Die Haltung zum Thema Klimaschutz hängt von anderen Faktoren als vom Alter ab, und junge Menschen arbeiten so viel wie seit den 1990ern nicht mehr. Generationenstudien sind vor allem fehlerhaft, weil Menschen immer nur zu einem bestimmten Zeitpunkt befragt werden, statt dass man sie jahrzehntelang begleitete.
Auch der Arbeitspsychologe Hannes Zacher betont: Es gibt keine belastbare Evidenz dafür, dass Geburtsjahrgänge homogene Wertegruppen bildeten. „Generationen sind ein Mythos“, sagt er. Viel sinnvoller sei es, über Alter, Erfahrung oder konkrete Lebensumstände zu sprechen. Trennend ist oft nicht das Alter, sondern sozioökonomische Unterschiede sind es. Lebensrealitäten sind eher durch Klasse, Bildung, Einkommen und Wohnort geprägt als durch das Geburtsjahr. „Es gibt viel mehr Unterschiede zwischen Individuen als zwischen Generationen“, meint er.
Lenkt von realen Interessenskonflikten ab
Die Erzählung von den Generationen ist dennoch profitabel. Coachings, Ratgeber und selbst Boomermemes stützen sich darauf. Pseudowissenschaftlich wird dann erklärt, was bestimmte Altersgruppen interessiere oder antreibe und welche Ansprüche sie an die Arbeitswelt stellten.
Der Mythos vom Generationenkonflikt erfüllt zudem eine politische Funktion: Er lenkt von realen Interessenkonflikten ab und ersetzt Systemkritik durch Altersklischees. Wenn junge Menschen faire Arbeitsbedingungen fordern, werden sie häufig als anspruchsvoll abgestempelt.
Und wenn über steigende Mieten diskutiert wird, werden ältere Menschen oft als „die wohlhabende Boomergeneration“ bezeichnet. Dabei wird ausgeblendet, dass viele Ältere – besonders Frauen – mit sehr niedrigen Renten leben und von Armut betroffen sind. Solidarischer Klassenkampf statt Generationenzuschreibungen, sollte es also heißen.
Solidarisches Handeln ist generationenübergreifend
Beispiele wie die Initiative Omas for Future zeigen, dass solidarisches Handeln generationenübergreifend funktioniert. Hier engagieren sich ältere Menschen gemeinsam mit Jugendlichen für Klimaschutz. Und ganz nebenbei dekonstruieren sie das Bild der klimaschädlichen Boomergeneration.
Wir alle verändern uns. Nicht nur, weil wir älter werden, sondern weil sich unsere Gesellschaft als Ganzes wandelt und somit auch gesellschaftliche Haltungen. Die Fokussierung auf Generationen verdeckt oft diesen kollektiven Lernprozess, wenn junge Menschen pauschal als „unfähig“ oder „nicht belastbar“ abgewertet werden, oder umgekehrt, wenn ältere Menschen als „rückständig“ oder „nicht mehr lernfähig“ abgestempelt werden. Beides ist eine Form von Altersdiskriminierung, die gesellschaftlich tief verankert ist und durch den Mythos der Generationenkonflikte nur noch verstärkt wird.
Wenn über unterschiedliche Generationen gesprochen wird, steht meistens das Trennende im Fokus und nicht das, was Menschen verbindet. Und noch mehr Spaltung braucht unsere Gesellschaft nun wirklich nicht.
Am Ende bleibt die Frage: Warum halten wir so gerne am Mythos Generationen fest? Vielleicht, weil es bequem ist, Leuten eine Haltung oder einen Lebensstil zuzuschreiben, statt sich wirklich mit deren Meinung auseinanderzusetzen.
Wenn man wirklich verstehen will, was Menschen bewegt, braucht es mehr Interesse aneinander und an Begegnungen, die über Generationengrenzen hinausgehen. Dann merken wir vielleicht auch schnell, dass uns mehr verbindet, als wir denken. Weil es Wichtigeres gibt als das Alter.
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